20. Oktober 2004

Erfassung evangelischer Gemeindearchive in Siebenbürgen abgeschlossen

Er befinde sich noch in einer Lernphase, gestand der neue bundesdeutsche Generalkonsul in Hermannstadt, Eberhard von Schubert, knapp einen Monat nach Amtsantritt. Doch jetzt schon sei er beeindruckt von den zahlreichen Aktivitäten in seinem Einzugsgebiet. Auffallend sei die Vernetzung von Institutionen vor Ort, aber auch mit Partnern aus Deutschland und Österreich. So geschehen und gesagt auf der Tagung der Süddeutschen Historischen Kommission am 7. und 8. Oktober im Hermannstädter Institut für Geisteswissenschaften.
Die Zusammenkunft mit dem Titel „Industrialisierung und Urbanisierung im Donau-Karpatenraum (1800-1914)“ war auch für den Institutsleiter, Dr. Paul Niedermaier, „von besonderer Bedeutung“, denn: Erstmals tagte diese Kommission für interdisziplinäre Forschungen in Rumänien und in der Stadt am Zibin und eröffnete damit den künftigen Reigen ähnlicher Veranstaltungen im nur jüngst eingeweihten Sitz der Forschungsstelle. Thema und Standort standen so in einer engen Beziehung, überhaupt „lag man damit voll auf Linie“, meinte der Kommissionsvorsitzende Harald Heppner.

Fast zeitgleich gegründet, haben das Hermannstädter Institut und die Kommission mit Hauptsitz in Deutschland u.a. das Deutschtum und sein Zusammenleben mit den anderen Völkern im Karpatengebiet zum Aufgabenbereich. Fragen der Industrialisierung und Urbanisierung wurden zum ersten Mal angeschnitten. Fachleute aus Deutschland, Österreich, Rumänien und der Slowakei beleuchteten die unterschiedlichen Faktoren, die zum sozialen Wandel führten: die demografische Entwicklung, die ethnischen Strukturen, der Übergang von Zünften zu handwerklichen Kleinbetrieben, die Verkehrsvernetzung, der Handel und nicht zuletzt das Hinterland mit seinen Rohstoffen und Arbeitskräften.

Schon am Vortag hatten die Nachwuchsakademiker im Michelsberger Elimheim die Urbanisierung in Siebenbürgen und dem Banat untersucht. An Fallbeispielen wie Heltau, Kronstadt und Klausenburg wurde der räumliche und zeitliche Wandel dieser Kulturlandschaften in den ehemaligen Kronländern der Habsburger Monarchie aufgezeigt. Die Verdichtung der Beziehungen zu Wien mit dem Doppeladler als Symbol einer neuen Macht förderten die Orientierungsmuster städtischer Neugestaltung dies- und jenseits des Karpatenraums. Die „Metropolisierung der Provinz“ war nur eine Folge davon. Dennoch: Die Modernisierung der Altstädte rund um den Zibin und die Zinne hatte das Abtragen zahlreicher Wehranlagen und somit die Veränderung des Stadtbildes zur Folge, so Niedermaier. Neue Straßendurchbrüche und Straßenregulierungen gingen einher mit Veränderungen des Grundriss- und Parzellengefüges. Promenaden im Stadtinneren, aber auch neue Randviertel jenseits der Stadtmauern entstanden, der Handel florierte, die Industrie feierte ihren Einzug, die Urbanisierung nahm „betriebsbedingte“ Formen an, so das Fazit der Tagung.

Ähnlich und doch anders verlief die Tagung vom 10. bis 12. Oktober im Hermannstädter Friedrich-Teutsch-Haus. Forscher aus den Niederlanden, Deutschland und Ungarn feierten mit Kollegen aus Rumänien den Abschluss des von der Volkswagenstiftung geförderten Projekts „Erfassung und Erschließung evangelischer Gemeindearchive in Siebenbürgen“. Als Auftakt „einer internationalen Zusammenarbeit“ betrachtete Bischof D. Dr. Christoph Klein in seinem Grußwort dieses Symposion. Dr. Konrad Gündisch verglich das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. gar mit jenem Ratturm aus Erwin Wittstocks Roman „Das jüngste Gericht in Altbirk“.

Zum eigentlichen Tagungsthema „Siebenbürgische Archive als Quellen moderner Geschichtsforschung“ äußerten sich die Referenten nur bedingt. „Ein problematisch durchgeformtes Bild“ vermisste man dabei ebenso wie den „thematischen Bezug zum Gegenstand“, schlussfolgerte Prof. Dr. Günter Schödl von der Humboldt-Universität, Berlin.

Die Teilnehmer hatten eher den institutionellen Rahmen und konkrete Aspekte der kirchenarchivischen Arbeit angesprochen und Methoden aufgezeigt, was man mit solchen deponierten Schätzen alles machen kann, soll und darf. Geradezu „geknistert“ hat es während der Diskussionen zum Beitrag des Hausleiters, Dr. Wolfram G. Theilemann, über Bewertung und Kassation der Bestände im evangelischen Zentralarchiv.

Nicht weniger brisant erwiesen sich die Debatten über derzeitige Beziehungen zwischen staatlichen und privaten Archiven. Der Austausch von Findbüchern wäre ebenso eine Lösung wie das Offenlegen derartiger Quellen samt archivischer Dienstleistungen für Benutzer aller Art. „Fronten abbauen und die internationale Kooperation fördern“, lautete das Fazit dieses Symposions, das von einem Kammermusikkonzert, Empfang des Landeskonsistoriums und Stadtrundgang, einer Hausführung sowie einer reizvollen Ausstellung mit historischen Fotos aus dem evangelischen Zentralarchiv umrahmt wurde. Die Exponate reichten von den Anfängen dieser auch in Siebenbürgen gepflegten Kunst bis zur Gegenwart und stammten aus bekannten Hermannstädter, Kronstädter und anderen Ateliers dieser Art.

Martin Ohnweiler

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