7. Oktober 2002

Rudolf Virchow und Siebenbürgen

Der deutsche Mediziner, Anthropologe und Sozialpolitker Rudolf Virchow starb vor 100 Jahren. Seine Anwesenheit in Kronstadt im Jahre 1898 ist Beleg für die vielfältigen Verbindungen der Siebenbürger Sachsen zu den Zentren von Wissenschaft und Kultur in Deutschland.
Am 5. September 2002 jährt sich zum hundertsten Mal der Tod von Rudolf Virchow, einem der herausragenden Mediziner und Biologen seiner Zeit. Virchow, geboren 1821 in Ostpommern als Sohn wenig begüterter Eltern, studierte nach dem Abitur Medizin an der Berliner „Pepinière“, der Militärärztlichen Akademie. 1843 wurde er Assistenzarzt an der Charité und zwar in der Prosektur der Chirurgie. Kaum 25 Jahre alt, gründete er dort die später in der ganzen Welt bekannte Fachzeitschrift „Archiv für pathologische Anatomie und klinische Medizin“, die auch heute noch unter dem Titel „Virchows Archiv“ erscheint.

Porträt von Rudolf Virchow
Porträt von Rudolf Virchow

Als 1848 in Berlin die Revolution ausbrach, machte Virchow keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Demonstranten. Er setzte sich für deren soziale Forderungen ein, was ihm nach der Niederschlagung der Revolution große berufliche Schwierigkeiten bringen sollte. In dieser misslichen Situation kam ihm die Ausschreibung einer Stelle an der Universität Würzburg sehr gelegen. Dort wurde er ordentlicher Professor. 1856 kehrte er nach Berlin zurück, wurde Professor für pathologische Anatomie und erhielt die Zusage zur Gründung eines eigenen Institutes.

Neben seinem intensiven beruflichen Wirken war auch Virchows politisches Engagement weiterhin groß. 1859 wurde er zum Abgeordneten der Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählt. Als Mitbegründer der „Deutschen Fortschrittspartei“ war er im preußischen Abgeordnetenhaus vertreten. Von 1880 bis 1893 gehörte er dem Reichstag an.

Virchow ist der Begründer der Zellularpathologie, die Krankheiten als Störungen des Zellstoffwechsels definiert. Dieses wissenschaftliche Bild fußt u.a. auf der von Virchow geäußerten und heute allen Biologen bekannten These: „Omnis cellula e cellula“ (jede Zelle entsteht aus einer Zelle). Virchows Zellenlehre und die Zellularpathologie veränderten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die gesamte Medizin. Jahrtausendealte Ansichten der Humoralpathologie, nach denen die Krankheiten des Menschen durch veränderte Mischungen der Körpersäfte zu erklären sind, wurden hinfällig. Virchow gilt heute allgemein als einer der Väter der modernen Medizin und auch der Biologie mit allen ihren Teilwissenschaften wie der Zytologie, Molekularbiologie und Genetik.

Ein weiterer Bereich seiner Forschertätigkeit war die Anthropologie, die im engeren Sinne die Biologie sowie die Abstammung des Menschen zum Thema hat. 1869 gründete er die Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Er leitete prähistorische Ausgrabungen, reiste auch nach Troja, arbeitete mit Schliemann zusammen und vermittelte die Schenkung der Troja-Sammlungen an die Stadt Berlin.

Ein drittes Betätigungsfeld Virchows war die Hygiene und die damit verbundene Sozialpolitik. 1848 wurde er nach Oberschlesien geschickt, um die ausgebrochene Flecktyphus-Epidemie zu untersuchen. Dort stellte er fest, dass Epidemien in geringerem Maße ein medizinisches, sondern vielmehr ein sozialpolitisches Problem sind und dass nur umfassende Reformen, Demokratie, Bildung, Freiheit und Wohlstand zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller sozialen Schichten beitragen und Seuchen eindämmen können. Der liberale Virchow setzte sich vehement für die Schaffung einer modernen sozial-hygienischen Infrastruktur ein. Als Abgeordneter Berlins initiierte er die Modernisierung der Stadtreinigung, der Kanalisation, der Wasserversorgung und der lokalen Rieselfelder. Virchow war zeit seines Lebens unheimlich fleißig und rührig, die 800 medizinischen und 1 150 sonstigen Publikationen bezeugen seine universale Bildung und große Arbeitskraft.

Virchows Beziehungen zu Siebenbürgen entstanden durch dessen Freundschaft mit dem sächsischen Bischof und Historiker Georg Daniel Teutsch (1817 – 1893). Es ist anzunehmen, dass unter den 19 000 Briefen, die Teutsch zeitlebens erhalten hat und die in seinem Nachlass vorliegen, auch Schreiben aus Virchows Feder zu finden sind. Dass Teutsch rege mit Virchow korrespondierte, geht aus zwei 1994 veröffentlichten Briefen anderer Schreiber an G. D. Teutsch hervor, in denen publizierte Beiträge Teutschs, die Virchow ausgehändigt werden sollten, angesprochen sind.

Im August 1898 fand in Kronstadt das vierte Vereinsfest der Siebenbürger Sachsen und gleichzeitig die Feier zum 400. Geburtstag von Johannes Honterus statt. Der Verlauf dieses vier Tage dauernden Festes wurde in einem Bericht unter dem Titel „Die Honterus-Jubelfeier und die sächsischen Vereinstage in Kronstadt“ festgehalten. Autor der 115 Seiten umfassenden Publikation ist der Journalist, Lehrer und spätere Politiker Lutz Korodi. Das Büchlein erschien im Verlag Heinrich Zeidner, Kronstadt, im Herbst 1898.

Das Fest fand seinen Höhepunkt in der Einweihung des vom Berliner Bildhauer Harro Magnussen geschaffenen Honterus-Denkmals im Hof der Schwarzen Kirche. Zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland, Vertreter aller größeren Ortschaften Siebenbürgens und aller dort lebenden Nationen feierten mit den Kronstädtern die traditionellen Vereinstage und die sonstigen Veranstaltungen, an denen u.a. 800 sächsische Turner ein „hübsches Schauspiel der jungen Sachsenrecken“ auf dem damals noch freien Gelände zwischen dem Rudolfsring und der Blumenau boten. Alle größeren Vereine, z.B. der Siebenbürgische Landwirtschaftsverein, der Landeskundeverein und der Karpatenverein, hielten während der drei Augusttage ihre Jahresversammlungen ab. An der Festsitzung des Gustav-Adolf-Vereins nahm auch Rudolf Virchow teil. Im Namen der Ärzteschaft begrüßte ihn Dr. Eduard Gusbeth, Präsident der Kronstädter Sanitätskommission. Virchow selbst hielt dort eine kurze Ansprache, die Korodi folgendermaßen resümiert: „Er sei eigentlich nicht hergekommen, um Reden zu halten, sondern als Trauernder, denn er habe einen Freund (G. D. Teutsch) verloren, dem er einst versprochen, nach Siebenbürgen zu kommen, um die Herrlichkeiten kennen zu lernen, von denen er ihm erzählt.“ Weiterhin heißt es in dem Tagungsbericht: „Er (Virchow) habe oft darüber nachgedacht und sich bemüht, herauszubringen, welchem Umstande es wohl zuzuschreiben sei, dass die Sachsen ihre Nationalität so lange bewahrt hätten. Er selbst neige der Ansicht zu, dass dies weniger eine Folge des in der breiten Masse lebenden Nationalgefühls sei, sondern vielmehr seine Erklärung finde in der ungewöhnlichen Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Individuums, in der Macht einzelner Persönlichkeiten unter den Sachsen ...“ Korodi bewertet Virchows Ansprache folgendermaßen: „Die Rede Virchows, die zwar eine kühlere Auffassungsweise zum Ausdruck brachte als die vorhergehenden Reden, aber immerhin ein gewisses Wohlwollen bewies, fand ebenfalls verdienten Beifall“.

Tags darauf fand in der Kronstädter Obervorstädter Kirche die fünfzigste Generalversammlung des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde statt. Die Kirche „war gefüllt von sächsischen Männern und Frauen aller Stände. Auf den Ehrenplätzen saßen hervorragende Vertreter gelehrter Korporationen und Institute: die Ehrenmitglieder Geh. Sanitätsrat Prof. Dr. R. Virchow, Universitätsprofessor Dr. Theobald Fischer, Domherr Demeter Moldovan als Vertreter der rumänischen Akademie und viele andere“.

Virchows Anwesenheit in Kronstadt im Jahre 1898 ist Beleg für die vielfältigen Verbindungen der Siebenbürger Sachsen zu den Zentren von Wissenschaft und Kultur in Deutschland.

Hansgeorg von Killyen


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2002, Seite 7)

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