23. November 2002

Bekenntnis zu einzigartiger Kultur

Für mehr als 700 Siebenbürger Sachsen wurde der Besuch im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg zu einem unvergesslichen Erlebnis. Die Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen der siebenbürgischen Landsmannschaft feierte am 16. November das 150-jährige Gründungsjubiläum der gesamtdeutschen Kultureinrichtung.
„Das war hohe Klasse!“ – so ein Teilnehmer. Als einmaliges und unwiederholbares Ereignis angekündigt, war der Erfolg der Unternehmung durchschlagend: Rund siebenhundert Siebenbürger Sachsen und deren Freunde belebten am 16. November den imposanten Festsaal des Germanischen Nationalmuseums, eine Besucherzahl, die sogar das Fassungsvermögen des geräumigen Raumes sprengte. Sie waren aus dem Ballungsraum Nürnberg, aus Würzburg, Frankfurt, München, Regensburg, Stuttgart und Rothenburg ob der Tauber angereist.

Aus dem Besuch im Nürnberger Museum wurde ein klares Bekenntnis zu einer seit 150 Jahren ungebrochenen Verbindung der Siebenbürger Sachsen zu einer Kulturstätte ersten Ranges, zum musealen Mutterhaus deutscher Kultur und Kunst, zum Germanischen Nationalmuseum.

Der 1993 neu gestaltete Eingang zum Germanischen Nationalmuseum Nürnberg mit der "Straße der Menschenrechte".
Der 1993 neu gestaltete Eingang zum Germanischen Nationalmuseum Nürnberg mit der "Straße der Menschenrechte".

Das Germanische Nationalmuseum (GNM) von Nürnberg feiert in diesem Jahr den 150. Jahrestag seit seiner Gründung im Jahre 1852. Als Nationalmuseum und Forschungseinrichtung von internationalem Rang hat es den Auftrag, Objekte und Dokumente zur Kunst, Kultur und Geschichte des deutschsprachigen Kulturraumes zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen und zu präsentieren. Mit seinen 1,2 Millionen Objekten, dem Münzkabinett, seiner Graphischen Sammlung und der wissenschaftlichen Spezialbibliothek (500 000 Bände zur europäischen Kunst- und Kulturgeschichte) ist es ein Archiv der Geschichte, eine eminente Forschungsstätte und zugleich das größte kulturhistorische Museum Deutschlands. In seiner Satzung ist zu lesen: „Das Germanische Nationalmuseum ist dem gesamten deutschen Volk gewidmet und hat die Aufgabe, die Kenntnis der deutschen Geschichte zu verbreiten und zu vertiefen. Zu diesem Zweck hat es insbesondere Zeugnisse der Geschichte und Kultur, Kunst und Literatur aus dem deutschen Sprachraum wissenschaftlich zu erforschen, zu sammeln, zu bewahren und der Öffentlichkeit zu erschließen.“ Den architektonischen Kern des heutigen Museumskomplexes bildet ein spätmittelalterliches Kartäuserkloster mit seinen erhaltenen Kreuzgängen, der Kirche und den Mönchshäusern. Das äußere Erscheinungsbild prägen die Bauten des Architekten Sep Ruf aus den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhundert sowie das 1993 entstandene Museums-Forum und die von Dani Karavan geschaffene imposante „Straße der Menschenrechte“.

Zu seinen 1,2 Millionen Objekten gehören auch zahlreiche Exponate aus siebenbürgisch-sächsischer Hand. Davon können erheblich mehr als vermutet in mehreren der 17 Abteilungen des Hauses in Augenschein genommen werden, beispielsweise in den Bereichen Kunsthandwerk, Volkskunde oder in der neuesten Dauerausstellung „Kleiderwechsel“.

Im August 1927 hob der Kronstädter Pfarrer Eugen Lassel als Gast und Pfleger des Germanischen Nationalmuseums an dessen 75-jährigem Jubiläumsfest in einer viel beachteten Ansprache hervor: „Über der alten Pforte des Museums stehen die stolzen Worte: 'Eigentum der deutschen Nation'. Also nicht des Staates oder der Stadt, sondern der Nation, des Volkes, des deutschen Volkes. Dazu gehören auch wir Siebenbürger Sachsen. Es ist auch unser Eigentum, wir wollen es nützen und dadurch zu eigen machen." Diese Inschrift steht auch über dem neuen Eingang des Museums. Eugen Lassel hat vor 75 Jahren jedoch nicht ahnen können, dass seine ausgesiedelten Landsleute in Deutschland und speziell im Nürnberger Raum nicht nur ideell, sondern unmittelbar dieses größte kulturhistorische Museum Deutschlands nützen können. 1952, zum hundertjährigen Fest, beeindruckten nordsiebenbürgische Landsleute aus Westmittelfranken in Lechnitzer Tracht die Jubiläumsgäste, am 16. November 2002 zum Hundertfünfzigsten demonstrierte die Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen mit ihrer niveauvollen Unternehmung erfolgreiche Verbundenheit.

Attraktion im Germanischen Nationalmuseum: Vitrine mit Goldschmiedekunst, die ausschließlich von Siebenbürger Sachsen hergestellt wurde.
Attraktion im Germanischen Nationalmuseum: Vitrine mit Goldschmiedekunst, die ausschließlich von Siebenbürger Sachsen hergestellt wurde.

Der Vorsitzende der Kreisgruppe und stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, Horst Göbbel, bekräftigte das Bekenntnis der Siebenbürger Sachsen zu den kulturellen und zivilisatorischen Leistungen ersten Ranges, die in diesem Haus seit 150 Jahren versammelt sind, sowie zum Germanischen Nationalmuseum, „diesem einzigartigen Flaggschiff deutscher und zugleich europäischer Kultur“. Besonderen Glanz verliehen der Feier nicht nur die Bilder von meisterhaften Goldschmiedearbeiten aus Siebenbürgen, sondern auch die Präsenz des Chefs des Hauses, des Generaldirektors des GNM, Prof. Dr. Ulrich Großmann. In seinem Grußwort erläuterte Großmann u.a. den Namen „Germanisches Nationalmuseum“, zeigte sich als exzellenter Kenner siebenbürgischer Kunstobjekte in seinem Haus und freute sich über den lobenswerten Besuch der Siebenbürger Sachsen. Ebenso begrüßte Horst Göbbel den Kunsthistoriker Ralf Schürer, M.A., den Festredner Dr. Michael Kroner, die Siebenbürgische Blaskapelle Nürnberg (Leitung Hans Welther) und den siebenbürgischen Chor Fürth (Leitung Reinhold Schneider), deren passende musikalische Umrahmung mit der Ouvertüre aus der Oper „Feodora“ von Peter I. Tschaikowsky und einem Arrangement von Hans Welther aus der Operette „Crai nou“ von Ciprian Porumbescu (Kapelle) und dem Stück „Zur Feier“ aus Christoph Willibald Glucks „Iphigenie in Aulis“ sowie Manfred Bühlers „Ave Glöcklein“ (Chor) dem Tag zusätzliche Würde verliehen.

Dr. Michael Kroner begann seinen klaren, kenntnisreichen Vortrag mit der Erwähnung seiner persönlichen Beziehungen zum Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Er war von 1980 bis 1982 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums. Schon beim Antritt seiner Arbeitsstelle hatte er erfreut festgestellt, dass Siebenbürger Sachsen zu den Gründungsvätern des Museums gehörten. Aufgrund des reichen, im Museum verwahrten Archivmaterials erforschte Kroner die Beziehungen zwischen der Nürnberger Institution und den Siebenbürger Sachsen, die in siebenbürgisch-sächsischen Kreisen in Vergessenheit geraten und kaum noch bekannt waren. Die Ausführungen des Historikers werden im Folgenden gekürzt wiedergegeben.

Das GNM wurde 1852 als gesamtdeutsche, daher „germanische“ Kulturstätte gegründet, die alle deutschen Volksstämme, also auch jene außerhalb der Reichsgrenzen erfassen sollte, führte Kroner aus. Der Museumsvorstand warb daher auch unter den Auslandsdeutschen um Mitglieder und Unterstützung. Der Aufruf fand unter allen später so genannten „Volksdeutschen“ bei den Siebenbürger Sachsen den stärksten Widerhall. Bereits 1853 nahm der „Verein für siebenbürgische Landeskunde“ die Verbindung zum Nürnberger Museum auf und wurde dessen Mitglied, das er bis 1943 verblieb. Im Jahre 1856 wurde in Hermannstadt eine Agentur bzw. Pflegschaft des Museums eröffnet, die mit großem Erfolg um Mitglieder warb. 1861 nahm Hermannstadt mit 59 Mitgliedern unter allen deutschen Städten den neunten Platz ein. In den folgenden Jahren entstanden auch in Mediasch, Schäßburg, Bistritz und Kronstadt Agenturen des Nürnberger „Kulturtempels“. Die von Hermannstadt und Kronstadt bestanden mit 15 bis 30 Mitgliedern bis zum politischen Umbruch in Rumänien von 1944.

Die siebenbürgischen Museumsmitglieder waren prominente Persönlichkeiten des Kultur-, Wirtschafts- und öffentlichen Lebens. Sie bekundeten durch ihre Mitgliedschaft die Verbundenheit ihres Volkes zur gesamtdeutschen Kulturgemeinschaft und zu ihrem Mutterland bei gleichzeitigem Loyalitätsbekenntnis zu ihrem Vaterland. Dafür hat das GNM den Siebenbürgern des Öfteren gedankt. In einem Schreiben an den Hermannstädter Pfleger hieß es in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts: „Wir könnten uns glücklich schätzen, fänden wir überall im inneren Deutschlands so lebhafte tätige Theilnahme wie bei dem braven sächsischen Volksstamm in Siebenbürgen.“

Von sächsischen Persönlichkeiten wurden in den Gelehrtenausschuss des GNM berufen: Georg Daniel Teutsch, Joseph Haltrich, Johann Carl Schuller, Freiherr Bedeus von Scharberg, Friedrich Schuller von Libloy. Die beiden Letztgenannten sind mit Eugen von Salmen, Trausch von Trauschenfels, Franz Obert sowie den Professoren des Hermannstädter und Schäßburger Gymnasiums und dem „Verein für siebenbürgische Landeskunde“ auch auf der Tafel mit den Gründungsvätern des Museums verzeichnet.

Südsiebenbürgische Zinnkannen aus dem 18. Jahrhundert im Germanischen Nationalmuseum. Foto: Horst Göbbel
Südsiebenbürgische Zinnkannen aus dem 18. Jahrhundert im Germanischen Nationalmuseum. Foto: Horst Göbbel



Ende des 19. Jahrhunderts legte Franz Zimmermann durch Schenkung von Trachten den Grundstock des siebenbürgisch-sächsischen Museumsfundus. Die Zeugnisse sächsischen Kulturlebens wuchsen besonders seit den 30er Jahren und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg stark an und gehören zu den reichhaltigsten aller Vertriebenen und Aussiedler aus den ost- und südostdeutschen Gebieten. Den siebenbürgisch-sächsischen Bestand bilden vor allem Trachten, Stickereien, Näharbeiten, Möbel, Keramik und sonstige Gegenstände der Volkskultur, dann vor allem eine Sammlung von Abendmahlskelchen der im Herbst 1944 vor dem Ansturm der Roten Armee evakuierten nordsiebenbürgischen Kirchengemeinden und andere Erzeugnisse der Goldschmiede- und Zinngießerkunst.

Seit seiner Gründung sammelt das Museum alle wichtigen Veröffentlichungen über die Siebenbürger Sachsen, so dass seine Bücherei für uns heute eine wichtige Dokumentationsstätte ist, betonte Kroner. Jeder sächsische Autor betrachtete es als Ehrensache, der Bücherei des Museums ein Exemplar seines Buches zu schenken. Das sollte auch heute so sein. Auch Heimatortsgemeinschaften sind dazu aufgefordert.

Von den Leitern des Museums haben Dr. Ludwig Grote (1937), Dr. Heinrich Kohlhausen (1938) und Dr. Kurt Löcher (1998) Siebenbürgen besucht. Die Begegnung mit den Menschen und Kulturdenkmälern Siebenbürgens haben sie nachhaltig beeindruckt.

Abschließend betonte der Vortragende: „Wenn bis 1944 die Siebenbürger Sachsen bloß ideelle Nutzer des Museums sein konnten, so haben sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg diese Kulturstätte, über deren Pforte die Worte ‚Eigentum des deutschen Volkes‘ stehen, im wahrsten Sinne des Wortes zu Eigen gemacht. Das betrifft vor allem die im Raum Nürnberg lebenden Sachsen, deren Zahl bei 20 000 liegen dürfte. Das deutsche Mutterland ist nun für die bundesdeutschen Sachsen zum Vaterland geworden. Zum deutschen Volk haben sie schon immer gehört.“

Die anschließende Power-Point-Präsentation von siebenbürgischen Objekten im GNM gab den staunenden Zuschauern einen ersten Einblick in die derzeit ausgestellten Gegenstände, die anschließend von allen 700 Anwesenden vor Ort in Augenschein genommen werden konnten. Geleitet von Peter Hedwig, Johann Ohler, Dr. Michael Kroner und Horst Göbbel schlängelten sich hunderte begeisterte und neugierige Landsleute durch die Sammlungen zu den siebenbürgischen Fixpunkten. Im Aufseß-Saal (so genannt nach dem Begründer des Museums, dem fränkischen Adlige Hans Freiherr von und zu Aufseß) stellte der Kunsthistoriker Ralf Schürer speziell die bewegte Geschichte der siebenbürgischen Goldschmiedearbeiten – Kelche, Patenen, Pokale – aus seiner Abteilung vor. Er sprach vom Facettenreichtum dieser Sammlungen, die durch „das einheitliche Band der deutschen Sprache verbunden“ seien, von der Bereicherung des Hauses durch die zahlreichen Leihgaben siebenbürgischer Kirchengemeinden und betonte, dass siebenbürgische Kultur im GNM selbstverständlich deutsche Kultur repräsentiere. Der sehr disziplinierte Besucheransturm vor Ort war überwältigend und löste auch bei den Verantwortlichen im Museum viel Anerkennung aus.

Am 16. November 2002 hat sich das GNM uns und wir ihm in unnachahmlicher Weise geöffnet. Bleiben wir auf dieser Fährte. Zum Vorteil beider: des Germanischen Nationalmuseums und der Siebenbürger Sachsen.

Horst Göbbel


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2002, Seite 1 und 4)

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