10. Februar 2003

Lebenswege von Ost nach West

Jochen Welt, der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, MdB: "Neue Nachbarn. Russlanddeutsche Lebenswege", zweite Auflage, 2002, kostenlos erhältlich bei der IBRO Funk und Marketing GmbH, Kastanienweg 1, 18184 Roggenthin, Telefon: (03 82 04) 6 65 43, Telefax: (03 82 04) 6 62 19.
Die Zahl der Spätaussiedler ist rückläufig. Bis zum Jahresende 2002 wurden im Aufnahmelager Friedland (Kreis Göttingen) rund 90 000 Menschen, d.h. 10 000 weniger als 2001 registriert. Es handelt sich fast ausschließlich um Russlanddeutsche. Die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten der letzten Jahre und die steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland sind für diesen Rückgang verantwortlich sowie auch gewisse Verschärfungen in der Erteilung der Zuzugsgenehmigungen, z.B. die Verpflichtung zu Sprachtests im Heimatland. Die junge Generation ist der deutschen Sprache nicht mehr mächtig, weil nach der Deportation der Gebrauch der deutschen Muttersprache verboten war. Trotzdem sind in den letzten Jahren, nach dem Zerfall der Sowjetunion, viele Hunderttausend Russlanddeutsche als Aussiedler in die Bundesrepublik eingereist, deren Integration bewältigt werden musste.

Die Integration verläuft bekanntlich in doppelter Richtung: Es geht einerseits um die Bewältigung dieser Aufgabe durch die Aussiedler selbst und andererseits um die Integrationsleistung der aufnehmenden Bevölkerung in den neuen Wohngebieten. Bei allen Schwierigkeiten verläuft die berufliche und soziale Eingliederung der Russlanddeutschen überwiegend gut. In dem vorliegenden Buch wird über die schwierigen Lebensverhältnisse der Russlanddeutschen "zu Hause" und über die Hilfen, die ihnen vor Ort über die Bundesregierung zu Verfügung gestellt werden, berichtet. Es werden zugleich die Schwierigkeiten aufgezeigt, die den Spätaussiedlern beim Einleben in der neuen Heimat begegnen. Das Buch soll dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und gegenseitiges Verstehen zu fördern.

Die Broschüre bringt Berichte über typische Lebensschicksale dieser Menschen. In einer Lebensgeschichte lesen wir die bewegenden Worte: "Die Seele ist in Russland, der Körper in Deutschland." Der lange Weg von Ost nach West ist verbunden mit Abschiedsschmerz angesichts des Verlustes der vertrauten Umgebung und vertrauter Gesichter. Es ist aber gleichzeitig ein neuer Anfang, Aufbruch in ein neues Leben mit neuen Perspektiven.

Die Texte werden durch zahlreiche Farbabbildungen veranschaulicht. Nützliche Informationen bieten zudem eine Zeittafel ("Daten und Fakten", S. 110-116) sowie eine Liste mit weiterführender Literatur (S. 119-128). Die Zeittafel enthält alle signifikanten historischen Daten über das Schicksal der Russlanddeutschen. Einige seien hier genannt: Am 22. Juli 1763 erschien das Manifest der Kaiserin Katharina II. - mit dem Aufruf an Ausländer zur Einwanderung nach Russland. Am 20. Februar 1804 lud Zar Alexander I. zur Ansiedlung Deutscher im Schwarzmeergebiet ein. Der Einladung folgten zahlreiche Einwanderer aus Süddeutschland und Danzig-Westpreußen und sie gründeten Kolonien in diesem Gebiet. Nach der Oktoberrevolution genehmigte 1918 der Rat der Volkskommissare Russlands die Gebietsautonomie der Wolgadeutschen und 1924 erfolgte die Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (Hauptstadt: Engels/Pokrovsk). Ab Juli 1941, nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges, erfolgte die Deportation der Deutschen aus den westlichen Teilen der Sowjetunion und ab dem 28. August die Verschleppung der Wolgadeutschen nach Sibirien und Mittelasien. 1955 begann eine teilweise Rehabilitierung der Deutschen aufgrund eines Dekrets des Obersten Sowjets. Trotzdem blieb das Verbot der Rückkehr in die ehemaligen Heimatkolonien bestehen. Erst 1964 erschien der Erlass über die Teil-Rehabilitierung der Wolgadeutschen und die Aufhebung des Deportationsdekrets von 1941. Seit 1986 gibt es gewisse Erleichterungen für Aussiedlungswillige. 1989 wurde die deutsche Gesellschaft "Wiedergeburt" gegründet mit dem Ziel der Wiederherstellung der Wolgarepublik.

Parallel zu der hier vorgestellten Publikation ist das ebenfalls kostenlos erhältliche Faltblatt "Aussiedlerpolitik - Neue Wege: Fakten und Akzente" erschienen, das über die Grundsätze der Aussiedlerpolitik informiert, ihre rechtlichen Rahmenbedingungen erläutert und über die Geschichte der Russlanddeutschen aufklärt. Beide Schriften sind als Beiträge zur Geschichte der Kriegsfolgen und der Vertreibung eine lesenswerte Informationsquelle.

Walter Roth

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