15. Juni 2001

Hannes Schuster: Heimattag des Zusammenhalts und gleichermaßen der Öffnung hin zum Dialog

Über 10 000 Besucher aus ganz Deutschland, aus Österreich, Übersee und dem Herkunftsland Rumänien haben beim diesjährigen Pfingsttreffen der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl erneut ihren historisch überlieferten Gemeinsinn und zugleich ihre Bereitschaft zu humanem Miteinander bekundet. Dazu hatte das Motto der dreitägigen Veranstaltung aufgerufen: „50 Jahre Heimattage der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl: Zusammenhalt üben – Partnerschaft stiften.“ Verweisen wollte die Landsmannschaft damit nicht nur auf ihre Rolle als Träger gruppenspezifischen Selbstverständnisses in einer Welt zunehmender Vereinzelung, sondern auch auf ihre Bemühungen um grenzüberschreitenden Brückenschlag, den sie im Ergebnis der Toleranzerfahrung aus jahrhundertelangem Zusammenleben in einem multiethnischen Raum schon zu Zeiten des Eisernen Vorhangs praktiziert hat und heute in den europäischen Einigungsprozess nutzbringend einbringen will.
Festredner auf der Hauptkundgebung des Heimattages, der von der Landesgruppe Baden-Württemberg mitausgerichtet wurde, waren neben dem landsmannschaftlichen Bundesvorsitzenden Volker E. Dürr der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen sowie der baden-württembergische Staatssekretär und Aussiedlerbeauftragte Heribert Rech.

Insgesamt 42 Trachtengruppen, unter ihnen zahlreiche aus den siebenbürgischen Heimatortsgemeinschaften, beteiligten sich dieses Jahr am Festumzug des Heimattags in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
Insgesamt 42 Trachtengruppen, unter ihnen zahlreiche aus den siebenbürgischen Heimatortsgemeinschaften, beteiligten sich dieses Jahr am Festumzug des Heimattags in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs


Der Kundgebung am Pfingstsonntag vorausgegangen war der traditionelle Festumzug durch die historische Altstadt von Dinkelsbühl, an dem sich, angeführt von der Bundesleitung der SJD und der Dinkelsbühler Knabenkapelle, trotz des kalten und regnerischen Wetters, 42 Brauchtumsgruppen und Blaskapellen mit rund 1500 Trachtenträgern beteiligten. Zahlreich wie nie zuvor waren im Zug die sächsischen Heimatortsgemeinschaften vertreten, mit dabei auch ein Prunkwagen der Schönauer, auf dem eine Rockenstube mit allem überlieferten Zubehör und dem Gesang der Spinnerinnen dargestellt wurde und der begeisterten Applaus erntete. Als ebenso gefeierte Gastgruppen traten der Dinkelsbühler „Zunftreigen“, der jedes Jahr die dortige „Kinderzeche“ belebt, und die siebenbürgische Nachbarschaft mit ihrer Jugendtanzgruppe aus dem oberösterreichischen Wels auf.
Eingeleitet hatte die Kundgebung mit einem Grußwort der Heimatkirche und ihres Bischofs Christoph Klein der Schäßburger Stadtpfarrer Hans Bruno Fröhlich, der die christliche Pfingstbotschaft mit Bezug auch zum Motto des Heimattages deutete: „Zusammenfinden im Glauben ist uns Siebenbürger Sachsen“, sagte der junge Seelsorger, „wohl vertraut, wir wollen uns heute neu darauf besinnen. Man war nicht immer einer Meinung, man wird es auch nie sein. Im Raum der Kirche jedoch war und ist Platz für jeden, der den christlichen Glauben als Grundpfeiler für das eigene Leben ansieht. Im Raum der Kirche wird jeder in seiner Sprache angesprochen, auch heute noch. Es liegt an uns, dieses Angebot Gottes anzunehmen.“
Auf der Kundgebung lehnte EU-Kommissar Günter Verheugen in seiner Festrede jedes Ansinnen strikt ab, „im Zuge der Osterweiterung der Europäischen Union könnten alte Rechnungen beglichen werden“, bezeichnete aber als „unwiderruflich“ die 1993 in Kopenhagen festgelegten Beitrittsbedingungen, denen zufolge die westlichen Forderungen nach „demokratischer Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Schutz der Minderheiten“ in den Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten nicht zur Disposition stünden. Bundesvorsitzender Volker E. Dürr mahnte unter anderem bei der Bundesregierung an, mehr für „ein Klima der Akzeptanz und der Solidarität mit Aussiedlern“ zu tun, über die Verwaltungsschiene „Härten wie Familientrennung und Abschiebung“ zu vermeiden und im Dialog mit den Betroffenen ein neues, tragfähiges Kulturförderungskonzept für die Vertriebenen und Aussiedler zu entwickeln. Damit im Zusammenhang sicherte Heribert Rech den Siebenbürger Sachsen die volle Unterstützung der baden-württembergischen Landesregierung zu.
Offiziell eröffnet worden war der Heimattag bereits am Pfingstsamstag in der Dinkelsbühler Schranne. Dort hatte der baden-württembergische Landesgruppenvorsitzende Alfred Mrass Gäste und Teilnehmer eingangs begrüßt und unter anderem über die Chancen des Fortbestands sächsischen Gemeinschaftslebens nachgedacht. Immer noch seien die Siebenbürger Sachsen „ein lebendiger und leistungsfähiger Teil des deutschen Volkes“ und hätten nach der Aussiedlung in der Bundesrepublik ein zweites Mal „starke Wurzeln geschlagen“. Dies sei „eine Tatsache, die niemand bestreiten kann und niemand bestreiten wird“, 50 Jahre kontinuierlich organisierte Heimattag seien Beleg genug. Mrass weiter: „Wenn wir also aus der Geschichte, aus der Realtiät und dem Leben etwas lernen wollen, dann müssen wir in diesem Fall lernen, dass es vermessen ist, den Untergang unserer Gemeinschaft vorauszusagen, wie das einige getan haben. In dieser Sache kann man sich sehr schnell irren. Ich rufe meine Landsleute deshalb auf, aus der Geschichte zu lernen... und das Hier, das Heute und das Morgen gemeinsam zu gestalten. Wir dürfen die alten Tugenden von Gemeinsinn, Zusammengehörigkeit und Zusammenhalt sowie unsere Hilfsbereitschaft nicht vergessen, wir sind verpflichtet, unsere Sprache, unsere Kultur im weitesten Sinne zu erhalten, zu pflegen, unseren Nachkommen weiterzugeben. Unsere Geschichte kann weitergehen, muss weitergehen, die positiven Voraussetzungen dafür sind gegeben. Und die Frage, ob sie nur in Siebenbürgen, ob sie nur in der Bundesrepublik und in Österreich oder ob sie in Siebenbürgen und in der Bundesrepublik und in Österreich weitergeht, wird die Geschichte selbst beantworten. Sie wird zweifellos beweisen, dass unsere Zukunft als Gemeinschaft nur dann gesichert ist, wenn die Kräfte der in der Föderation der Siebenbürger Sachsen vereinigten Körperschaften gebündelt werden.“
Ein Grußwort an den Heimattag richtete in der Eröffnungsveranstaltung, die von Beatrix und Gudrun Wagner auf dem klassischen Akkordeon musikalisch begleitet und von Christine Göltsch, Jugendleiterin der SJD Baden-Württemberg, moderiert wurde, der Dinkelsbühler Oberbürgermeister Otto Sparrer, der feststellte, die Nachkriegsentwicklung in Deutschland und vor allem in seiner Stadt hätte „ohne die tatkräftige Mithilfe und den Unternehmergeist unserer siebenbürgischen Mitbürger so nicht stattgefunden“. Aus dem Herkunftsland überbrachten Grüße im Namen der dortigen Regierung der interimistische Geschäftsträger Rumäniens in Berlin, Alexandru Irimia, der das Motto des Pfingsttreffens „eine europäische Idee“ nannte, dazu im Namen der rumänisch-deutschen Parlamentariergruppe und des evangelischen Landeskonsitoriums der Senator und Denkmalpfleger Hermann Fabini, der Schäßburger Bürgermeister Dorin Danesan und der Vorsitzende des Siebenbürgen-Forums Paul Jürgen Porr, der unter anderem mit Bezug auf das Motto des Heimattages äußerte: „Wir alle wünschen ein gemeinsames Haus Europa, das vor Jahren bloß der Wunschtraum einiger kühner Männer war, von den meisten belächelt und als Utopie abgetan. Die Geschichte der letzten zwölf Jahre hat gezeigt, dass die Utopiker Recht behielten, die nur eine gute Autostunde von hier entfernte Mauer gibt es nicht mehr (...), das gemeinsame Haus ist in greifbare Nähe gerückt. Für uns, die wir etwa 1000 Kilometer südöstlich von hier leben, ist dieses Haus noch nicht greifbar, wir wissen, dass es noch viel zu tun gibt, bis auch wir eine Wohnung darin beziehen können, dass noch Jahre vergehen werden, bis wir nicht mehr Europäer zweiter Klasse sind. Gerade deshalb ist Zusammenarbeit notwendig, Stiftung von Partnerschaften, wo jeder Partner etwas Positives einbringen kann, wo jeder von jedem lernen kann, auch wenn der Überheblichere meint, alles schon zu wissen. Zum gemeinsamen Haus gehört auch ein Garten, wo es leider noch Unkraut gibt, das wir gemeinsam jäten sollten und wo nicht der eine mit dem Bulldozzer über die Beete des anderen fahren sollte... Gerade die Partnerschaft zwischen der Landsmannschaft und dem Siebenbürgen-Forum zeigt, dass solches Zusammenwirken auch über Grenzen hinweg möglich ist.“ Den Gruß der Landsmannschaft in Österreich überbrachte deren Bundesobmann Volker Petri.
Der vom Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen und Evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD veranstaltete Pfingstgottesdienst, dieses Mal mit Pfarrer i. R. Karl Otto Reich, ein vielfältiges kulturelles Rahmenprogramm, Ausstellungen, Buchpräsentationen und die Verleihung des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises an den Weinbaufachmann und Kulturstifter Hans Ambrosi, dazu Ortstreffen von Landsleuten, Konzertauftritte, Sport- und Tanzveranstaltungen der Jugend bereicherten wie stets den Heimattag; sie werden zum Teil ebenfalls in dieser Ausgabe dokumentiert. Beachtung fand u.a. eine Ausstellung mit wertvollen Exponaten zum Thema „Lebensraum Bauernstube“, die unter Koordination der baden-würtembergischen Landesfrauenreferentin Christa Andree und mit fachlicher Beratung des Gundelsheimer Museumsleiters Volker Wollmann sowie der Museologin Irmgard Sedler zustande kam und in der sächsische Frauen aus landsmannschaftlichen Kreisgruppen des südwestlichen Bundeslands siebenbürgische Handarbeitstechniken wähernd der Gesamtdauer des Pfingsttreffens vorführten, wie in dieser Zeitung bereits ausführlich angekündigt worden war.
Der Pfingstsonntag klang am Abend wie üblich mit dem Fackelzug zur Gedenkstätte aus, wo Pfarrer Hermann Schuller, Dekan in Wiesloch, die feierliche Ansprache hielt. Abgeschlossen wurde das Heimattreffen am Pfingstmontag mit einer Podiumsdiskussion zum Motto des Heimattages.
Organisatorisch beteiligt an der Vorbereitung und dem reibungslosen Ablauf des Pfingsttreffens waren neben dem vom landsmannschaftlichen Organisationsreferenten Johann Schuller geleiteten Festausschuss in besonderem Maße die SJD, dazu die mitveranstaltende Landesgruppe Baden-Württemberg, das Hilfskomitee, und nicht zuletzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Münchner Bundesgeschäftsstelle unter Erhard Graff, denen allen vollste Anerkennung gebührt.

Hannes Schuster


(Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2001, Seite 1 und 4)

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.