21. Juli 2004

Das Geschäft mit der Ausreise

Ein weitgehend unaufgearbeitetes Kapitel in den deutsch-rumänischen Beziehungen und in der Geschichte der Rumäniendeutschen stand im Mittelpunkt eines Vortrags, den Ernst Meinhardt kürzlich in Potsdam hielt: die Schmiergeldzahlungen, die für die Ausreise der Rumäniendeutschen bis zum Revolutionsjahr 1989 geleistet werden mussten.
Ernst Meinhardt ist Redakteur bei der Deutschen Welle in Berlin und Vorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Berlin-Brandenburg. Nach seinen Berechnungen, die auf bisher vorliegenden Informationen und Recherchen unter rumäniendeutschen Familien beruhen, hat das kommunistische Rumänien allein in der Zeit von 1978 bis 1989 an der Ausreise der Rumäniendeutschen etwa 2,5 Milliarden DM (etwa 1,3 Milliarden Euro) verdient. Diese Summe setzt sich zusammen aus den Geldern, die Ausreisewillige in Rumänien an Schmiergeldeintreiber wie den berühmten „Gärtner“ in Temeswar zahlen mussten, aus der „Entwicklungshilfe“, die Rumänien von der Bundesrepublik Deutschland Jahr für Jahr als Gegenleistung für die Erteilung der Ausreisegenehmigungen erhielt, sowie aus der Summe, die die rumänische Botschaft in Bonn für die Bestätigungen über den Verzicht auf die rumänische Staatsangehörigkeit kassierte. In den 2,5 Milliarden DM ist nicht der Wert der Häuser enthalten, die die Rumäniendeutschen vor ihrer Ausreise dem rumänischen Staat zu lächerlichen Preisen überlassen mussten. Ernst Meinhardt hat für seine Berechnungen 1978 als Ausgangsjahr genommen, weil in diesem Jahr das Handschlagabkommen zwischen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und dem rumänischen Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu geschlossen wurde. Dem Abkommen zufolge sollten jährlich etwa 12 000 Rumäniendeutsche eine Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland erhalten. Rumänien hat sich an das Abkommen gehalten. Tatsächlich durften jährlich mehr, manchmal sogar sehr viel mehr als 12 000 Rumäniendeutsche ausreisen. Nur 1979 sei die vereinbarte Zahl unterschritten worden.

In seinem Vortrag machte Ernst Meinhardt deutlich, dass die Recherchen zu dem „Geschäft mit der Ausreise der Rumäniendeutschen“ erst am Anfang stünden, dass noch viele Aspekte ungeklärt seien und dass es unter den in Deutschland lebenden Rumäniendeutschen Widerstand gegen die Durchleuchtung dieses Kapitels gebe. Er erinnerte an einen berühmten Satz, der dem rumänischen Diktator Nicolae Ceausescu zugeschrieben wird: „Unsere besten Exportartikel sind Juden und Deutsche.“

Der Referent hielt seinen Vortrag in den Räumen des „Deutschen Kulturforums östliches Europa“ vor Lehrern aus Berlin und Neuen Bundesländern. Die Lehrer unternehmen im Herbst 2004 mit dem „Kulturforum“ eine Informationsreise durch Rumänien.

Das „Deutsche Kulturforum östliches Europa“ wurde im Dezember 2000 auf Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien in der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam gegründet. Seinem Auftrag gemäß engagiert es sich „für eine kritische und zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit der Geschichte jener Gebiete im östlichen Europa, in denen früher Deutsche gelebt haben bzw. heute noch leben“.

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