11. Januar 2003

Stimmungsmache gegen Aussiedler

Die Aussiedler werden vor den Landtagswahlen am 2. Februar in Niedersachsen und Hessen offenbar wieder als Wahlkampfmunition missbraucht. Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling (SPD) forderte am 3. Januar eine weitere Verschärfung der Aussiedler-Gesetze. Die Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes, das vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gescheitert war, gingen ihm "noch nicht weit genug".
Die Landesregierung von Ministerpräsident Sigmar Gabriel will deshalb einen Antrag in die Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz einbringen, wonach Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion mit denjenigen aus Polen, Rumänien und anderen ehemaligen Ostblockstaaten „gleichgestellt“ werden sollen. Auch sie sollten glaubhaft machen müssen, dass sie unter ihrer deutschen Volkszugehörigkeit gelitten hätten.

Dass der individuelle Nachweis praktisch einen Zuzugsstopp bedeutet, beweisen die Deutschen aus Rumänien. Unter den rund 90 000 Neuzugängen, die im letzten Jahr in Deutschland registriert wurden, kamen gerade mal 256 Spätaussiedler aus Rumänien. Im Jahr 2001 wurden 380 Aussiedler aus dem Karpatenland registriert, ein Jahr zuvor waren es 547, 1999 noch 855, 1998 genau 1 005 und 1997 immerhin 1 777 gewesen.

Einen anderen Standpunkt als seine niedersächsischen Parteigenossen hatte Ende Dezember der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Jochen Welt, vertreten. „Wir wollen den Zuzug nicht beenden“, sagte der SPD-Politiker laut Berliner Morgenpost. „Die Russlanddeutschen haben am längsten unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs gelitten. Und denen gegenüber haben wir eine Verantwortung.“ Allerdings verwies er auf die Probleme bei der Eingliederung von Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion, die mit dem Zuwanderungsgesetz hätte neu geregelt werden sollen. Vor zehn Jahren hätten noch 75 Prozent der Ankömmlinge Deutsch gesprochen, jetzt seien es nur noch 20 Prozent. Dies werfe „enorme Integrationsprobleme“ auf. Bundesinnenminister Otto Schily und der Aussiedlerbeauftragte Jochen Welt bedauerten, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Zuwanderungsgesetz am 18. Dezember gekippt hatte. Das Gericht hatte die Einführung des Gesetzes gestoppt, weil die Abstimmung im Bundestag am 22. März 2002 verfassungswidrig gewesen sei. Welt zeigte sich besorgt, dass das gescheiterte Zuwanderungsgesetz „nicht nur einen Anstieg der Antragszahlen“ zur Folge haben werde, sondern dass sich auch „diejenigen, die die Regelungen der Spätaussiedleraufnahme schon lange grundsätzlich in Frage stellen, sich angesichts wachsender Integrations- und Akzeptanzprobleme nun verstärkt zu Wort melden“. Dass populistische Stimmungsmache gegen Aussiedler wenige Tage später ausgerechnet aus dem SPD-regierten Niedersachsen erfolgen werde, konnte Jochen Welt freilich nicht ahnen.

Das Scheitern des Zuwanderungsgesetzes ist ein „Segen für die deutschen Spätaussiedler“, erklärte hingegen der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Vertriebene und Flüchtlinge“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erwin Marschewski. Das Gesetz hätte ausschließlich Nachteile für die Aussiedler mit sich gebracht, sowohl im Aufnahmeverfahren als auch im Bereich der Sprachförderung. Die Aussiedler seien gegenüber Ausländern zum Teil schlechter gestellt und das geplante Gesetz hätte deren „Integration in die Gesellschaft behindert“, sagte der CDU-Politiker. Die unionsregierten Bundesländer kritisierten die Absicht der rot-grünen Bundesregierung, das Zuwanderungsgesetz in einer unveränderten Fassung erneut in die Verhandlungen des Bundestages einzubringen. In einem in Wildbad Kreuth verabschiedeten Papier fordert die CSU eine Verbesserung der Integrationsmaßnahmen, eine stärkere Bekämpfung des Asylmissbrauchs und eine Begrenzung statt Ausweitung der Zuwanderung.

Siegbert Bruss


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 1 vom 15. Januar 2003, Leitartikel)

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