12. Dezember 2002

Spuren auf der Ochsenweide

Vier rumänische Schriftsteller lesen in der Berliner Akademie der Künste: Mircea Dinescu, Andrei Plesu, Horia-Roman Patapievici und Mircea Cartarescu.
Schon der k.u.k.-Tonfall des trefflich formulierten Einführungsvortrages von György Konràd lässt einen in Gedanken östlich wandern bei dieser erfreulich gut besuchten Lesung vier über ihre Landesgrenzen hinaus bekannter rumänischer Autoren, zu der die Berliner Akademie der Künste am 3. Dezember geladen hatte. Ein festliches Ereignis sei es, vier tief schürfende Denker und Freunde von jenseits der Mauer hier begrüßen zu dürfen, so Konrád.

Ein gutes Jahrzehnt nach „dieser Revolution, die war, wie sie war“, erinnerte der Präsident der ehrwürdigen Berliner Institution an jenen 22. Dezember 1989 und wie unterschiedlich ihn seine Gäste zugebracht haben: Mircea Dinescu auf den Barrikaden, Andrei Pleșu in der Verbannung, Horia-Roman Patapievici in einem Folterverlies der Securitate. Von Mircea Cărtărescu hätte er es sich gewünscht, dass er ihn am Schreibtisch verbracht hätte, schließlich sei er ein gelehriger Autor, in dessen Prosa jeder Satz „gefüllt sei, wie eine Weihnachtsgans“.

Doch der Bonus des Eisernen Vorhangs sei nun vorbei - man könne die Gäste nun ohne Schwierigkeiten einladen und müsse keine Nachsicht mehr üben. So setzte er literarische Maßstäbe an, denen die vier Geladenen gerecht wurden, zumal sie ja schon ihre schriftstellerischen Spuren im Westen hinterlassen haben.

Über Bücher als Spuren meditierte der frühere Kultur- und spätere Außenminister Andrei Pleșu. Darin läge die Hygiene des Schreibens, behauptete er, die Bücher als Rückstände und nicht als Lebensziel zu betrachten, sonst würden sie Bücher der Flucht, Gräber trägen Fleißes. Mit hinreißender Verve präsentierte der Philosoph und Constantin-Noica-Schüler seine Überlegungen zweisprachig als Fragmente - „dem adäquatesten schriftlichen Ausdruck für geistige Mühe“. Darin entlarvte er die Christen und die Verliebten als unverbesserlich gut Gelaunte, die einzig und allein vergeben könnten. Erst bei schlechter Laune werde man objektiv.

In die Nähe der Wissenschaftsgeschichte rückte der Querdenker Patapievici seinen Essay über die Modernisierung im Osten und im Westen und illustrierte damit, dass die wissenschaftlichen Ideen im Westen, im Zentrum, veredelt würden und so die Modernisierung stattfände, wobei der Osten, die Peripherie, dieses Denken erst importieren musste. Peripherie und Zentrum blieben aber nicht immer gleich.

Mircea Cărtărescu gab einen Auszug aus seiner Romantrilogie "Orbitor" zum Besten, die von Gerhard Csejka in seiner Übersetzung vorgelesen wurde. „Blendend“ oder „Verblendet“ soll der Band heißen.

Zuletzt trug Mircea Dinescu Gedichte vor, die an die Ceauceșcu-Zeit erinnerten. Die Geschichte von der ersten rebellischen Katze, „Pisica metafizica“, in der Übersetzung von Werner Söllner hat ihn unter anderem hierzulande bekannt gemacht. Der Dichter und frühere Dissident ist jetzt unter die Winzer gegangen. Nach „Academia Cațavencu“ gibt er außerdem die Zeitschrift „Plaiul cu boi“ (Ochsenweide) heraus.

Spuren auf der Ochsenweide, Spuren von der Peripherie - festliche Anlässe wie diese akademische Lesung rücken die Peripherie näher ans Zentrum - zumindest kurzzeitig.

Edith Ottschofski

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