28. Juli 2002

Meistersingerhalle fest in siebenbürgischer Hand

„Wenn junge Menschen eine Basis haben, dann gehört ihnen die Zukunft“. Mit diesem prägnanten Satz brachte Bayerns Sozialministerin Christa Stewens die beeindruckende Aufführung von Doris Hutters „Mensch, Kathi, schau nach vorn!“ im wohl besten Saal Nürnbergs, in der Meistersingerhalle, am 6. Juli auf den Punkt.
Als prominentester Gast unter mehr als 1 200 Teilnehmern konnte die erfahrene CSU-Politikerin, Mutter von vier Kindern und Oma von sieben Enkelkindern, sich vor Ort überzeugen, dass Integration von Aussiedlern kein Lippenbekenntnis ist. Integration – keineswegs verstanden als Verschmelzung oder Assimilierung, sondern als Bewahrung der eigenen Identität und Sich-Einbringen in das bundesdeutsche Gemeinwesen. Eingliederung dieser Art ist zugleich Jugendarbeit mit sinnvollem kulturellem Hintergrund. Integration als gelebte Wirklichkeit konnte exemplarisch auf der Bühne bestaunt werden.

„Wenn junge Menschen eine Basis haben, dann gehört ihnen die Zukunft“. Das war auch der Tenor der Gespräche, die Staatsministerin Stewens kurz vor der Aufführung mit dem Vorstand des Hauses der Heimat führte. Es war der erste Besuch der Ministerin in diesem Integrations- und Begenungszentrums, der aus dem Großraum Nürnberg nicht mehr wegzudenkend ist.
Meistersingerhalle in Nürnberg fest in siebenbürgisch-sächsischer Hand: Doris Hutters Stück „Mensch, Kathi, schau nach vorn“ wurde mit großem Erfolg aufgeführt.
Meistersingerhalle in Nürnberg fest in siebenbürgisch-sächsischer Hand: Doris Hutters Stück „Mensch, Kathi, schau nach vorn“ wurde mit großem Erfolg aufgeführt.

Nach Schwabach (September 2001), Puchheim bei München (Oktober 2001) und Dinkelsbühl (Mai 2002) war diese vierte Aufführung von „Mensch, Kathi, ...“ in der imposanten Nürnberger Meistersingerhalle ein weiteres Glanzstück. Das Zusammenspiel von rund 150 Mitwirkenden, darunter eine Schar Kinder und Jugendlicher sowie Vertreter der mittleren und älteren Generation, der geschickt eingefädelte gemeinsame Auftritt von Banater Schwaben, Egerländer Gmoi und echten Franken mit den Siebenbürger Sachsen waren ein weiterer Mosaikstein gelungener Integration von Aussiedlern im Nürnberger Raum. Die farbenprächtigen Trachten, die vielseitige Musik, die unterschiedlichen Tänze sowie die geschickt aufbereitete Liebesbeziehung zwischen Hans und Kathi bot vor dem Hintergrund einer imposanten Kulisse von Johann Folea-Stamp - rund 50 Stunden kreatives ehrenamtliches Arbeiten daran haben sich sehr gelohnt – ein überzeugendes Beispiel für das gelebte Credo der Autorin. Doris Hutter glaubt nämlich fest an die Kraft der positiven kulturellen Tradition und deren Weiterführung auch in unserer immer weniger konsensfähigen Gesellschaft.

Weil es im Stück selber an zentraler Stelle auch um die siebenbürgisch-sächsische Tracht und dem Bekenntnis dazu – speziell duch die Jugend - auch hier in der hochtechnisierten, von PC und Internet, von maßlosem Konsum und schier grenzenloser Selbstentblößung, von zahlreichen zentrifugalen Kräften und pluralistischen Erscheinungen geprägten bundesrepublikanischen Spaßgesellschaft ging, war es geschickt, zu den herrlichen Trachten auf der Bühne auch eine besonders gediegene Ausstellung mit 56 Trachtenpuppen von Diplom-Physikerin und Mathematiklehrerin Ditha Rothbächer, einer Agnethlerin, die in Waldkraiburg wohnt, aufzubauen. Die prächtigen Puppen kamen bei den vielen Menschen bestens an.

Die von Doris Hutter und ihren treuesten Mitstreitern Misch Orend und Werner Henning von langer Hand geplante achtmonatige Organisation und Werbekampagne der Unternehmung „Mensch, Kathi, ...“ in der Meistersingerhalle begünstigte den Erfolg der Aufführung. Das exquisite Ambiente und der gut gefüllte Saal spornten die Darsteller zusätzlich an. So gab es aus berufenem Munde deutliche Lobesworte. Die Regisseurin des Mundarttheaters in Herzogenaurach, Agnes Reitz, erklärte: „Das Stück war große Klasse! Alles war großartig. Und der Inhalt hat uns sehr zu denken gegeben. Wir haben lange darüber gesprochen!" Auch wenn einzelne der etwa 150 Darsteller hier nicht mit Namen hervorgehoben werden, sind zumindest die beteiligten Gruppen mit deren Leiter dankbar und lobend zu erwähnen: die Siebenbürgisch- Sächsische Theatergruppe Herzogenaurach (Leitung: Doris Hutter), der Sächsische Singkreis der Theatergruppe (Margarete Schuster), die jungen Bläser und das Instrumentalquintett, die Nadescher Trachtentanzgruppe e.V. (Hans-Werner Henning), die Siebenbürgisch-Sächsische Volkstanzgruppe und Kindertanzgruppe Herzogenaurach (Hans Werner und Brigitte Krempels), die Fränkische Volkstanzgruppe Welkenbach im Gebirgsverein „Loisachthaler“ (Konrad Geinzer), die Banater Trachtengruppe Nürnberg (Ewald Schuster und Elfriede Dietz), die Volkstanzgruppe der Egerländer Gmoi Nürnberg (Heide und Dieter Knust), die Siebenbürgische Tanzgruppe Nürnberg (Roswitha Ziegler und Brigitte Barth), die Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg e.V. (Hans Welther und Richard Taub) und The Alleviators aus Herzogenaurach. Allen gebührt großer Respekt vor ihrer runden Leistung.

Die Zuschauer werden im ersten Akt nach Siebenbürgen versetzt. In einem Dorf wird ein Kronenfest vorbereitet. Als eine der Hauptfiguren den lang erwarteten Ausreisepass erhält, dringt die Frage „Bleiben oder Gehen?“ immer stärker in den Vordergrund. Die im siebenbürgischen bäuerlichen Milieu entsprungene Liebesbeziehung wird durch die Aussiedlung, aber auch das Festhalten an sächsischen Traditionen hart auf die Probe gestellt. Der zweite Akt spielt in Deutschland und verdeutlicht die Vielschichtigkeit, die Brüche, die sich scheinbar auschließenden Pole der hiesigen modernen, zukunftsträchtigen und der dortigen, scheinbar längst verlorenen von jahrhundertealten Bräuchen und Sitten zusammengehaltenen Welt. Die Zuschauer werden schließlich Zeugen einer fast nicht mehr für möglich gehaltenen Symbiose von Jeans und Tracht, von Popmusik und Volkslied, von heißen Rhytmen und melodiösen Volkstanzeinlagen, von abgewandten, an heimatlicher Tradition scheinbar geläuterten Menschen und dem Wiedererkennen prägender tradierter Werte. Die Zuschauer werden Zeugen einer schwungvollen Interpretation lebendiger Aussiedlerintegration in Deutschland.

Sich selber, seine Identität nicht aufgeben, sich einbringen in diese neue, komplexe und komplizierte Welt, einen gangbaren Weg dahin zu weisen, und dies schwungvoll, bunt, mit viel Begeisterung und Ausdauer, mit Tracht und Volkstanz, mit Kronenfest hier – das leuchtende Beispiel Herzogenaurach lässt grüßen -, mit festem Glauben an die unvergänglichen Möglichkeiten in uns – das ist ein gewaltiger Verdienst von Doris Hutter. Ihr, der in Agnetheln/Siebenbürgen 1957 geborenen Mundartautorin („Kängdervärschker“, Bukarest 1988; Gedichte in Anthologien, Zeitschriften und Zeitungen), ehemaligen Gymnasiallehrerin (Mathematik, Wirtschaft/Recht) und derzeitigen Geschäftsleiterin des Hauses der Heimat, die sich dem Theater zuwendete (von ihr gibt es inzwischen vier Stücke - drei davon in Mundart - und Texte für drei Kindermusicals, bei denen sie auch Regie geführt hat), ihr und ihren Aktiven – an jedem Spielort kommen neue Gruppen auf die Bühne (ist das nicht schlau?) - gebührt besonderer Dank. Doris Hutter und ihr Team haben uns nicht nur ins Gewissen geredet, gesungen, getanzt, gespielt, sondern auch reichlich beschenkt. Der vornehmste Dank war auch am 6. Juli die zahlreiche Präsenz und der kräftige Applaus. Unsere Herzen empfanden eine Hochstimmung besonderer Art, auch weil hier ein gangbarer Weg für unsere Jugend gewiesen wurde. „Wenn junge Menschen eine Basis haben, dann gehört ihnen die Zukunft“, sagte die begeisterte Ministerin. Wir stimmen ihr voll zu. Und der Botschaft von Doris Hutter ebenso.

Horst Göbbel


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 12 vom 31. Juli 2002, Seite 13)

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