16. Februar 2003

"Baaßner Geschichten" von Christine Franck

Die nachfolgende Erzählung "Weintrauben, Sauerkraut und Makkaroni" ist dem Erzählband "Baaßner Geschichten" entnommen, der Ende Februar 2003 im Kastner Verlag (Wolnzach) erscheint. Es ist die Erstveröffentlichung von Christine Franck, die 1940 als Christine Kinn in Baaßen zur Welt kam und aufwuchs. Später unterrichtete sie Biologie und Erdkunde an der Baaßner Schule, die sie als Direktorin neun Jahre lang leitete. Die Pädagogin war nach der 1975 erfolgten Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland über 23 Jahre an der Staatlichen Realschule in Maisach als Biologielehrerin tätig. Heute lebt sie als Rentnerin in Gröbenzell bei München und im Burgenland am Neusiedlersee.


Nach der Weinlese legte man das Kraut ein für den Winter. Ein gutes Sauerkraut war der Stolz jeder Bäuerin und in der damaligen Zeit die wichtigste Vitaminzufuhr während der kalten Tage. Seit Jahrhunderten hatte es sich so bewährt, von den Vorfahren hatte man es übernommen. Sogar Paracelsus, der große Arzt und Genius der Renaissance, entdeckte es auf seinen Wanderungen durch Ungarn und Siebenbürgen bei den alten Sachsen und pries es und empfahl es zur Gesunderhaltung des Körpers.

Vielleicht kann eine Baaßner Begebenheit auch die Skeptiker von der Bedeutung des Sauerkrautes überzeugen. An einem Wintermorgen erschien bei unserem Doktor Schelker eine Bonnesdorfer Rumänin und bat um Hilfe für ihren kranken Mann. Den hatte sie abgemagert und leichenblass auf einem Strohbett im Pferdewagen mitgebracht. Der Doktor sah sich den Mann draußen im Wagen an und erkannte, dass alle Hilfe zu spät kam. Ganz ernst sagte er nur ein Wort: „moare“ (er stirbt). Das rumänische Wort moare bedeutet aber auch Sauerkrautbrühe.

Die Frau bedankte sich und fuhr heim. Nach zwei Monaten erschien das Ehepaar bepackt beim Doktor Schelker. Sie brachten Eier, einen Gockel und eine Henne, dankten überschwänglich und wünschten dem Arzt weiterhin Gottes Segen. Der stand verdutzt da und konnte sich die Genesung des Todgeweihten nicht erklären. „Aber Herr Doktor“, sagte die Frau, „Sie haben mir doch moare, Sauerkrautbrühe, empfohlen und die habe ich täglich bei den Sachsen geholt und sie meinem Mann zu trinken gegeben.“

Die Krautköpfe wurden ins Krautfass eingelegt. Das war ein großer Holzbottich, sauber geschrubbt und mit brühend heißem Wasser ausgewaschen. Die halbierten Krautköpfe wurden übereinander geschichtet, allerhand Kräuter wie Dill, Meerrettich, Bohnenkraut wurden als Geschmacksgeber und zur Haltbarkeit hinzugefügt, dann wurde das Ganze mit einem großen Granitstein beschwert und eine lauwarme Salzlösung darüber geschüttet. Auf die Salzmenge kam es an und die zu treffen war eine Kunst. Bei uns in Baaßen konnte nichts schief gehen. Man fuhr zur „Merkel-Quelle“ ins „Bad“, das war ein großer Brunnen, und holte das richtige Wasser. Dann erwärmte man es leicht, trug es in den Keller und goss es über die Krautköpfe. Mit einem großen, sauberen Tuch bedeckte man die Bottichöffnung und von da ab musste die Brühe fast allabendlich durchschüttet und überprüft werden. Eine Milchsäuregärung vollzog sich schön langsam, so dass man nach einigen Wochen das Kraut essen konnte. Bei vielen kam es vor, dass die Krautköpfe weich wurden und dass die Gech, die Sauerkrautbrühe, einen Fäulnisgeruch bekam. Mit Salz versuchten sie dann ihr Kraut zu retten und hätten um nichts in der Welt ihr Missgeschick zugegeben. Ich spürte diesen Geruch, wenn ich durch die Gassen lief, und konnte genau ausmachen, aus welchem Keller er kam. Wenn ich es daheim meiner Großmutter erzählte, hörte sie zu und lächelte nur, denn sie wusste es vor mir. Aber sie lehrte mich darüber zu schweigen.

Man aß das Sauerkraut entweder als Salat zu gebratenem Fleisch oder man gebrauchte es zum Kochen. Gefülltes Kraut (Krautwickerl), Szegediner Gulasch, Klausenburger Kraut, Burgenländische Krautsuppe waren im Winter sättigende Mahlzeiten, die man auch mehrmals aufwärmen konnte. Uns Kindern schmeckten diese Krautspeisen nicht besonders, aber wir mussten sie essen, weil sonst nichts da war.

Christine Franck


Christine Frank, Baaßner Geschichten, 228 Seiten, Verlag Kastner, Wolnzach, 2003, ISBN 3-936154-93-7, Preis: 14,50 Euro, zuzüglich Versand. Zu bestellen auch bei der Autorin, Sudetenstraße 9, D-82194 Gröbenzell, oder beim Buchversand Südost, Brigitte Rill, Seebergsteige 4, D-74235 Erlenbach, Telefon: (0 71 32) 9 51 16 12, wochentags 18-21 Uhr, Fax: (0 71 32) 9 51 16 13.

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