4. Juli 2002

Auf der Suche nach der vergangenen Zeit

Eine viel beachtete Retrospektiv-Ausstellung zeigte Peter Jacobi in vier Sälen des Nationalen Kunstmuseums Rumäniens in Bukarest. Sowohl zur Vernissage als auch zur Finissage stellte sich ein zahlreiches Publikum, ein großer Kreis von Künstlerfreunden und Kritikern ein, Zeitungen, Kulturzeitschriften und Fernsehredaktionen sorgten für ein breites Echo.
Der Künstler hatte seine Plastiken und Fotomontagen unter dem Titel "Palimpsest" zusammengefasst. Vieles in seinem Werk kann an die geheimnisvollen Schichten eines immer neu beschriebenen Pergaments erinnern, die dazu reizen, ihren Spuren nachzugehen und zu versuchen, ihre Rätsel zu lösen. Wie die verschiedenen Schichten eines solchen Schriftdenkmals überlagern sich in Peter Jacobis Arbeiten ideelle und reelle Ebenen und Räume, verbinden sich Jahrtausende auseinander liegende Epochen. Ein Grundthema seines Schaffens ist die Zeit, der Wandel, der Übergang aus einem in einen anderen Zustand. Auf der Suche nach der vergangenen Zeit entdeckt er, dass sie nicht verloren ist, ja dass sie nicht einmal vergangen ist. Prof. Dr. Bernd Scheffer von der Universität München, der in die Ausstellung einführte, sprach über "die abwesende Präsenz und die präsente Abwesenheit" in den Werken Jacobis. Sowohl seine Skulpturen als auch die Fotografien sind Zeichen oder Spuren vergangenen Lebens. Zeichen, die andeuten, aber nicht alles ausdeuten und daraus ihre Spannung und ästhetischen Werte beziehen.
Peter Jacobi: Construct Deconstruct. Edelstahl, Sammlung Yuzi Paradise Sculpture Parc in Guilin, China.
Peter Jacobi: Construct Deconstruct. Edelstahl, Sammlung Yuzi Paradise Sculpture Parc in Guilin, China.

Die Ausstellung, die 2003 vom Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim übernommen werden soll, ist selbst palimpsestartig angelegt, sie geht mit ihrem Rückblick in tiefere Schaffensphasen, bis in die 70er Jahre zurück. Es ist die Zeit, als der 1935 in Ploiesti geborene Plastiker in die Bundesrepublik Deutschland umsiedelte. Hinter ihm lagen das Studium der Bildhauerei an der Kunstakademie Bukarest und die ersten Einzel- und Gruppenausstellungen, in denen er zusammen mit seiner damaligen Frau Ritzi Jacobi Textilobjekte, Softzeichnungen und Skulpturen präsentierte. Die schnell wachsende Anerkennung ermöglichte dem Künstlerpaar 1970 die Beteiligung an der Biennale in Venedig im rumänischen Pavillon. Nahtlos schloss sich die Ausstellungstätigkeit in der BRD, dann auch in National Gallery of Victoria in Melbourne, Museum of Contemporary Art in Chicago, Liljevalchs Konsthall in de Stockholm, Musee d’Art Moderne de la Ville Paris und anderen Weltmetropolen an. Von 1971 bis 1998 hatte Peter Jacobi eine Professur an der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim inne.

Die frühesten Plastiken dieser Ausstellung, um 1970 entstanden, sind Marmorskulpturen, die in Anlehnung an die Beschäftigung mit der textilen Stofflichkeit versuchten, weiche Beschaffenheit in hartem Material darzustellen. Das war der umgekehrte Vorgang eines Claes Oldenburg, der damals seine „Soft Sculptures“ schuf und dabei Gebrauchsgegenstände und Apparate aus weichem Stoff herstellte. Was die Schönheit dieser Reliefs mit dem zarten Faltenwurf oder den feinen Rundungen so reizvoll macht, das irritierte den Künstler schließlich: die sinnliche Schönheit des Carrara-Marmors mit seiner effektvollen Maserung. Das Material als Träger der Form drohte zu dominieren. Dem wirkte Peter Jacobi entgegen, indem er die Marmorreliefs im Freiraum Wind und Wetter aussetzte, die Zeit veränderte sie allmählich, dunkle Schattierungen kamen hinzu, die ihnen die glattpolierte Eindeutigkeit nahm.
Modulare Säule von Peter Jacobi vor dem Landratsamt in Pforzheim.
Modulare Säule von Peter Jacobi vor dem Landratsamt in Pforzheim.

Gleichwohl ist er auf der Suche nach "der Schönheit der reinen geometrischen Form", wie der Plastiker sagt. "It is what you see" heißen mehrere Arbeiten, die Form ist der Inhalt, meint er. Und noch etwas mehr, denn selbst diese formalen Inhalte weisen über sich hinaus. Die reine Form ist nicht die perfekte Form. Wenn sich Jacobi mit der Kreisform auseinandersetzt, dann wird das nicht einfach ein Kreis, sondern das werden "Zwei unterbrochene und verhackte Ringe" oder „Zwei ineinander liegende Ringe mit ungleichen Enden, von denen das eine um 90 Grad gedreht ist“. Diese aus Gusseisen hergestellten Bodenskulpturen führen, nachdem sie der Künstler aus der Hand gelegt hat, ihr Eigenleben, sie setzen Rost an und verändern sich mit der Zeit, eine Wirkung, mit welcher der Bildhauer rechnet.

Sowohl in seinen Fotos als auch in den plastischen Arbeiten hat sich Peter Jacobi mit den strategischen Bauten aus dem Weltkrieg auseinandergesetzt. Plastiken wie "Schutzraum" oder Fotos vom Westwall („Siegfriedlinie“) gehen strengen militärischen Ordnungen nach, zeigen aber gleichzeitig, dass Gefährdung und Bedrohung auch im Bunker nicht aufgehoben sind und der Schutzwall von der Natur überwuchert wird. Wieder ist es die Zeit, die die Bedeutung solcher strategischer Bauten wandelt.

Für Peter Jacobi selbst war der Zweite Weltkrieg ein grundlegendes Erlebnis. Als Kind erlebte er die Bombardements in Bukarest, sein Vater war damals in der Leitung der Malaxa-Werke tätig. Die Familie flüchtete in das Heimatdorf des Vaters, nach Streitfort bei Reps. Auch später im Leben waren die Folgen des Weltkriegs allgegenwärtig. In Pforzheim kam der Künstler in eine Stadt, deren zerstörten, einst schönen Gebäude nun den verniedlichend benannten „Monte Scherbelino“ bilden. Von der Spitze des Trümmerbergs in Stuttgart, auf der die kunstvoll behauenen Steine des zerbombten Neuen Schlosses aufragen, blicken Menschen, ähnlich in der Haltung wie der Mönch in Caspar David Friedrichs romantischer Landschaft, auf die wieder errichtete Stadt hinunter. Jacobi empfindet die Trümmerberge als Begräbnisstätten dieser einst historisch gewachsenen Orte, von denen Stuttgart auch den Glanz einer Residenz hatte.

Nachdenken über die Zeit ist Nachdenken über Abschied, Erinnerung, Gedächtnis und Gedenken. Mit seinen Memorials rettet Jacobi etwas über die vergangene Zeit hinweg und er weiß sich darin in einer Jahrtausende alten Tradition. Die Kunst, vor allem die Skulptur, diente schon früh, spätestens seit dem Bau der Pyramiden in Ägypten und Mexiko, als ein Versuch, Vergangenheit in die Ewigkeit zu retten. Auch Jacobi setzt mit seinen variationsreichen, dynamischen "Modularen Säulen" Zeichen, die das Kosmische mit dem Irdischen verbinden, und er stellt sich damit bewusst in die Nachfolge Brâncusis, mit dessen Werk er auch in den in Craiova verbrachten Jahren in nähere Berührung kam. Eine 8,6 Meter hohe gusseiserne Säule von Peter Jacobi steht heute in Pforzheim vor dem Landratsamt Enzkreis. Bei dem Memorial für den unglücklichen Hitler-Attentäter Claus Graf Schenk von Stauffenberg versucht er, die gleichen geistigen Inhalte durch Spiegelungen im Wasser oder auf der Glasplatte auszudrücken.
Peter Jacobi: Die Himmelfahrt des Carl Filtsch. Bildkomposition unter Verwendung eines Dokumentarfotos von Konrad Klein vom Grabrelief des Carl Filtsch auf der Friedhofsinsel San Michele bei Venedig.
Peter Jacobi: Die Himmelfahrt des Carl Filtsch. Bildkomposition unter Verwendung eines Dokumentarfotos von Konrad Klein vom Grabrelief des Carl Filtsch auf der Friedhofsinsel San Michele bei Venedig.

Vielleicht aus der eigenen Lebenserfahrung heraus, zeigt Peter Jacobi für im Exil lebende Persönlichkeiten ein großes kulturhistorisches Interesse. Er errichtet den Künstlern und Intellektuellen, die aus Rumänien weggegangen sind und sich im westlichen Europa durchgesetzt haben, um schließlich dort zu sterben, durch seine Fotoserie "Ost - West" ein wahres Pantheon. Mit der Kamera in der Hand suchte er ihre Grabstätten auf und bearbeitete die Fotos davon zu poetischen Bildern, die etwas über die Persönlichkeit der Verstorbenen aussagen. Zu ihnen gehören Brâncusi und Enesco ebenso wie Victor Brauner und Tristan Tzara, Mircea Eliade und Eugen Ionesco, Dinu Lipatti und Emil Cioran, aber auch der Kronstädter Maler und Komponist Henri Nouveau, alias Heinrich Neugeboren, Carl Filtsch, Paul Celan u.a. Die meisten von ihnen sind in Paris verstorben, mit Ausnahme des aus Mühlbach stammenden Wunderkind-Pianisten Carl Filtsch, der 1845 erst 15-jährig in Venedig seinem Tuberkuloseleiden erlag. Von manchen dieser Persönlichkeiten hatte Peter Jacobi noch zu Lebzeiten anrührende Fotos gemacht, so 1988 von Eugen Ionesco mit seiner Frau und von Emil Cioran.

Einen weiteren Zyklus von installierten Fotografien nannte Peter Jacobi "Das schöne bäuerliche Kleid der Städterin". Die alten Fotos vom Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, viele davon aus dem rumänischen Königshaus, die von den Hoffotografen Ida Guggenberg, Jolan Mairovits, Franz Mandy und Carol Popp de Szathmari aufgenommen wurden, haben auf den Künstler einen besonderen Reiz ausgeübt. Besonders angezogen haben ihn Trachtenbilder, wobei die Trachten nicht etwa von Bauernmädchen angelegt wurden, sondern von den Mitgliedern der königlichen Familie: Königin Elisabeth, bekannt als Dichterin Carmen Sylva, Königin Maria, Prinzessin Ileana, Prinz Nicolae als Hirtenjunge. Der Brauch, die kleidsame bäuerliche Tracht anzulegen und damit seine nationale Zugehörigkeit zu bekunden, wurde von den bürgerlichen Frauen übernommen. Die Meister der frühen Fotografie trugen durch Staffagen und Dekorationen dazu bei, dass diese Fotos uns nicht nur einiges von der Welt und Mentalität der Generationen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verraten, sondern dass wir sie auch leicht amüsiert betrachten. Die gleiche Wirkung hatten sie auch auf Peter Jacobi, der durch die Bearbeitung am Computer wieder den Faktor Zeit mitsprechen lässt und in den Fotos durch Verfremdung, durch das Spiel von Assoziationen Zeitläufe suggeriert und ihnen ästhetische Valenzen abgewinnt.

Rohtraut Wittstock


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 30. Juni 2002, Seite 7)

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