23. Oktober 2002

Kurswechsel bei Kulturförderung angemahnt

Interview mit Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen: "Wir wollen, dass die Aussiedler hier bald neue Geborgenheit finden".
Erika Steinbach wurde am 29. Juni 2002 im Rahmen der Bundesversammlung des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Berlin mit überwältigender Mehrheit in ihrem Amt als BdV-Präsidentin bestätigt. In einem Interview für die Siebenbürgische Zeitung und den SiebenbuergeR.de-Newsletter bezog die CDU-Bundestagsabgeordnete Stellung zu den aktuellen Belangen des Vertriebenenbundes, in dem auch die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Mitglied ist. Das Interview führte Internetreferent Robert Sonnleitner.

BdV-Präsidentin Erika Steinbach
BdV-Präsidentin Erika Steinbach

Welches sind die Motive für Ihre ehrenamtliche Tätigkeit als BdV-Präsidentin, einem überparteilichen Verband mit mehr als zwei Millionen Mitglieder?

Dieser dramatische Teil deutscher und europäischer Geschichte mit den massiven Menschenrechtsverletzungen braucht engagierte Anwälte. Als solche Anwältin nehme ich meine Aufgabe wahr.

Im BdV gibt es die Interessen der "klassischen" Vertriebenen, die das Recht auf Heimat, die Aufhebung der Beneš-Dekrete und ein Zentrum gegen Vertreibung einfordern. Und es gibt die Interessen der Spätaussiedler, die sich im Hier und Jetzt bewegen. Wie bringen Sie diese unterschiedlichen Interessen unter einen Hut?

Hier gibt es keine Gegensätze, sondern nur unterschiedliche Fakten aufgrund der jeweiligen historischen Voraussetzungen. Der BdV spiegelt das Gesamtbild deutscher Vertreibungs- und Entrechtungsschicksale wider und steht solidarisch an der Seite der Spätaussiedler. Wir wollen, dass die Spätaussiedler hier bald neue Geborgenheit finden.

Was verbinden Sie mit Siebenbürgen? Sind Ihnen die Erwartungen und Hoffnungen der Siebenbürger Sachsen bekannt?

Da ich im ständigen Gespräch mit den Vertretern der Siebenbürger Sachsen bin, so wie mit den anderen Landsmannschaften auch, kenne ich die Wünsche und Sehnsüchte, die kulturellen Besonderheiten und das historische Erbe. Wir alle haben die Aufgabe, dieses Erbe aktiv zu bewahren.

Als Präsidentin des BdV vertreten Sie auch die Anliegen der Spätaussiedler. Weshalb stimmten die elf Bundestagsabgeordneten aus den Reihen des BdV 1996 geschlossen für die 40-prozentige Rentenkürzung?

Mein damaliger Amtsvorgänger, Dr. Fritz Wittmann, und die anderen Kollegen aus dem BdV im Bundestag haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die Abschaffung der Fremdrentengesetzes (FRG) insgesamt zu verhindern. Das ist in schwierigen Verhandlungen gelungen. Der gefundene Kompromiss ist unbefriedigend, aber besser als die ursprüngliche Lösung. Nach Inkrafttreten des Gesetzes haben wir als BdV das Vorgehen der betroffenen Landsmannschaften, eine Überprüfung auf dem Rechtsweg zu erreichen, nachdrücklich unterstützt.

Die BdV-Mitgliederversammlung hat in der Tat vor zwei Jahren einstimmig beschlossen, unsere Landsmannschaft in ihren Bemühungen um Anfechtung der Rentenkürzung sowie der Streichung der Inlands-Kulturförderung zu unterstützen. Wo stehen wir heute in unserem gemeinsamen Bestreben?

Bisher wurde erreicht, dass das Bundessozialgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit der FRG-Kürzungen dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Diese Entscheidung müssen wir abwarten. Zum Thema Streichung der Mittel für die kulturelle Breitenarbeit, aber auch für die wissenschaftliche Kulturarbeit, habe ich mich im Deutschen Bundestag ebenso wie als Präsidentin des BdV wiederholte Male ausführlich in Reden, Interviews, Fernsehsendungen, Pressemitteilungen geäußert und der Bundesregierung "Kulturarbeit mit dem Schlachtermesser" vorgeworfen. Ich werde auch weiterhin für einen Kurswechsel bei der Förderung der Kulturarbeit aus Bundesmitteln kämpfen.

Ist der BdV mit der Aussiedleraufnahmegesetzgebung einverstanden? Was tun Sie als Mitglied des Bundestags und BdV-Vorsitzende, um den weiteren Zuzug von Spätaussiedlern aus Rumänien und deren Anerkennung zu ermöglichen?

Der BdV hat bei den Diskussionen um das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz, das Spätaussiedleraufnahmegesetz und das zum 1.1.2003 in Kraft tretende Zuwanderungsgesetz erreichen können, dass zumindest für die Deutschen aus Russland die Vermutung des generellen Kriegsfolgenschicksals erhalten bleibt. Für alle anderen Gruppen gilt schon seit 1993, dass deutsche Volkszugehörige nur dann anerkannt werden können, wenn sie bis heute fortwirkende Benachteiligungen wegen ihres Deutschtums glaubhaft machen können. Dies gelingt nur den Wenigsten. Obwohl ich eine Änderung befürworten würde, fehlen für Gesetzesinitiativen die politischen Mehrheiten. Trotzdem werde ich hier weiter aktiv bleiben und Überzeugungsarbeit leisten.

Innenminister Schily hält nach eigenen Aussagen die Assimilierung für die beste Form der Integration. Wie sollte Ihrer Meinung nach Integrationsarbeit aussehen?

Der BdV und seine Landsmannschaften und Landesverbände engagieren sich seit Jahrzehnten in der Integrationsarbeit für unsere Landsleute und deren Familien im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich. Viele Ehrenamtliche beraten und betreuen die zu uns kommenden Menschen in allen Fragen und Bereichen. Es geht uns darum, den Menschen Perspektiven für ihre Lebensplanung aufzuzeigen, wobei uns die Stärkung der kulturellen Identität sehr wichtig ist.

Wie unterstützt der BdV die deutschen Minderheiten in unseren Nachbarländern?

Unsere Zusammenarbeit mit den Organisationen der deutschen Volksgruppen in den östlichen Nachbarstaaten ist offen und vertrauensvoll. Es bestehen zahlreiche Kontakte im kommunalen und regionalen Bereich zwischen ehrenamtlichen Helfern hier und ehrenamtlichen Mitarbeitern vor Ort. Der BdV engagiert sich vorwiegend als Mittlerorganisation im Rahmen von Unterstützungsmaßnahmen für die Deutschen in Polen. Dabei wurden aus Projektmitteln des Bundesministeriums des Innern soziale und gemeinschaftsfördernde Maßnahmen finanziert. Unter dem Gesichtspunkt der Hilfe zur Selbsthilfe stand, den Wünschen der Betroffenen entsprechend, im Vordergrund die Unterstützung beim Auf- und Ausbau von kleineren Begegnungsstätten, die Ausstattung mit bürotechnischen Geräten bzw. audiovisuellen Medien, die Förderung von Bibliotheken sowie von Begegnungsveranstaltungen und sozialen Maßnahmen (z.B. Seniorenausflüge und Freizeitveranstaltungen für Kinder).

Der BdV kämpft um Akzeptanz in Politik und Gesellschaft. Wie lässt sich das Image des BdV verbessern?

Das Image des BdV hat sich in den letzten Jahren deutlich positiv entwickelt. Dafür habe ich viel Zeit und Kraft investiert. Über die Parteigrenzen hinweg wird unsere Arbeit respektiert. Die Zahl unserer Freunde hat sich vergrößert, die Zahl der aggressiven Gegner ist geschrumpft. Inzwischen wenden sich auch die Medien objektiver als zuvor unserem Schicksal zu.

Das Engagement in Vereinen und Verbänden, die von vielen Menschen als unbeweglich und verkrustet eingeschätzt werden, hat nachgelassen. Welchen Mehrwert bietet der BdV insbesondere seinen jüngeren Mitgliedern?

Alle Vereine haben Nachwuchsprobleme. Für mich ist deshalb erstaunlich, dass sich heute genug junge Menschen für unsere Anliegen interessieren und auch einsetzen.

Die Medien haben sich in letzter Zeit verstärkt dem Thema Vertreibung zugewendet. Ist das auch Ihr Verdienst als Mitglied des ZDF-Fernsehrates?

Da sich das Gesamtbild unseres Verbandes positiv gewandelt hat, finden sich mehr und mehr interessierte Medienvertreter. Intensive Kontaktpflege ist freilich notwendig. In zahllosen Gesprächen ist es mir gelungen, Aufgeschlossenheit für unsere Anliegen zu erreichen.

Was sind momentan die dringlichsten, welches die langfristigen Ziele des BdV?

Die EU-Osterweiterung, der nationale Gedenktag, das kulturelle Erbe der Heimat, die ungelöste Zwangsarbeiterentschädigung und das Zentrum gegen Vertreibungen erfordern den ganzen Einsatz, Geschick und Ausdauer.

Vielen Dank für das Gespräch.

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