11. November 2004

Nach 60 Jahren: Lechnitzer sind den Fluchtweg nachgereist

Es war am 17. September 1944, als sich mit der deutschen Bevölkerung Nordsiebenbürgens auch die Lechnitzer Gemeinde unter Glockengeläute dem Evakuierungsbefehl beugte und auf Pferde- und Ochsengespannen ihre Heimat verlassen mussten. „Herr half es“, ging es von Wagen zu Wagen, weg in eine ungewisse Zukunft. 60 Jahre danach ist eine Gruppe der HOG Lechnitz mit 43 Personen (eine gemischte Gruppe von 14 bis 80 Jahren, darunter auch Enkelkinder der damals Flüchtenden) den Fluchtweg nachgereist, um am 17. September 2004 wieder in der alten Heimat einzutreffen.
Die Route führte aus dem Raum Rothenburg ob der Tauber über Niederbayern und Niederösterreich in entgegengesetzter Richtung der damaligen Flucht. Schon im niederbayerischen Ulbering (hier hatte der Lechnitzer Treck kurz vor Ende des Krieges ein Vierteljahr Aufenthalt) nahm man teil an einer von Pfarrer Klaus Bertram (Rothenburg) gehaltenen Andacht zu Ehren der auf der Flucht Verstorbenen. Es herrschte die einhellige Ansicht, dass alles getan werden müsse, damit so etwas in Europa nicht mehr vorkommen kann.

Die großen Straßen konnten vor 60 Jahren nicht genutzt werden, da sie dem Militär vorbehalten waren und für Zivilisten eine große Gefahr darstellten. Also fuhr auch jetzt der Bus unter der Leitung von Katharina Dürr und Thomas Emmerling nicht auf den Europastraßen und Autobahnen, sondern im Zickzackkurs über Hollabrunn nördlich von Wien, Ödenburg und Gran nach Tiszafüred (hier musste der Treck 1944, da die Brücke gesprengt war, über eine Notbrücke fahren) und dann weiter über Dej. Erstaunlich ist, dass die Familien und Nachbarschaften, auch wenn sie zerrissen wurden und manche auf dem Weg zurückbleiben mussten, immer wieder den Anschluss an den Treck fanden. Es war besonders die junge Generation, die sich für die persönlichen Geschichten der Zeitzeugen interessierten, sei es der Schulweg in Niederösterreich, die Erinnerungen an die Suche nach Futter für die Tiere, seien es die Grausamkeiten des Krieges und die Bombenangriffe oder die abenteuerliche Überquerung der Theiß. So gehörte auch eine Bootsfahrt auf der Theiß zum Reiseprogramm.

Der 17. September stand ganz im Zeichen der Rückkehr in die alte Heimat. 60 Jahre nach der Flucht nahmen Bürgermeister Teodor S. Pop und sein Stellvertreter Gheorghe Chira am frühen Morgen die Reiseteilnehmer persönlich in Empfang. Am Ortsrand von Lechnitz bestiegen die Teilnehmer der Reisegruppe 13 bereitstehende Pferdewägen und fuhren unter Glockenläuten und großer Anteilnahme der heute ansässigen Bewohner, die mit Blumensträußen am Straßenrand standen und diese den Vorbeifahrenden überreichten, durch den Ort zur Kirche. Einer der Kutscher erklärte später im Namen seiner Kollegen, dass sie aufgrund der Geschichte der Deutschen in Lechnitz und ihrer Flucht, von der ihnen der Bürgermeister erzählt hatte, einen Beitrag zum Ausgleich der Geschichte leisten wollten.

Unter Glockengeläut zogen die ehemaligen Bewohner und viele Gemeindeglieder in die Kirche ein. Der gemeinsame Abendmahlsgottesdienst wurde von der ungarisch-reformierten Gemeinde, vertreten durch Pfarrer Daniel Vajda, und der lutherischen Gemeinde, vertreten durch Pfarrer Klaus Bertram, und im Beisein des orthodoxen Pfarrers Ioan Irimies gefeiert. Im Verlauf des Gottesdienstes sang der ungarische Chor aus Ziegendorf auch deutsche Choräle. Ein schönes Zeichen der Ökumene. Nach dem Gottesdienst wurde die Gruppe im ehemaligen Lutherhaus von Bürgermeister Pop empfangen. In seiner Ansprache lobte dieser das Engagement des Vorstandes der HOG Lechnitz und rief alle Anwesenden dazu auf, den 17. September jährlich mit einem Fest in Lechnitz zu begehen. Pop bewunderte den Mut und die Entschlossenheit derer, die damals die Heimat verlassen mussten, und bezeichnete diese Generation, die sich in Deutschland wieder etwas aufgebaut hat, als „wahre Helden“. Gerade im Hinblick auf den bevorstehenden EU-Beitritt Rumäniens begrüßte der ebenfalls anwesende deutsche Generalkonsul Jörg Schulz die Verbundenheit der in Deutschland lebenden Lechnitzer mit ihrer alten Heimat. Der von den Nachfahren der Sachsen wieder aufgenommene Weinbau in Lechnitz sei ein weiterer Beweis für das gute Miteinander im immer größer werdenden Europa.

Insbesondere das starke Interesse der jüngeren Generation an der Heimat der Vorfahren und den Menschen dort war ein bemerkenswertes Ergebnis. Viele Reiseteilnehmer waren zum ersten Mal in Siebenbürgen. Die Offenheit der Menschen und die liebliche Landschaft sind einfach überwältigend ... und man kommt immer wieder.

Katharina Dürr / Thomas Emmerling

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2004)

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.