6. Juli 2003

Siebenbürgischer Krebsforscher gewürdigt

Im Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin-Buch wurde nach eineinhalbjähriger Bauzeit ein für 18 Millionen Euro errichtetes Labor- und Bioinformatik-Zentrum eröffnet. Es ist Teil des Biotechnologieparks auf dem Campus Berlin-Buch und zählt zu den größten derartigen Einrichtungen in Deutschland. Der Neubau wurde nach Professor Arnold Graffi benannt. Graffi wurde am 19. Juni 1910 in Bistritz in Siebenbürgen geboren.
Graffis Entdeckungen trugen maßgeblich zum heutigen Verständnis der molekularen Krebsentstehung bei. Der Siebenbürger identifizierte mehrere krebsauslösende Viren, von denen einige nach ihm benannt sind. Von 1948 bis 1975 war Graffi am Akademieinstitut für Medizin und Biologie und am Institut für Experimentelle Krebsforschung - heute Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin - in Berlin tätig. Für seine wissenschaftlichen Verdienste erhielt er zahlreiche Ehrungen im In- und Ausland, darunter 1979 den Paul-Ehrlich-Preis und 1995 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Arnold Graffi blieb seiner siebenbürgischen Herkunft verbunden. Sein Interesse an Veranstaltungen, die beispielsweise die Landsleute in Berlin durchführen - bei denen auch von Graffi komponierte Klaviermusik vorgetragen wurde -, ist seit Jahren eine feste Größe in den Planungen der Landesgruppe Berlin. Bei den Feierlichkeiten zur Einweihung des neuen Arnold-Graffi-Hauses am 13. Juni, an denen der Geehrte aus Altersgründen nicht teilnehmen konnte, hielt Prof. Dr. Heinz Bielka, ein Graffi-Schüler, die Laudatio, aus der wir im Folgenden einige Passagen veröffentlichen.

Mit dem heute offiziell seiner Bestimmung zu übergebenden Gebäude ehren wir durch Namensgebung und eine Büste einen Wissenschaftler, der nahezu dreißig Jahre hier tätig war und mit seinen Arbeiten das wissenschaftliche Profil und Ansehen des nach dem Zweiten Weltkrieg unter schwierigen Bedingungen gegründeten Akademieinstituts für Medizin und Biologie in Berlin-Buch wesentlich geprägt und die Krebsforschung weit über die Grenzen Deutschlands hinaus zu internationaler Anerkennung geführt hat: Professor Dr. Arnold Graffi.

Der Krebsforscher Professor Arnold Graffi. Foto: Bildarchiv der Akademie der Wissenschaften Berlin
Der Krebsforscher Professor Arnold Graffi. Foto: Bildarchiv der Akademie der Wissenschaften Berlin

Arnold Graffi wurde am 19. Juni 1910 in Bistritz in Siebenbürgen geboren. Von 1930 bis 1935 studierte er in Marburg, Leipzig und Tübingen Medizin. Nach dem Studium absolvierte er zunächst seine Ausbildung zur Approbation als Arzt durch klinische Tätigkeiten an der Berliner Charité in der Gynäkologischen Klinik bei Professor Wagner, wo auch seine Promotion entstand, sowie von 1937 bis 1939 in der Chirurgischen Klinik bei Professor Sauerbruch. Danach widmete er sich der experimentellen Medizin, womit seine wissenschaftlichen Wanderjahre begannen: Von 1939 bis 1940 arbeitete er bei Professor Otto im Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt, 1941 bei dem Pathologen Professor Hamperl an der Karls-Universität in Prag, 1942 bei Professor Huzella im Histologischen Institut der Universität Budapest, 1943 bei Professor Junkmann bei der Schering-AG in Berlin und 1944 bei Otto Warburg im Kaiser-Wilhelm-Institut für Zellphysiologie. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er zunächst an den Hygieneinstituten in Perleberg und Potsdam tätig. 1948 habilitierte er sich für experimentelle Pathologie an der Berliner Charité. Schon zu dieser Zeit war er auf dem Gebiet der Onkologie durch seine Arbeiten über die Aufnahme und Verteilung krebserregender polyzyklischer Kohlenwasserstoffe in Zellen international bekannt. Daher holte Professor Walter Friedrich, Direktor des Bucher Akademieinstituts für Medizin und Biologie, Arnold Graffi 1948 nach Buch, um hier die experimentelle Krebsforschung aufzubauen. Graffis Befunde über die Speicherung kanzerogener polyzyklischer Kohlenwasserstoffe vor allem in Mitochondrien führten zur Weiterentwicklung der 1928 von Karl-Heinrich Bauer entwickelten Mitochondrien-Mutationstheorie der Krebsentstehung. Seitdem haben ihn die Mitochondrien nie richtig losgelassen.
Ein weiteres umfangreiches Forschungsgebiet von Arnold Graffi waren Arbeiten über die Kanzerogenese durch chemische Substanzen, speziell durch verschiedene polyzyklische Kohlenwasserstoffe, Azoverbindungen, Urethane und Nitrosamine. Diese Arbeiten führten zur Entdeckung neuer krebserregender Verbindungen und zur Erweiterung unserer Kenntnisse über Struktur-Wirkungs-Beziehungen und über Dosis-Wirkungs-Beziehungen der krebserzeugenden Wirkung chemischer Stoffe und damit zu wichtigen Beiträgen über chemische und biologische Gesetzmäßigkeiten sowie des Mehrstadienprozesses der chemisch bedingten Krebsentstehung.
Von besonderer Bedeutung sind Graffis Arbeiten über die Virusätiologie von Geschwülsten, mit denen er bereits 1938 in der Sauerbruchschen Klinik begonnen hatte. In Berlin-Buch gelang ihm dann mit seinen Mitarbeitern die Entdeckung und umfassende Charakterisierung verschiedener neuer onkogener Viren, von denen zwei als Graffi-Viren in die Literatur eingegangen sind. Das in Buch 1954 entdeckte Graffi-Virus der murinen myeloischen Leukämie war das erste bekannt gewordene exogene Retrovirus bei Säugetieren. 1959 erschien das unter der Federführung von Arnold Graffi verfasste Buch "Probleme der Experimentellen Krebsforschung", - auch mit fremdsprachigen Übersetzungen -, in dem der Stand des Wissens auf diesem Gebiet bis zu dieser Zeit zusammengefasst wurde. Dieses Buch gehörte wie auch das Buch von Karl-Heinrich Bauer "Das Krebsproblem" damals zu den Standardwerken auf dem Gebiet der Onkologie.
Die wissenschaftlichen Arbeiten von Professor Graffi wurden in verschiedener Weise vielfach geehrt. Von 1962 bis 1970 war er Vertreter Deutschlands in der International Union Against Cancer, 1962 wurde er zum Korrespondierenden Mitglied der American Association for Cancer Research gewählt, 1981 zum Ehrenmitglied der European Association for Cancer Research, 1961 zum Ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und 1964 zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. 1955 und 1980 wurde er mit dem Nationalpreis für Wissenschaft und Technik der DDR ausgezeichnet. 1979 erhielt er in einem Festakt in der Frankfurter Paulskirche durch den Bundespräsidenten den Paul-Ehrlich-Preis überreicht. 1977 wurde er für sein wissenschaftliches Gesamtwerk mit der Cothenius-Medaille der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina geehrt. Zu der Trägern dieser hohen Auszeichnung gehören so namhafte Wissenschaftler und Ärzte wie Christoph Wilhelm Hufeland, Ernst Haeckel, Emil Fischer, Rudolf Virchow, Emil Abderhalden, Kurt Mothes, der Namensgeber der Herz-Kreislaufklinik Franz Volhard sowie Ernst Ruska und Karl Lohmann. 1984 wurde Arnold Graffi sodann mit der Helmholtz-Medaille der Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet, eine Ehrung, die u.a. auch Emil Du Bois-Reymond, ebenfalls Rudolf Virchow und Emil Fischer sowie Wilhelm Conrad Röntgen, Hans Stubbe und Karl Lohmann zuteil wurde. 1990 erhielt Arnold Graffi die Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig und 1995 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Professor Graffi hat all diese Ehrungen stets mit der ihm eigenen Bescheidenheit, wenngleich verständlicherweise auch mit großer Freude und Dankbarkeit entgegengenommen.
Unter Arnold Graffi entwickelte sich in der Krebsforschung in Buch in einer geistig gesunden, durch Vertrauen, Aufgeschlossenheit und moralische Gemeinsamkeiten sowie durch ehrliches menschliches Miteinander bestimmten Atmosphäre eine erfolgreiche "Graffi-Schule". Sie war ein Festland, in dem sich in der DDR trotz vieler politischer Schwierigkeiten für nicht wenige Menschen Persönlichkeiten reiner Gesinnung entwickeln konnten, in dem menschliche Würde gewahrt und geachtet wurde und sich bewähren konnte. Es war eine Gemeinschaft ohne Einschränkung der Freiheit des Einzelnen. Arnold Graffi war eine Autorität ohne Autoritätsanspruch. Seine Forderungen vollzogen sich ohne Zwang und herrisches Gehabe. Er leitete, führte und stimulierte feinfühlig und achtete die Entwicklung von Individualität und Selbstständigkeit, der er nach Absolvierung eines bestimmten wissenschaftlichen Pensums und Erreichen sichtbarer Erfolge freien Raum für eigene wissenschaftliche Wege gab. Wir lernten gewissenhaftes Arbeiten und unmissverständliches Streben nach unteilbarer Wahrheit.

Heinz Bielka

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