9. Februar 2003

Von der Ansiedlung zur Städtelandschaft in Siebenbürgen

Im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2002 bot am 10. November Prof. Dr. Paul Niedermaier, Direktor des Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften der rumänischen Akademie der Wissenschaften und Professor der Hermannstädter Universität, einem interessierten Zuhörerkreis Einblicke in die Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit. Diese hat ihren Niederschlag in zahlreichen Werken gefunden – zuletzt in „Städtebau im Mittelalter. Siebenbürgen, Banat, Kreischgebiet (1242-1347).“ Teil II. Köln; Weimar; Wien 2002. Der Vortrag, an den sich im Festsaal von Schloss Horneck eine lebhafte Diskussion anschloss, wird im Folgenden gekürzt abgedruckt.
Das Motto der Vortragsreihe – „Umbruch und Aufbruch“ – ist gerade im Kontext dieses Vortrages überaus sinnvoll, bedeutete doch schon die Ansiedlung der Sachsen in Siebenbürgen einen einzigartigen Umbruch. Es war aber auch ein Aufbruch für die Entwicklung dieses Gebietes, der in der Ausbildung der Städtelandschaft des Karpatenbogens gipfelte und diesen südöstlichen Teil Mitteleuropas, gerade auch in kultureller Beziehung, für Jahrhunderte zu dem Vorposten Europas machte.

Suggestiv: Professor Paul Niedermaier bei seinem Vortrag. Foto: H.-W. Schuster
Suggestiv: Professor Paul Niedermaier bei seinem Vortrag. Foto: H.-W. Schuster

Doch betrachten wir zunächst die Ansiedlung der späteren Siebenbürger Sachsen. Die Wurzeln dafür finden wir in dem Bevölkerungswachstum Europas. Vor allem im Nordwesten unseres Kontinentes ist um die Jahrtausendwende die Bewohnerzahl stetig gestiegen. Dafür war ein immer größerer Siedlungsraum nötig. Wälder wurden gerodet, neue Siedlungen an deren Stelle angelegt. Aber der Ausbau des Siedlungsnetzes hatte seine Grenzen, und so kam es zu Migrationen, vor allem ostwärts, in schütter besiedelte Gebiete, aber auch südwärts.

In diesen Rahmen gliedert sich auch die Einwanderung der Siebenbürger Sachsen ein, nur: hierbei handelte es sich nicht um ein schrittweises Vorrücken der „Hospites“, wie etwa im Ostteil des heutigen Deutschlands und im heutigen Polen, sondern es wurde durch das zielbewusste Handeln des Königs ein Gebiet weit, weit ostwärts der einstigen Kolonisationsgebiete besiedelt. Hermannstadt und Broos entstanden als siebenbürgisch-sächsische Orte fast hundert Jahre vor der Ansiedlung von Deutschen in der Gegend von Dresden!

In Siebenbürgen, mit einer relativ kleinen Bevölkerung, gab es zu Beginn des zweiten Jahrtausends nach Christus einen dichter besiedelten Gebietsstreifen im siedlungsfreundlicheren Westen. Dort lagen die ältesten wichtigen Orte – nicht nur Weißenburg (heute Karlsburg) und Doboka, sondern auch Klausenburg, Thorenburg oder Deesch. Deren Umland bildete die frühen Komitate und im Maße, in dem die wachsende Bevölkerung auch etwas ungünstigere Gebiete weiter östlich besiedelte, weiteten sich die Komitate zu länglichen Gebilden in diese Richtung aus. Bei der ständig steigenden Bewohnerzahl handelte es sich nicht nur um einen Zuwachs, der sich aus dem natürlichen Wachstum ergab, sondern auch um die Anwerbung neuer Siedler. Teilweise waren es so genannte Hilfsvölker, wie Szekler und Kumanen, oder Bevölkerungsgruppen, wie z.B. Sarazenen, teilweise auch Institutionen, wie Mönchsorden, oder Einzelpersonen.

Im bewaldeten und bergigen Gebiet im Südosten Siebenbürgens gab es jedoch auch weiterhin nur wenige Siedlungen. Einerseits handelte es sich dabei um eine ansässige Bevölkerung, die auch künftig dort blieb, an Stellen, die später Enklaven des Weißenburger Komitates im so genannten Königsboden bilden sollten – etwa die strategisch wichtigen Dörfer Cornatel und Nucet bei Hermannstadt –, andererseits aber um Szekler (etwa bei Reußmarkt), die später weiter ostwärts verlegt wurden.

Ansiedlung: Gründe und Folgen

Dieses große, dünn besiedelte Gebiet im Südosten brachte dem König keine Einnahmen und war nur schwer zu kontrollieren. Um dem abzuhelfen, wurden seit dem 12. Jahrhundert die späteren Siebenbürger Sachsen dort angesiedelt. Gewiss, diese erschlossen die Gegend und sicherten dadurch Grenzen Siebenbürgens ab. Ob sich der König darüber hinaus der Tragweite der für die Besiedlung getroffenen Maßnahme – Heranziehung von Siedlern aus dem Westen Europas – bewusst war?

Zwischen verschiedenen Gebieten Europas gab es damals ein enormes wirtschaftliches und kulturelles Gefälle. Im Mittelmeerraum hatten sich aus der Antike Traditionen erhalten, welche etwa die Iberische Halbinsel, die Apenninenhalbinsel oder die Balkanhalbinsel zu blühenden Gebieten machten. Nördlich der Alpen war vor allem der dicht bewohnte Nordwesten ein aufstrebendes, in voller Entfaltung befindliches Gebiet. Und genau von dort kamen nun, dem Ruf des Königs folgend, Siedler nach Siebenbürgen. Sie brachten nicht nur ein für jene Zeit ganz ungewöhnliches Wissen mit, sondern sie konnten durch die von ihnen gesprochene Sprache auch weiterhin mühelos mit jenen entwickelten Gebieten in Kontakt bleiben. Obwohl ihre Zahl zunächst sehr klein war, wirkten sie gewissermaßen wie Entwicklungshelfer. Allerdings lebten nur wenige verstreut – etwa in den „Nemeti“-Siedlungen –, sondern die meisten in den ihnen zugewiesenen geschlossenen Gebieten, wo sie ihre Identität bewahrten.

In dieser Entwicklung bildete die Entstehung von Vororten einen weiteren Schritt. Gewiss, zentrale Orte gab es schon länger. In alten Chroniken werden Doboka, dann aber auch Weißenburg genannt. Im Norden des Gebietes, mit seinen reichen, um die Jahrtausendwende überaus wichtigen Salzvorkommen, wurden dann die Salzgruben durch Burgen abgesichert, die bald administrative Zentren wurden. Nicht nur Klausenburg, sondern auch Deesch und Thorenburg erhielten dadurch besondere Bedeutung. Verdanken wir deren Entstehung den Salzförderstätten, so spielte ihre Rolle als Vororte der frühen Komitate eine wachsende Rolle. Als solche verdankten sie ihren Aufschwung zunächst weitgehend den Einnahmen aus dem landwirtschaftlich geprägten Hinterland. Der Handel, der zu jedem zentralen Ort gehört, ergänzte ihr Profil.

Eine neue Entwicklung ergab sich durch die Steigerung des Bergbaus. Schon Thorenburg und Deesch, bei denen die Verbindung zu den Gruben besonders eng war, erhielten als Bergorte ein neues Spezifikum. Viel stärker ausgeprägt war dieses hingegen in Rodenau, wo Silberbergwerke der Königin angelegt worden waren. In all diesen Orten sollten die Einnahmen der Krone durch Fördermaßnahmen gesteigert werden, und dafür siedelte man hier in größerer Zahl Bergleute aus dem Westen an. Sie lebten weitgehend unter sich und bildeten Gemeinschaften mit städtischen Merkmalen aus, deren Leben durch rechtliche Regelungen klar geordnet war, Regelungen die für ähnliche Vorschriften Mitteleuropas mit Modell standen. Die Quellen berichten uns nicht nur von Bergwerken und Kohlenmeilern, sondern auch von Marktplätzen mit Schuster- und Bäckerständen, von Schlacht- und Kuttelhöfen, von Häusern, Steintürmen, Palästen und Burgen.

Städte: Verankerung in Europa

Das Neue in der Siedlungslandschaft Siebenbürgens sind jedoch vor allem Ortschaften gewesen, die ausschließlich von Handwerkern und Kaufleuten bewohnt waren – vorher hatte es nur wenige Handwerker bei einem Bischofssitz oder einem Kloster gegeben. Die Orte waren nicht größer als bedeutende Dörfer, aber sie wuchsen beständig an. Diese Siedlungen – Bistritz, Broos, Kronstadt, Hermannstadt, Mühlbach oder ein neuerer Teil von Klausenburg –, die sich schnell entfalteten, in denen Klöster und Spitäler entstanden und gewiss auch andere öffentliche Bauten, gab es auf dem von Gastsiedlern bewohnten Königsboden. Für sie galten besondere rechtliche Regelungen, die sie wiederum von landläufigen Dörfern abhoben.

Dank der sich entwickelnden Städtelandschaft fand Siebenbürgen Anschluss an die weiter entwickelten Gebiete Europas und war in der Folgezeit gesamteuropäischen Entwicklungen mit unterworfen. Zum einen handelte es sich dabei um Änderungen in der Bevölkerungsentwicklung – um eine Bevölkerungsabnahme als Folge von Seuchen, aber auch entsprechend einer gewandelten Mentalität. Zum andern kam es gerade bei diesen Veränderungen zu Verschiebungen im Preisgefüge: Während die Preise der Lebensmittel und vor allem des Kornes fielen, stiegen jene von Handwerksprodukten. So kam es zu einem ungeahnten Wohlstand in den profilierten Siedlungen der Handwerker und Kaufleute, während alte, vom landwirtschaftlich geprägten Umland bestimmte Vororte ihre Bedeutung weitgehend verloren.

Der städtische Wohlstand führte zu einer starken Migration vom Land in die Handwerkszentren. Zwischen 1350 und 1550 wuchsen diese immer weiter an, und es bildete sich der spätere Größenunterschied zwischen verschiedenen Siedlungsarten heraus, der sich mit ganz wenigen Ausnahmen bis heute erhalten hat. Es handelte sich also hier um eine Umschichtung in der Siedlungslandschaft Siebenbürgens. Dabei ist gerade in der Bevölkerungszusammensetzung der Städte Siebenbürgens ein merklicher Unterschied zu vielen Gebieten des östlichen Mitteleuropas festzustellen. Die bedeutenden Migrationen in die Stadt waren an das Umland gebunden. War dieses in ethnischer Hinsicht anders geprägt als der Vorort, so kam es allmählich zu einer Umvolkung – etwa in vielen Gebieten des heutigen Ungarns oder der heutigen Slowakei. In Siebenbürgen gab es jedoch rund um die Städte den von Sachsen bewohnten Königsboden, aus dem weitgehend der Zuzug in die Vororte erfolgte. Dementsprechend veränderte sich die Bevölkerungszusammensetzung in diesen nur wenig – etwa in den Vorstädten –, so dass die Orte auch weiter die enge Bindung zum Westen bewahren konnten.

Von gleicher Bedeutung war das wirtschaftliche Profil der Städte. Hatten die Handwerker ursprünglich nebenbei auch noch Landwirtschaft betrieben, so gaben sie diese nun völlig auf. In den Städten waren die Handwerker das wirtschaftlich bestimmende Element, Kaufleute und Unternehmer bildeten hingegen die Elite. Dabei gelang es diesen Ortschaften noch zusätzlich ihre Rechtslage zu verbessern, etwa durch das Jahrmarktsrecht, das Stapel- oder gar das Münzprägerecht. Auch unterschieden sie sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild immer stärker von ländlichen Siedlungen dank wehrhafter Befestigungsanlagen wie prachtvoller öffentlicher und privater Bauten.

Durch die Besonderheiten der geographischen Lage und das daran gebundene wirtschaftliche Profil, aber auch durch die konkrete Rechtslage entwickelte nun jede Stadt besondere Merkmale. Hermannstadt spielte als Münz- und Bergkammer des Siebenbürgischen Westgebirges eine besondere Rolle, Bistritz durch die Verbindung zum Bergbau in Rodenau während Kronstadt über fahrbare Verbindungswege in die Moldau und in die Walachei verfügte. Von den beiden wichtigsten Handelszentren war Hermannstadt vorwiegend westwärts orientiert, Kronstadt hingegen südwärts und ostwärts, was wiederum eine etwas unterschiedliche Blütezeit der Orte bestimmte.

Ein überaus differenziertes Städtenetz war entstanden. Insbesondere dadurch haben unsere Vorfahren zur Entwicklung Siebenbürgens beigetragen und zugleich die Erweiterung des mitteleuropäischen Raumes in wesentlichem Maße mitbestimmt. Von der Ansiedlung der späteren Siebenbürger Sachsen ging alles aus, in der Ausbildung der Städtelandschaft im Karpatenbogen gipfelte die Entwicklung. Es war eine Folge von Umbruchzeiten – Aufbruchzeiten!

Paul Niedermaier


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2003, Seite 5)

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