5. März 2001

Gabanyi zur aktuellen politischen Lage in Rumänien

Die neue Regierung unter Adrian Nastase brauche "politische Stabilität, wirtschaftliches Wachstum, sozialen Frieden und eine positive Integrationsperspektive seitens des Westens", um ihre programmatischen Ziele zu verwirklichen, stellte Anneli Ute Gabanyi im Gespräch mit dieser Zeitung fest. Eine erste Bewährungsprobe stehe dem Kabinett bei den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds in diesem Monat bevor. Dann werde sich zeigen, ob es einen Kompromiss zwischen der von der neuen Regierung angestrebten Politik des "Wachstums durch erhöhte Nachfrage" und dem vom IWF imperativ vertretenen Kurs der Inflationsdämpfung durch Nachfragedrosselung geben könne. Die bekannte Rumänienexpertin Dr. Anneli Ute Gabanyi arbeitet seit Anfang dieses Jahres als wissenschaftliche Referentin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und entfaltete in den letzten Monaten eine rege publizistische Tätigkeit.
Die früher relevanten Trennlinien zwischen Kommunisten und Antikommunisten, zwischen Reformern und Reformgegnern, haben bei den letzten Wahlen in Rumänien an Bedeutung verloren. Dies habe der eindeutige Sieg der Linksparteien - Sozialdemokratischer Pol Rumäniens (PDSR), Großrumänien-Partei (PRM) und Demokratische Partei (PD) - über die Parteien des Mitte-Rechts-Spektrums deutlich gemacht, stellte Frau Gabanyi im Gespräch mit der Siebenbürgischen Zeitung fest. Anstelle der alten ideologischen Differenzen treten zunehmend wirtschaftliche und soziale Unterschiede, zudem entstehen neue Trennlinien zwischen Jung und Alt. So seien 80 Prozent der einen Million Jungwähler nicht zur Wahl gegangen oder hätten ihre Stimme jenem Politiker gegeben, "der seinen Wahlkampf als Einziger auf jugendliches Lebensgefühl und Aspekte der jugendliche Subkultur ausgerichtet" hätte - Corneliu Vadim Tudor. Seine Großrumänien-Partei habe am meisten von der Frustration der Wähler über sinkenden Lebensstandard und ungelöste soziale Probleme sowie von der wachsenden Politik- und Parteienverdrossenheit profitiert. Partidul Romania Mare (PRM) sei sowohl gemäß dem eigenen Selbstverständnis als auch aus der Sicht der rumänischen Presse und Politik eine "linke" Partei. Ihre Doktrin sei "extremistisch-nationalistisch, antisemitisch, rassistisch und fremdenfeindlich, antiwestlich, antidemokratisch und antireformistisch", stellt Gabanyi klar. Trotz einiger Überschneidungen mit der faschistischen Ideologie der Vorkriegsbewegung "Eiserne Garde" überwiegen die Anklänge an das sowjetisch-stalinistische sowie das rumänisch-nationalkommunistische Modell.
Für den "aggressiven Nationalisten und dessen Partei" stimmten überraschend viele Wähler in Siebenbürgen und dem Banat, wo bisher bei allen Wahlen die antikommunistisch-demokratischen Parteien gesiegt hatten. Gabanyi führt diese Wahlentscheidung darauf zurück, dass die Wirtschaft dieser Region, die früher einen für rumänische Verhältnisse vergleichsweise hohen Lebensstandard sicherte, in den letzten Jahren besonders drastisch zurückgegangen sei. Die Arbeitslosenzahlen liegen in manchen Kreisen Siebenbürgens und des Banats über dem Landesdurchschnitt. Aus Enttäuschung oder Protest seien deshalb viele Stammwähler von der Bauernpartei, den Liberalen und der Demokratischer Partei den Wahlurnen ferngeblieben, so Gabanyi weiter. Manche seien möglicherweise auch durch Gerüchte über ein angebliches Geheimabkommen der Iliescu-Partei mit dem Ungarnverband abgeschreckt worden. So hätten 28 Prozent der früheren Wähler der Rumänischen Demokratischen Konvention für Tudors Großrumänien-Partei gestimmt.
Die neue Regierung unter Adrian Nastase brauche "politische Stabilität, wirtschaftliches Wachstum, sozialen Frieden und eine positive Integrationsperspektive seitens des Westens", um ihre programmatischen Ziele zu verwirklichen, betont die Politologin. Eine erste Bewährungsprobe stehe dem Kabinett bei den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds in diesem Monat bevor. Dann werde sich zeigen, ob es einen Kompromiss zwischen der von der neuen Regierung angestrebten Politik des "Wachstums durch erhöhte Nachfrage" und dem vom IWF imperativ vertretenen Kurs der Inflationsdämpfung durch Nachfragedrosselung geben könne. Das Votum des IWF sei um so wichtiger, als davon Kredite von der Europäischen Union und Weltbank abhängig seien. Allerdings bezweifelt die Berliner Politologin, ob ein "striktes Junktim" zwischen den oft langwierigen IWF-Verhandlungen und der Vergabe von EU-Krediten, die für einen wirtschaftlicher und sozialen Aufschwung dringend benötigt werden, sinnvoll sei.
Die bekannte Rumänienexpertin Dr. Anneli Ute Gabanyi arbeitet seit Anfang dieses Jahres als wissenschaftliche Referentin in der Forschungsgruppe "EU-Erweiterungsperspektiven" der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Der Wechsel in die Bundeshauptstadt ist auf eine Umstrukturierung der von der Bundesregierung geförderten Forschungsinstitute zurückzuführen. Die Stiftung für Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (Ludwigkirchplatz 3-4, 10719 Berlin) berät anhand eigener Forschung und Expertise Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Das größte Forschungsinstitut dieser Art in Westeuropa (150 Mitarbeiter) ist durch die Zusammenlegung der früheren SWP aus Ebenhausen, des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln, sowie der Gegenwartskundlichen Abteilung des Südost-Instututs in München entstanden. Das Institut ist beim Bundeskanzleramt angesiedelt und wird von den Politikern in Berlin intensiv genutzt. Dadurch sind auch die Wirkungsmöglichkeiten der promovierten Politologin Gabanyi erheblich gewachsen. Sie wurde 1942 in Bukarest geboren und war von 1988 bis Ende 2000 als Rumänien-Referentin am Südost-Institut in München tätig.

Rege publizistische Tätigkeit

Die Politologin hat in den letzten Monaten eine rege publizistische Tätigkeit entfaltet. Einen Aufsatz über die "Geschichte der Deutschen in Rumänien" veröffentlichte sie im letzten Herbst in den "Informationen zur politischen Bildung", Nr. 267, zum Schwerpunktthema "Aussiedler". Gabanyi bietet einen fundierten historischen Überblick über die verschiedenen deutschen Siedlungsgruppen in Rumänien sowie deren Lage als Minderheit vor und nach 1989. Die Gründe der Aussiedlung werden dabei ebenso sachlich analysiert wie die Restriktionen und Kürzungsmaßnahmen der Bundesregierung gegen Aussiedler und Ausreisewillige. Erwähnt werden die landsmannschaftlichen Initiativen zur Beseitigung dieser "unangemessenen Benachteiligungen". Das "Aussiedler"-Heft der Informationen zur politischen Bildung kann kostenlos bei Franzis' print & media, Postfach 15 07 40, 80045 München, Fax: (0 89) 51 17 - 292, bezogen werden (Berufsangabe erforderlich). Der lesenswerte Aufsatz ist auch im Internet-Auftritt der Landsmannschaft und Siebenbürgischen Zeitung unter der Adresse http://www.siebenbuerger.de/sbz/landundleute/siebenbuerger2.html abrufbar.
Einen Aufsatz zum Thema Rumänien veröffentlichte Gabanyi im Sammelband Der Kosovo-Konflikt. Ursachen, Akteure, Verlauf, der von Konrad Clewing und Jens Reuter (Koord.) als Band 56 der D-Reihe der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit im vorigen Jahr in München herausgegeben wurde. Die Landeszentrale (Brienner Straße 41, 80333 München) stellt das 556 Seiten starke Buch ebenso wie sonstiges Bildungsmaterial allen politisch interessierten Personen in Bayern kostenlos zur Verfügung.
Ein Buch über den Personenkult Ceausescus in englischer Sprache veröffentlichte die Politologin Ende letzten Jahres im Bukarester Verlag der Rumänischen Kulturstiftung. Es umfasst Beiträge, die Gabanyi ab Anfang der achtziger Jahre für den Sender Radio Free Europe verfasst hatte. Der exakte Titel: The Ceausescu Cult. Power Politics and Propaganda in Communist Romania, Romanian Cultural Foundation Publishing House, Bukarest 2000.
Ein weiteres Buch jüngeren Datums: Anneli Ute Gabanyi, Anton Sterbling (Herausgeber): Sozialstruktureller Wandel, soziale Probleme und soziale Sicherung in Südosteuropa, Südosteuropa Gesellschaft München 2000. Südosteuropa-Studien, Band 62. 264 Seiten.
Eine Analyse über Rumänien veröffentlichte Gabanyi schließlich in: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Herausgeber), Jahrbuch der Europäischen Integration 1999/2000, Europa Union Verlag, Bonn 2000.

Siegbert Bruss

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