20. April 2003

Beachtenswerte Dissertation über Siebenbürger Sachsen

Die bedeutendsten siebenbürgisch-sächsischen und zugleich rumäniendeutschen Politiker der Zwischenkriegszeit waren Hans Otto Roth (1890-1953) und Rudolf Brandsch (1880-1953). Beide starben vor 50 Jahren, im April 1953, im politisch-kommunistischen Gewahrsam, ohne in einem Prozess verurteilt worden zu sein. Ihrem Wirken widmet Vasile Ciobanu in seinem neuen Buch „Contributii la cunoasterea istoriei sasilor transilvanenei (Beiträge zur Kenntnis der Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1918-1944) die gebührende Aufmerksamkeit.
Dr. Hans Otto Roth als Vorsitzender der deutschen Parlamentspartei im rumänischen Parlament (1924). Foto: Bildarchiv Konrad Klein
Dr. Hans Otto Roth als Vorsitzender der deutschen Parlamentspartei im rumänischen Parlament (1924). Foto: Bildarchiv Konrad Klein

Der Historiker Vasile Ciobanu beschäftigt sich als hauptberuflicher wissenschaftlicher Mitarbeiter des Hermannstädter Instituts für gesellschaftlich-humanistische Forschungen der Rumänischen Akademie schon seit längerer Zeit mit der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Studien gipfelten in einer zusammenfassenden Schau und Dissertation, mit der er an der „Alexandru-Ioan Cuza“-Universität von Jassy promovierte – es ist das hier zu besprechende Buch. Diese Dissertation ist nicht nur die erste Arbeit dieser Art in rumänischer Sprache, sondern zugleich eine der umfassendsten Gesamtdarstellungen über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen in dem Zeitraum von 1918-1944.

Die Arbeit umfasst nach der Einleitung folgende Kapitel:

- Die Zustimmung der Sachsen zur Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien.

- Wirtschaftsleben : Industrie, Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Bankwesen.
Politisches Leben: Völkische und politische Organisationen und Parteien, parlamentarische Tätigkeit, „Erneuerungsbewegung“, die Sachsen und der Wiener Schiedsspruch (in der rumänischen Literatur als „Wiener Diktat“ bezeichnet), die „Volksgruppenära“ unter Andres Schmidt, die Haltung der Sachsen zu den wichtigsten innen- und außenpolitischen Ereignissen.

- Kulturleben: Stellenwert der Kultur in der sächsischen Gesellschaft, Schulwesen, wissenschaftliche Leistungen, Pressewesen, bildende Kunst, Musik, Theater (Es fehlt das literarische Schaffen).

Die Dissertation Ciobanus stützt sich auf eine umfangreiche Dokumentation, die über den Stand der bisherigen Forschung hinausgeht – auf Archivstudien, deutsche und rumänische Presse, Memoiren, Parlamentsdebatten, Amtsblätter mit gesetzlichen Verordnungen und verständlicherweise auf die veröffentlichte Fachliteratur. Der Autor hat ein sehr umfangreiches Faktenmaterial aus den Sekundär- und Primärquellen zusammengetragen. Darin liegt die Stärke und Schwäche der Arbeit. Zunächst die Stärke: das reiche Faktenmaterial macht das Buch zu einer wahren Dokumentationsquelle, die viele Namen von Personen, Institutionen, Einrichtungen, Verbänden und Vereinen, historische sowie statistischen Daten umfasst. Die Schwäche ergibt sich andererseits daraus, dass Fakten streckenweise bloß genannt werden, ohne ausgewertet zu werden. Für den in die Geschichte der Sachsen nicht eingeweihten rumänischen Leser kommt noch hinzu, dass er durch die Datenfülle ohne zusätzliche Erklärungen überfordert ist.

Sächsischerseits ist indessen in der Arbeit Ciobanus hoch einzuschätzen, dass er die Präsenz der Sachsen in Dörfern und Städte sowie ihre Leistungen nicht wie gewöhnlich in der rumänischen Geschichtsschreibung zu minimalisieren und zu vertuschen versucht, sondern die Tatsachen beim Namen nennt. So erfährt der rumänische Leser, welchen Stellenwert die Sachsen, zum Teil auch die übrigen rumäniendeutschen Volksgruppen, in Rumänien bis 1944 eingenommen haben. Der Autor weist darauf hin, dass sie auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ein Spitzenposition besetzt haben und ein erstrangiger Zivilisationsfaktor des Landes sowie loyale Staatsbürger des neuen rumänischen Vaterlandes waren, die sich am politischen Geschehen aktiv beteiligten. Der Verfasser verzeichnet das starke Gemeinschafts- und Nationalbewusstsein der Sachen sowie ihren Einsatz zur Wahrung ihrer ethnischen Eigenart. Diesem Bestreben dienten neben ihren eigentlichen Aufgaben die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Organisationen, Verbände und Einrichtungen. Die Tatsache, dass die Sachsen in den Jahren nach der Vereinigung mit Rumänien weiterhin Erfolge auf den verschiedensten Gebieten erzielen konnten, betrachtet Ciobanu als Beweis dafür, dass sie im neuen Vaterland günstige Entfaltungsmöglichkeiten hatten, und er sieht keine Benachteiligung der nationalen Minderheiten durch die rumänische Politik. Es trifft zwar zu, dass sich die Deutschen in Rumänien im Vergleich zu jenen in Ungarn einer weit besseren Rechtslage erfreuten: Aber es ist auch nicht zu übersehen, dass keine rumänische Regierung die Versprechen der Nationalversammlung von Karlsburg (1. Dezember 1918) und die Bestimmungen des Minderheitenschutzvertages von 1919 erfüllt hat, dass eine Reihe von wirtschaftlichen, schulischen, administrativen u. a. Maßnahmen die nationalen Minderheiten benachteiligten, wie beispielsweise die Agrarreform von 1921, die Verdrängung von Angehörigen der Minderheiten aus staatlichen Institutionen, Eingriffe in die schulische Autonomie, verkappte oder offensichtliche Rumänisierungsmaßnahmen u. a. Ciobanu erwähnt diese Tatsachen zwar, entschuldigt sie aber damit, dass sie notwendig gewesen wären, um die Benachteiligung der Rumänen Siebenbürgens aus der Zeit ihrer „Fremdherrschaft“ (!) vor 1918 wettzumachen. Wir glauben, dass man im 21. Jahrhundert auf die unhistorische Einschätzung, welche die siebenbürgischen Rumänen vor dem Anschluss an Rumänien unter Fremdherrschaft sieht und aus dem Vokabular der legitimistischen und nationalstaatlich orientierten historiographischen Sicht stammt, verzichten kann. Die Historiker Lucian Boia und Sorin Mitu haben durch ihre Studien zur Entmythologisierung der rumänischen Geschichte den Weg dazu eröffnet. Wir werden bei anderer Gelegenheit auf deren Arbeiten hinweisen. Ciobanu selbst liefert seinerseits für die sächsische Geschichtsschreibung Sichtweisen, die auch zum Mythenabau beitragen könnten.

Die Sachsen konnten ihre völkischen Einrichtungen nur aufrechterhalten, weil sie dafür große Opfer erbracht haben, denn nach der Enteignung eines großen Teiles des Grundbesitzes der evangelisch-sächsischen Kirche, der Gemeinden und der Nationsuniversität durch die Agrarreform mussten sie sich hohe Kirchensteuern auferlegen, um Kirche und Schulen erhalten zu können, da die staatlichen Zuschüsse bloß einen geringen Teil ausmachten.

Die wichtigsten siebenbürgisch-sächsischen und zugleich rumäniendeutschen Politiker der Zwischenkriegszeit waren Hans Otto Roth (1890-1953) und Rudolf Brandsch (1880-1953), derem Wirken verständlicherweise die gebührende Aufmerksamkeit in der hier besprochenen Arbeit geschenkt wird.

Einige Anmerkungen zur Volksgruppenzeit unter Andreas Schmidt. Man kann der Einschätzung Ciobanus zustimmen, dass nach der nationalsozialistischen Gleichschaltung der deutschen Volksgruppe und deren Unterordnung unter reichsdeutsche Stellen, durch verschiedene Vorschläge aus diesem Kreise über Errichtung eines autonomen Siebenbürgen und Banat bzw. Donausstaates unter reichsdeutschem Protektorat sowie durch vage Überlegungen zur Bewaffnung der Sachsen berechtigterweise Zweifel in rumänischen Kreisen über die Loyalität der Sachsen und Schwaben gegenüber Rumänien aufkamen. Vom Verhalten der Volksgruppenführung und ihres Anhangs sollte man jedoch nicht auf die Haltung der rumäniendeutschen Mehrheit als Ganzes schließen, denn die war bei weitem nicht in diesem Sinne nationalsozialistisch durchdrungen, so dass die Kollektivschuld, mit der alle Rumäniendeutschen nach dem 23. August 1944 belastet wurden, sich nicht aus der historischen Realität ergibt. Die Rumäniendeutschen haben keinen „Staat im Staat“ gebildet und waren auch keine fünfte Kolonne Hitler-Deutschlands. Sie haben nämlich auf die rumänische Innen- und Außenpolitik keinen Einfluss ausgeübt, die Regierung von Ion Antonescu hat immer über soviel Autorität verfügt, um die Volksgruppenführung in die Schranken zu weisen und hat einige ihrer Vorstellungen als Hirngespinste betrachtet. In dem hier rezensierten Buch ist diese Problematik zwar erfasst, der Verfasser vermeidet es aber zum Teil seinen Standpunkt eindeutig zu äußern und belässt es bei referierender Darstellung.

Um so eindeutiger drückt er sein Anliegen in den Schlussfolgerungen seiner Dissertation aus: „Die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, als integrierender Bestandteil der Geschichte Rumäniens“, so Ciobanu, “darf aus unsern Lehrbüchern der Vaterlandsgeschichte nicht fehlen und nicht aus dem seit langem erwarteten Traktat der Geschichte Rumäniens. Und dieses aus dem Grunde, weil unabhängig davon, wo sich die Sachsen heute befinden oder morgen befinden werden, sie oder ihre Vorfahren sich 1918-1944 hier auf dem Boden Großrumäniens befunden haben, das 1940 durch die Großmächte jener Zeit verstümmelt wurde.“ Ciobanu stellt fest, dass die Sachsen während ihrer mehr als 800-jährigen Präsenz in Siebenbürgen bleibende Spuren hinterlassen haben, die nicht übersehen werden können und wie alle Zeugnisse der Geschichte bewahrt werden müssen, ohne dabei die historische Wahrheit zu schädigen“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Michael Kroner


Vasile Ciobanu: Contributii la cunoasterea istoriei sasilor transilvaneni (Beiträge zur Kenntnis der Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1918-1944). Sibiu / Hermannstadt, Hora Verlag, 2001, 470 Seite, Preis 25,00 Euro. Das Buch kann beim Siebenbürgen-Institut, Schloss Horneck, 74831 Gundelsheim bestellt werden.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 6 vom 15. April 2003, Seite 5)

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