4. April 2004

Einzigartige rumänische Hinterglasikonen

Kornwestheim - Unter dem Titel "Zerbrechliche Heiligenwelten" zeigt das Museum im Kleihues-Bau, Stuttgarter Straße 93, in Kornwestheim vom 27. März bis 13. Juni 2004 einzigartige rumänische Hinterglasikonen.
Der Ikone, dem Heiligenbild auf Holz oder aber in zusätzlicher Fassung aus getriebenem Silber, kommt in der Ostkirche bei der Glaubensvermittlung eine bedeutende Rolle zu. Die Ikone ist das Spiegelbild einer dem menschlichen Auge unsichtbaren Welt des Geistes, Abbild des Göttlichen, ein „mit Farbe geschriebenes Evangelium“ (Gregor von Nyssa). Die bunt gemalten Heiligenwelten in Kirchen und Klöstern prägten und prägen heute noch die Glaubensvorstellungen der Völker im südosteuropäischen Raum. Das sinnliche Erlebnis farbig-froher Hinterglas-Ikonenmalerei ländlicher Herkunft bestimmte ab dem 18. Jahrhundert die Volksfrömmigkeit der Rumänen in Siebenbürgen.


Heiliger Georg, der Drachentöter, Gherla (Westsiebenbürgen), Ende 19. Jahrhundert, Sammlung Siebenbürgisches Museum Gundelsheim.
Heiliger Georg, der Drachentöter, Gherla (Westsiebenbürgen), Ende 19. Jahrhundert, Sammlung Siebenbürgisches Museum Gundelsheim.

Die Anfänge der Hinterglasmalerei in dieser östlichen Provinz des Habsburgerreiches stehen zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Einführung von volkstümlichen katholischen Hinterglas-Andachtsbildern durch Glashüttenarbeiter und Devotionalienhändler aus Süddeutschland, Böhmen und der Slowakei. Anders jedoch als in diesen Ländern, entwickelte sich die einheimisch-siebenbürgische Produktion direkt als Hausindustrie im ländlich-bäuerlichen Milieu. Die Bauernmaler in Nicula und Gherla (Westsiebenbürgen) bedienten den Bedarf an erschwinglichen, für den Hausgebrauch gedachten Hinterglasikonen einer ausschließlich rumänischen, orthodoxen oder aber „unierten“ (griechisch-katholischen) ländlichen Kundschaft. Die fragilen Bilder wurden vor allem durch wandernde Händler an der Haustür feilgeboten oder aber auf den großen Jahrmärkten der Kirchweihfeste vertrieben.

Ihre Blütezeit erlebte die Ikonenmalerei auf Glas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wichtige Herstellungszentren im Westen und im Süden des Landes versorgten flächendeckend und auch über Siebenbürgen hinaus die rumänisch-orthodoxe Bevölkerung mit den begehrten Heiligenbildern, an denen Familien über Generationen hinweg arbeiteten.

Bei den rumänischen Hinterglasikonen verbindet sich die über westliche Vermittlung rezipierte Technik des Hinterglasmalens mit einem Bildverständnis, das im Wesentlichen geprägt ist von den Traditionen der byzantinischen Kunst, wie sie die orthodoxe kirchliche Ikonographie unter dem Diktat eines strengen Mal-Regelwerkes im sakralen Raum allgegenwärtig den Blicken der frommgläubigen Bauernmaler und ihrer Kundschaft darbot. Kupferstiche und Holzschnitte aus orthodoxen Klosterdruckereien des Balkans, aber auch volkstümliche Druckgraphik westeuropäischer Herkunft lieferten häufig die unmittelbare Malvorlage. Die laienhafte, hausindustriell-„technisierte“ Herstellung der Bilder als drittes Element dieser Ikonenmalerei fügte dem Ganzen jenes Maß an ungebrochener Naivität hinzu, das zum Künstlerisch-Unverwechselbaren dieser Hinterglasikonen beiträgt.

Wie Dr. Irmgard Sedler, Leiterin der städtischen Museen in Kornwestheim, mitteilt, präsentiert die Ausstellung mehr als hundert bis heute im öffentlichen Raum noch nicht gezeigte Exponate aus den Beständen des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim, des ASTRA-Nationalmuseums in Hermannstadt sowie aus Privatsammlungen im In- und Ausland. Die Ausstellungskonzeption berücksichtigt die Rezeptionsgeschichte der rumänischen Hinterglas-Ikonenmalerei, den Verständniswandel vom „frommen Heiligenbild“ in der tradierten ländlichen Gesellschaft der Karpatendörfer über die Entdeckung des „Kunstobjektes“ Ikone, eingedenk ihrer Nähe zur Formensprache der Klassischen Moderne, hin zum propagandistisch missbrauchten Volkskunstobjekt in der kommunistischen Zeit und dann zum emotional hochgehaltenen „Fenster der Erinnerung“, Objekt kultureller Identitäts-Vergewisserung bei rumänischen Emigranten in der westlichen Lebenswelt.

Die Ausstellung "Zerbrechliche Heiligenwelten. Rumänische Hinterglas-Ikonen" ist noch bis 13. Juni 2004 im Museum im Kleihues-Bau, Stuttgarter Straße 93, in Kornwestheim zu sehen. Öffnungszeiten: freitags bis sonntags jeweils von 11 bis 18 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog. Weitere Informationen unter Telefon: (0 71 54) 20 24 98, Fax: (0 71 54) 20 24 97, E-Mail: galerie.kornwestheim@t-online.de.

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