18. September 2002

Riesiges Potenzial besser nutzen

Rumäniens Wirtschaft stellte sich in Hamburg vor / Ambivalentes Bild des südosteuropäischen Reformlandes gezeichnet / Geringes Interesse der norddeutschen Wirtschaft
Die Wirtschaft Norddeutschlands ist traditionell mit den Regionen rund um Ost- und Nordsee verflochten. Auch in den Süden des Kontinents bestehen enge Beziehungen, und der Transportkorridor von den nördlichen Meeren zum Schwarzen Meer gewinnt zunehmend an Bedeutung. Wichtige Unternehmen wie Continental aus Hannover und Kuhnke aus dem ostholsteinischen Malente haben sich in Rumänien niedergelassen. Die rumänische Polizei ist einer der besten Kunden der Lübecker Draeger-Werke.

So blieb es der Otto-Benecke-Stiftung – sonst mehr der Integration von Migranten verpflichtet – vorbehalten, im Auftrag der Bundesstelle für Außenhandelsinformationen vom 9. bis 12. September ein viertägiges deutsch-rumänisches Wirtschaftstreffen in Hamburg zu organisieren. Dessen Höhepunkt war ein Deutsch-Rumänischer Wirtschaftstag in der Hamburger Handelskammer, dem traditionsreichsten Sitz der Hanseatischen Börse. Zu dem Ereignis, das vom Banater Publizisten Manfred Engelmann organisiert wurde, hatten sich rund 120 Vertreter aus Politik und Wirtschaft eingefunden. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Das Interesse der norddeutschen Wirtschaft war beschämend gering. Rund die Hälfte der Teilnehmer waren aus Rumänien gekommen, wobei bemerkenswert viele Vertreter aus Wirtschaft und Politik aus dem Altreich an die Elbe gereist waren. Bleibt zu hoffen, dass sich deren Erwartungen an nutzbringende Gespräche mit den norddeutschen Unternehmern erfüllt haben.

Den Wirtschaftsstandort Rumänien stellte Unterstaatssekretär Adrian Mitu vor. Sein Fazit: „Die rumänische Wirklichkeit ist besser als das Bild von draußen.“ Nachdrücklich begrüßte Mitu die Gründung einer Deutsch-Rumänischen Handelskammer in Bukarest in der Vorwoche. Rund zwei Drittel des rumänischen Außenhandels werden mit der Europäischen Union abgewickelt. Deutschland ist nach Italien der zweitwichtigste Wirtschaftspartner. Sein Land, so Mitu, habe im Vorjahr unter den Reformstaaten Mittelosteuropas das höchste Wirtschaftswachstum erreicht. Für 2004 strebe seine Regierung eine einstellige Inflationsrate an.

Der Abteilungsleiter im Europa-Ministerium, Helge Fleischer – wie auch Ministerin Hildegard Puwak mit der deutschen Sprache aufgewachsen – zeichnete ein hoffnungsvolles Bild von Rumäniens Weg nach Europa. 27 Verhandlungskapitel seien inzwischen eröffnet worden, von denen 23 vorläufig abgeschlossen seien. Die Bukarester Regierung gehe nach wie vor von einem Beitritt zum 1. Januar 2007 aus. Ein ambivalentes Bild vom Investitionsstandort Rumänien beschrieb Rechtsanwältin Dana Mares von der in Dortmund, Bukarest und Temeswar tätigen Sozietät Niebaum & Partner. Als Fortschritt begrüßte sie das neue Doppelbesteuerungsabkommen, das ab 2004 die momentan geltenden Regelungen aus dem Jahr 1975 ersetzen soll. Dann werde in Rumänien eine Quellensteuer von drei bis fünf Prozent mit Befreiungen für Zinsen aus staatlich garantierten Darlehen und Erträgen aus Dienstleistungen und Beratungen eingeführt werden. Lebhaft beklagte die Referentin den nach wie vor großen Mangel an Rechtssicherheit. Weiterhin gebe es bei der Zoll- und Steuerverwaltung und dem Handelsregister willkürliche Rechtsauslegung. Erschwerend wirke sich auch im Altreich das Fehlen von Grundbüchern im westlichen Sinne aus. Hinzu komme, dass ausländische Kreditgeber lokale Sicherheiten nicht akzeptierten.

Ein sehr positives Bild des Wirtschaftsklimas in Rumänien zeichnete der Wirtschaftsberater Wolfgang Limbert. Der für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Bukarest tätige Wirtschaftsfachmann rühmte Rumänien als „Schneider Europas“. Ein gerade herausgegebener Firmenkatalog der Textilbranche weist achthundert Firmen auf. An erster Stelle steht die Firma Steilmann mit 16 000 Mitarbeitern. Gerade ist in Jassy (Iasi) die Ausbildung von Refa-Ingenieuren aufgenommen worden. Wachsende Bedeutung erlangt die Automobilzulieferindustrie. Ein in Temeswar ansässiges Unternehmen kommt auf 8 000 Mitarbeiter. Fünf Weinlieferanten haben eine eigene Vertriebsgesellschaft in Deutschland gegründet. Bei der im Oktober stattfindenden „Exporeal“ in München – einer Messe rund um den Grundbesitz – präsentieren sich Hermannstadt, Temeswar und Arad. Dennoch wird nach Überzeugung der im Land tätigen Unternehmen auch der Binnenmarkt immer wichtiger – trotz des beschämend niedrigen Durchschnittslohns im Westen des Landes von gerade einmal 134 Euro.

Zunehmend an Bedeutung gewinnt auch die Softwareindustrie, die von der guten mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung im Land profitiert. Generell, so Limbert, beklagen die deutschen Investoren nach wie vor die ausufernde Bürokratie und die unzuverlässige Verwaltung. Hinzu kommt die schnelllebige Finanzgesetzgebung, die eine sichere Planung erschwert.

Für die deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft in Köln berichtete Josef W. Scheppner, dass sein Land 18 Millionen Euro für Investitionen in Rumänien aufgewendet habe. Darunter sei eine Mikrofinanzbank. Das Land befinde sich mit der Risikogruppe 3 im guten Mittelfeld.

Riesiges touristisches Potential wird nicht genutzt

Der auf dem Gebiet der Tourismusförderung tätige Berater Peter Zimmer aus München zeichnete anhand der Entwicklung und Umsetzung eines Tourismusleitbildes für Hermannstadt nach, wie mühevoll es ist, das riesige touristische Potential dieses Landes zu entwickeln. „Die Besucher kommen immer zufriedener zurück, als sie hingefahren sind“, so Zimmer. Immerhin sei es in Hermannstadt gelungen, 75 Prozent der im Leitbild aufgezeigten 80 Maßnahmen abzuarbeiten. Der dort gegründete erste Tourismusverband sei inzwischen Vorbild für das Banat und die Bukowina geworden. In Temeswar solle demnächst die Tourismusinformation wieder geöffnet werden. Für den recht gut prosperierenden Agrotourismus stehen in Siebenbürgen inzwischen 50 Gästehäuser zur Verfügung. Mit Hilfe der Campingabteilung des ADAC soll der noch brachliegende Campingtourismus aufgebaut werden. Gut entwickelt hat sich der Radtourismus, und der Endurosport stößt immer wieder auf begeisterte Teilnehmer. Dagegen harren acht Weinregionen noch der touristischen Erschließung. Immerhin ist die Zahl der Reiseveranstalter, die Rumänien im Angebot haben, von 20 auf 100 gewachsen. Unter ihnen ist erstmals ein Spezialanbieter für Gesundheitstourismus. Peter Zimmer betonte: „Zusammenkommen ist der Anfang, Zusammenarbeit ist der Erfolg“.

Das weiß auch Unterstaatssekretät Virgil Munteanu, Gouverneur des Donaudeltas. Hier ist der Tourismus noch völlig unterentwickelt. Nur zwei Prozent der Wirtschaftsleistung werden damit erzielt. Einen Grund dafür sieht Munteanu im Desinteresse der Bevölkerung. Der mit 15 000 Menschen ohnehin geringen Einwohnerschaft, die sich auf 27 Dörfer und eine Stadt – Sulina – verteilt, stehen 6 000 Quadratkilometer zur Verfügung. Für die Pflege und Entwicklung des Weltkulturerbes Donaudelta gibt die Bukarester Regierung jährlich drei Millionen Euro aus. Mit der Weltbank wird um eine weitere Unterstützung verhandelt. Immerhin konnten von den unter Ceausescu entwässerten Flächen 7 000 Hektar wieder hergestellt werden. Wichtigstes Ausfuhrgut ist Reet, dessen Hauptabnehmer Deutschland, die Niederlande und Österreich sind. Zur Entwicklung des Tourismus fehlt vorläufig die Infrastruktur. Es gibt lediglich ein Hotel und einige Pensionen. „Dabei ist das touristische Produkt Donaudelta in Europa konkurrenzlos“, so Munteanu.

Vom schwierigen Anfang, aber auch von schönen Erfolgen, vor allem aber von der beeindruckenden Freundlichkeit der Menschen berichteten Hamburger Unternehmer, die mit dem südosteuropäischen Land in Kontakt stehen. Dazu gehören unter anderem eine Spedition und eine Spezialfirma zur Beratung von Flughafengesellschaften. Letztere hat einmal in Neumarkt am Mieresch (Targu Mures) angefangen und berät heute fast alle Flughäfen bis hin zu Otopeni.

Horst Schinzel

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