18. Oktober 2003

Gelungener Dokumentarfilm

In der Reihe „Unter unserem Himmel“ zeigte das Bayerische Fernsehen am 31. August den sehenswerten Dokumentarfilm von Ludwig Ott „Eine Reise zum Zigeunerkönig“. Selbst Kenner des Landes und in Siebenbürgen Aufgewachsene konnten viel Informatives über die Lebensumstände der Zigeuner erfahren. Vor allem die Darstellung der seit Generationen ausgeprägten Berufszweige und sozialen Rangordnungen der einzelnen Clans sind im Film gut herausgearbeitet.
Zu Beginn werden Wandermusiker der „Baiesi“ (Zigeuner aus den Bergen) gezeigt, die, auf dem Weg zu einer Zigeunerhochzeit, in Reußmarkt einen Zug besteigen und im Abteil spielen: ein Taragotspieler, ein Geiger, ein Akkordeonspieler und ein Trommler. Die Lovara-Zigeuner von Talmesch, Pferdezüchter, die wir von Ausflügen zur Landskrone oder aus dem Hermannstädter Stadt- und Marktbild schon früher kannten, sind mit ihrem Bulibascha, dem Stammesältesten des Clans namens Baca, im Bild eingefangen. Dieser führt die Kameraleute in seiner Dacia auf die Pferdeweide, um ihnen stolz seine Zuchtpferde zu zeigen. Das von ihm gesprochene „Romanes“ belegt seine ursprüngliche Herkunft aus Indien. Eigens für die „Gatsches“, die Fremden, präsentiert der Bulibascha in einem seiner Häuser seine Silberpokale, wertvollster Besitz der Familiensippe. Diese vielleicht 200 bis 300 Jahre alten Silber- und Goldschmiedearbeiten (vermutlich von siebenbürgisch-sächsischen Meistern gefertigt) bestimmen den Reichtum einer Familie.

Interessant ist die Beschreibung solcher „Zigeunerbecher“ durch den Volkskundler Emil Sigerus, der schöne silberne Humpen, Becher und Kannen bei Zigeunern und auch bei Vertrauens-Kaufleuten besichtigt, untersucht und ihre Herkunft teilweise bestimmt hat (Emil Sigerus: Volkskundliche und kunstgeschichtliche Schriften, Kriterion Verlag Bukarest, 1977, herausgegeben von Brigitte Stefani, Seite 156-158).

Nächster Drehort ist die Siedlung „Prislop“ der „Fulgarii“-Zigeuner oberhalb des Michelsberger Silberbaches, wo 50 Familien vom Körbeflechten und Besenbinden leben. In Albac, einer Ortschaft in den Westkarpaten, findet ein großer Viehmarkt statt. Die Lovara-Pferdezüchter sind nicht gekommen, dafür aber die ungarischen Spengler-Zigeuner, die Gabors mit Vater und Sohn, auf der Suche nach Aufträgen für Dachrinnen- und andere Arbeiten.

Die einflussreichste Kaste der Roma scheinen die Caldarari-Zigeuner, die Spengler und Eisenschmiede zu sein, auf die sich die Macht des Zigeunerkönigs Ioan Cioaba in Hermannstadt stützt. Im nahen Neppendorf zeigt der Film einige der reichen Häuser mit angeschlossener Werkstatt, in denen auf primitive, althergebrachte Weise Schnapskessel und andere Erzeugnisse für den ländlichen Bedarf hergestellt werden. Auch die Kesselflicker und Cortotorar-Zigeuner gehören zum großen Clan um König Cioaba.

„Zigeunerprinzessin“ Luminitza ermöglichte es dem Kamerateam durch ihre Mitarbeit und fachliche Beratung, auch im Königshaus zu filmen. So sind der König und seine Insignien, die Krone, Szepter und Amtskette, alles aus schwerem Gold und reichverziert mit Edelsteinen, zu bestaunen. Bereits 1991 hatte sich der ehemalige Bulibascha, der uns noch vom Zibinsmarkt her, meist mit 5-7 Frauen (samt Kindern an den Rockzipfeln) im Schlepptau, als vertrautes Bild in Erinnerung ist, zum König der Roma ausgerufen. Der heutige König ist der Sohn dieses inzwischen verstorbenen Bulibascha.

Am Beispiel einer Totenfeier, der vorangehenden Totenwache und dem Abschiednehmen der Verwandten aus der „Schatra“, dem Familienclan, von einer in der Neppendorfer Nachbarschaft verstorbenen Zigeunerin zeigt der Film die Beerdigungsrituale bis hin zum Weg auf den Friedhof mit dem offenen Sarg unter Begleitmusik und schwermütigem Gesang.

Fremd wirken die Aufnahmen von einer Hochzeit bei den „Baiesi“ im Zigeunerviertel von Jina, der bekannten Marginime-Gemeinde nahe Saliste. Dokumentiert werden die Hochzeitsbräuche anlässlich der Verbindung einer 15-jährigen Braut mit ihrem 17-jährigen Bräutigam unter Beteiligung fast aller Dorfbewohner aus dem Viertel. Die eingangs des Filmes aufgetretenen Wandermusiker stellen die Hochzeitskapelle. Hier schließt sich der Kreis dieses gelungenen Dokumentarfilms, der interessante und wissenswerte Aspekte aus dem Leben der Roma in Siebenbürgen zeigt und bei dem als Dolmetscher Andreas Lutsch mitgewirkt hat, wohl ein Landsmann von uns.

Walter Klemm


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