23. April 2001

Oskar Pastior erhielt Peter-Huchel-Preis

„Mit dem ‚Peter-Huchel-Preis‘ soll eine Autorin oder ein Autor ausgezeichnet werden, die oder der durch ein im zurückliegenden Jahr erstmals in Druckform erschienenes Werk einen besonders bemerkenswerten Beitrag zur Entwicklung der deutschsprachigen Lyrik geleistet hat. Eine Bewerbung um den Preis ist nicht möglich.“ So steht es in der Satzung des mit 20 000 Mark dotierten Literaturpreises zu lesen, den das Land Baden-Württemberg und der Südwestfunk seit 1984 alljährlich am 3. April, dem Geburtstag Peter Huchels, in Staufen bei Freiburg verleihen, wo der Lyriker seine letzten Lebensjahre verbrachte. Den Preis, der von einer unabhängigen Jury vergeben wird, erhielt in diesem Jahr Oskar Pastior, vor ihm waren dies unter anderen Ernst Jandl, Günter Herburger, Sarah Kirsch, Jürgen Becker, Durs Grünbein, im letzten Jahr Adolf Endler.
Dass Oskar Pastior, „einer der wenigen wahrhaft witzigen Köpfe unserer Gegenwartsliteratur“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1987), der „als Sprachkünstler und Wortakrobat einen Kultstatus in der Lyrik hat“ (SWR, 2001), schon seit Jahren zu den genannten namhaften Dichterkollegen zählt, ist mittlerweile selbstverständlich. Seine Publikationen, seit 1964 rund 20 Gedichtbände, Hörspiele, Übersetzungen, Poetikvorlesungen, brachten ihm Preise ein – vor kurzem verlieh ihm die Hermannstädter Universität den Ehrendoktortitel – ebenso die Wertschätzung der einschlägigen kritischen Öffentlichkeit, die dem „lingualen Neutöner“ attestiert, „nicht nur das Lautgedicht und das Prosagedicht, Anagramm, Sonett und Sestine in unserer Sprache mit den schönsten Beispielen bereichert, sondern auch die Poesie um Gattungen erweitert“ zu haben, „von denen wir nichts ahnten“ (Süddeutsche Zeitung, 1997).
Anlässlich der Preisverleihung im altehrwürdigen Stubenhaus in Staufen, vor Ehrengästen, Pastior-Begeisterten und Literaturinteressierten schlechthin, wurde der Ausnahmestatus des Dichters Pastior und seiner in „pastior“ verfassten Texte durch die ehrenden Ansprachen, vor allem aber durch die hinreißende Lesart des Autors selbst, noch einmal deutlich. Wer den lesenden Pastior nicht erlebt hat, ist um eine Dimension von „pastior“ ärmer.
Schon längst schien auch Michael Sieber, Staatssekretär im baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, um Pastior gewusst zu haben: als er ihm den Preis übergab waren seine Statements im zeitgenössischen Literaturkontext, war sein Wissen profund um die Biografie des im siebenbürgischen Hermannstadt Geborenen, als Gymnasiast zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion Deportierten, des 1968 aus Rumänien Geflüchteten, der in Bukarest als Rundfunkredakteur gearbeitet hatte und heute in Berlin als freischaffender Autor lebt. Der Redner würdigte ganz besonders, dass dieser Zeitgenosse nicht „die Narben der alten Wunden leckt“, sondern sich seinen naiven Humor bewahrt habe, mit dem er, gepaart mit genialer Kreativität, so erfolgreich „den Balanceakt auf dem Hochseil über sprachlichen Schluchten“ vollziehe.
Der Laudator, Ernest Wichner vom Literaturhaus Berlin, erwies sich dann als intimer Kenner der Werkstatt und des Werkes Oskar Pastiors. Geradezu symbolisch war sein Einschwingen in das literarische Credo, die Weltsicht und den pointen- und kapriolenreichen Gedankengang des Meisters, aus dessen literarischem Werdegang er Relevantes anekdotisch herüberbrachte, aber auch sibyllinisch kündete: „...denn Chaos und Rätsel zu mehren, Komplexitätssteigerung ist die vornehmste Selbstverpflichtung der Poesie“.
Dem Diktum fügte er dann allerdings Erhellendes bei: Bei der Ausleuchtung von Wegstrecken der Entstehung von Pastiors Texten wurde klar, dass alles, was dem Leser verwirrend, inkohärent, wie willkürlich, spielerisch zugefallen erscheint, im Grunde „Folge eines komplexen Denkprozesses“ ist. Bekanntlich ist ja jeder Verständnis- und Verständigungsprozess eine Form der Übersetzung in die eigene Erfahrungswelt der Worte, der Gedanken. Nach Pastior ist dieser Vorgang, auch im herkömmlichen Sinn, „ein Vorgang, den es nicht gibt“. Statt dessen schlägt er „Üb Ersetzen“ vor, und gerade auch im preisgekrönten Band „Villanella & Pantum“ demonstrieren die Texte (Villanella, eine italienische Reimform aus dem 16. Jahrhundert; Pantum, Gedichtform von den malaiischen Inseln, beides Bauformen der Poesie, die ihre mythische Erbschaft in Regelwerk, Wiederkehr von Metren, Reimen, syntaktischen Elementen und Klängen vermitteln), wie Übersetzen zum Beispiel die systematische Angleichung von Texten aus zwei Sprachen, das rein äußerliche Angleichen zweier Klangkörper sein kann, sie erfolgt als „Oberflächenübersetzen“, oder aber sie arbeitet wie eine „Textmaschine“, wenn sie nach der N+7-Methode der Oulipoten (Gruppe experimenteller Dichter) aus dem Deutschen in „pastior“ das „Ersetzen“ übt: Das Wort des Ausgangstextes wird mit dem 7. der gleichen Wortart, das im Wörterbuch folgt, ersetzt. Aus Goethes „Seliger Sehnsucht“ wurde der Pantumtitel „Seltener Sehwinkel“.
Es ist System, Regelwerk Architektur, es ist aber, paradox davon herbeigeführt, zugleich der Schwund des Konkreten. Der Hörer wird zwar beim Versuch des Andockens am Bekannten, begrifflich Nachvolziehbarem belassen, gleichzeitig aber wird sein herkömmliches Rezeptionsvermögen tüchtig durcheinander gewirbelt, und er überlässt sich erstaunlich offen dem Milieu der Geräuschmusik, der puren Freude, Oskar Pastior zu folgen am Leitfaden der Überraschungen, der mitschwingt im Rhythmus: mild, sich steigernd, rappend, swingend, schrill, atemlos und dann wieder besinnlich, wenn man ihm lauscht.
Natürlich war auch die Danksagung dieses Geehrten keine herkömmliche: Wie mit Hexeneinmaleins berechnet, begann ein geniales Verwirrspiel: Das Wort „Danksagung“ wurde nach numerischer Transformation des Alphabets gewichtet (A gleich 1, B gleich 2 usw.), dann für jedes Wort, jede Zeile nochmals ein Zahlenwert berechnet, was dann die Grundlage der Textgestaltung ergab. Zahlenmystik, Lettermagie? Pastior zauberte aus der „Buchstabensuppe“ zwei Danksagungen, so köstlich und blitzgescheit, dass ihr Genuss einmaliges Vergnügen bereitet hat.
Quod erat pantumandum? Dass hier ein begnadeter Schelm nicht durch Schabernak eines Besseren zu belehren trachtet, sondern dass es einem genialen Sprachschöpfer gelingt, auch skeptische Hörer, Leser in eine Zeit über-zu-setzen, da Sprache (fast) frei vom Gewicht der Begriffe war, ist, sein wird?!

Karin Servatius-Speck



Oskar Pastior liest in der Lyrik-Reihe der Badischen Zeitung „Dichter erklären Dichter“ im Freiburger BZ-Haus am 17. Mai, 20.00 Uhr.

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