8. August 2003

Ernst Irtel: "Seien wir alle dessen eingedenk"

Leserecho zum Nachruf auf den Musikerzieher und Komponisten Ernst Irtel (9. Februar 1917 - 8. Juli 2003).
"In diesem Büchlein habe ich versucht, Carl Filtschs Bild aus dem Staub der Vergangenheit ans Licht zu holen und es dem Schicksal des Vergessenwerdens zu entreißen. Dieses mit den höchsten Gaben der Kunst beschenkte Kind hat vor hundertfünfzig Jahren durch sein Spiel, das auf europäischer Höhe stand, seine Mitwelt zu höchster Begeisterung entzündet und der Musik eines der größten Meister seiner Zeit – Chopin – zu internationaler Berühmtheit verholfen. Seien wir alle dessen eingedenk."

Mit diesen Worten schließt die vor zehn Jahren erschienene Biographie "Der junge siebenbürgsche Musiker Carl Filtsch (1830 – 1845) - Ein Lebensbild von Ernst Irtel", ein Büchlein, aus dem in jeder Zeile die tiefe Bewunderung für das Schaffen des Mühlbacher Wunderkindes spricht. Ernst Irtel wendet sich mit diesem Werk an alle Freunde der Musik und findet breiten Zuspruch. Es ist die Sprache eines musikalischen Lebens, die den Leser unmittelbar einfängt, es ist aber auch die vertraute Sprache des einfühlsamen Künstlers und Lehrers, die zu einer besonderen Begegnung mit dem Pianisten Filtsch einlädt.

Ernst Irtel bei einem Liederabend am 27. April 1997 in Gundelsheim. Zeichnung von Dr. Walter Hutter.
Ernst Irtel bei einem Liederabend am 27. April 1997 in Gundelsheim. Zeichnung von Dr. Walter Hutter.

"Und wenn ich selber längst gestorben bin, wird meine Erde wieder blühend stehen." Diese Worte aus einem von Irtel vertonten Gedicht klingen nach und werfen unsere Erinnerung in das Frühjahr des Jahres 1997 zurück. Am 27. April kamen zwei Künstler, um ein Konzert auf Schloss Horneck, dem letzten Wohnort Irtels, zu geben. Die Sopranistin Marlene Mild und der Pianist Torsten Kaldewei bestritten einen unvergesslichen Liederabend, der auch Vertonungen von Irtel im Programm hatte. Zutiefst empfand er rezitierend die Texte seiner Lieder nach, so dass insgesamt ein Abend voller Leben die Zuhörer verzauberte. Erst jetzt, im Eingedenken begriffen, halten wir die Verse erneut in den Händen und lesen betroffen:
"Wenn, die stillen Nächte kommen, nicht ein Lüftchen schauernd weht, singt so süß im dunklen Garten noch die Nachtigall bis spät, daß im Traum mir aufersteht, was im Herzen längst genommen. Und die Sehnsucht wandern geht, wenn die warmen Nächte kommen." "Schließe mir die Augen beide mit den lieben Händen zu, geht doch alles, was ich leide unter deiner Hand zur Ruh." Irtel ergriff diese Aussagen durch seine feinste Sensibilität der Sprache und des Ausdrucks ganz im Künstlerischen und Musikalischen. Er äußerte sich so gut wie nie über das eigene Lebensende. Seine unermüdliche Tätigkeit bis ins hohe Alter hinein gab ihm wertvolle schöpferische und künstlerische Kraft. Dem Tod verlieh er dadurch die Ausstrahlung einer fortgesetzten inneren Geste über das irdische Leben hinaus.

Aus vollen Regalen schenkte er uns Schülern regelmäßig Bücher. Eine Goethe-Biographie zum Beispiel oder Hamsuns „Segen der Erde“, Erzählungen von Tolstoi und vieles mehr. Wir lasen sehr aufmerksam, denn der Schalk fragte uns aus. Details wollte er wissen, als kenne er die Bücher nicht. Doch wenn wir einmal einen Unsinn erzählten, überführte er uns mit einem freundlich spitzen „so so ...!?“.

Irtel zählte nicht zu den Musiktheoretikern im eigentlichen Sinn, sondern er war Musiker aus Fleisch und Blut, gesprächsbereit, offen und anspruchsvoll, aber zugleich bescheiden. Umso größer war die Wirkung der Uraufführung seiner Miniaturen für Violoncello und Klavier durch die Cellistin Elizabeth Ramsay und den Pianisten Christoph Roos am 4. Dezember 1996. Es sind die Erfolge der letzten Jahre, durch die sich Irtel der heutigen Zeit stellte. Er wollte die Welt darüber hinaus in vielen Gesprächen immer wieder aktuell und neu verstehen.

Noch vor einem Jahr fuhren wir in heiterer Ausflugsstimmung gemeinsam zum Wohnhaus von Brahms nach Baden Baden. Er stellte entsetzt fest, dass auf dem Balkon des Hauses von Clara Schumann, das in der Nähe liegt, die Wäsche schlampig aufgehängt war. „Die haben keine Ahnung von Musik“ zischelte er uns ins Ohr. Seine Mundwinkel verrieten dabei etwas von dem Genuss der Situation, im Park, am Bach, vor dem Haus in der Lichtentaler Allee, in der wir uns befanden.

Die Kunst, der Humor, seine innere Tiefe und Kraft ließen uns Schüler zu ihm aufblicken. Dabei verehrte Ernst Irtel am meisten von uns allen. Wir danken Dir lieber Freund und Lehrer von ganzem Herzen.

Dr. Walter Hutter, Tübingen

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