23. November 2004

Hommage an die Siebenbürger Sachsen

Der junger rumänische Historiker Alexandru Pintelei und Studiendirektor Horst Göbbel legen ein beachtliches geschichtliches Werk über die Evakuierung und Flucht im Herbst 1944 vor: "Punct crucial in Ardealul de Nord – Wendepunkt in Nordsiebenbürgen", Verlag Haus der Heimat Nürnberg, Nürnberg 2004, 302 Seiten, 25 Euro. Zu beziehen über Haus der Heimat Nürnberg, Imbuschstraße 1, 90473 Nürnberg, Telefon: (09 11) 8 00 26 38; E-Mail: hausderheimat-nbg@t-online.de, Internet: www.hausderheimat-nuernberg.de.
Bei Veröffentlichungen rumänischer Historiker über Siebenbürgen habe ich oft bemängelt, dass sie die nationalen Minderheiten, vor allem die Ungarn und Sachsen, ausblenden, sie bestenfalls am Rande erwähnen oder ihre Leistungen als solche Rumäniens vereinnahmen. Das geschieht beispielsweise mit siebenbürgisch-sächsischen Kulturdenkmälern, deren Bedeutung zwar richtig eingeschätzt wird, ohne jedoch dem Betrachter oder Leser zu sagen, wer diese Werke geschaffen hat. Meine Betrachtungen verknüpfe ich mit der Hoffnung, dass eine neue Generation heranwächst, die sich von dem patriotisierenden und nationalistischen Ballast, von Minderwertigkeitskomplexen und Vorurteilen befreit und bekennend erkennt, was eine jahrhundertelange deutsche Präsenz innerhalb des Karpatenbogens dem Lande gegeben hat und sich nicht scheut, die Tatsachen beim Namen zu nennen.




Man kann in letzter Zeit tatsächlich einige Veröffentlichungen verzeichnen, die diesem Desiderat entsprechen. Ich beschränke mich darauf, auf zwei Bücher aufmerksam zu machen, die Nordsiebenbürgen zum Thema haben, und zwar die kunsthistorische Dissertation „Arhitectura in stil renastere la Bistrita“ (Die Architektur im Renaissancestil in Bistritz, Klausenburg, 1999) von Gheorghe Mandrescu sowie das jüngst in rumänischer und deutscher Sprache erschienene Buch „Punct crucial in Ardealul de Nord – Wendepunkt in Nordsiebenbürgen“ von Alexandru Pintelei und Horst Göbbel, das bei der Eröffnung der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage am 11. September 2004 im Germanischen Nationalmuseum von Nürnberg vorgestellt wurde. Während Mandrescus Arbeit Ansätze des erwähnten Desiderats enthält, erfüllt die Arbeit von Pintelei die Erwartungen an eine objektive Wiedergabe der Geschehnisse. Diesen Ton haben wir leider bei den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 90. Jahrestag der Eröffnung des Gymnasialbaues des einstigen deutschen und heutigen rumänischen Lyzeums „Liviu Rebreanu“ von Bistritz vermisst. Sowohl im Begleitheft als auch in Gedenkartikeln und Reden wurde die Geschichte des deutschen Schulwesens der Stadt zum guten Teil vertuscht oder bekam einen rumänischen Anstrich verpasst, obwohl die Anstalt auch heute eine deutsche Abteilung hat. (Siehe meine Stellungnahme in der Siebenbürgischen Zeitung vom 31. Januar 2002.)

Der Historiker Pintelei, geboren 1972, stammt aus der rumänischen Gemeinde Mocod bei Nassod, in der es keine Sachsen gab. Seine Großeltern und Eltern haben aber erlebt, wie die Sachsen Nordsiebenbürgens, die sie als wohlhabende und fleißige Bauern kannten, im Herbst 1944 flüchteten und, für die Pinteleis unbegreiflich, Hab und Gut zurückließen. In der Gemeinde sind sodann zwangsweise sächsische Rückkehrer nach der Flucht untergebracht worden. Diese Ereignisse bewogen den jungen Pintelei, sich unvoreingenommen damit zu beschäftigen. Es wäre zu wünschen, dass dieser Ansatzpunkt für zukünftige Auseinandersetzungen rumänischer Historiker mit der Geschichte der nationalen Minderheiten fortgeführt wird.

Pintelei hat nach Abschluss der Pädagogischen Schule in Nassod (1991) in Bukarest Geschichte studiert und mit der Diplomarbeit „Die Siebenbürger Sachsen aus der Bistritzer Gegend während des Zweiten Weltkrieges“ beendet. Zudem studierte er an der Fakultät für Europäische Studien der „Babes-Bolyai“-Universität Klausenburg, die er mit einer Arbeit über „Ethnische und konfessionelle Vielfalt in Siebenbürgen zwischen den beiden Weltkriegen“ abschloss. Durch Studienaufenthalte in Deutschland (Gundelsheim und Nürnberg) konnte er seine Kenntnisse und Dokumentation über die deutsche Minderheit in Rumänien vertiefen. Über sie hat er mittlerweile eine Reihe von Beiträgen veröffentlicht. Seit 2003 ist er Chefredakteur des griechisch-katholischen Verlags „Christliches Leben“ in Klausenburg. Nachdem Michael Anders-Kraus – er stammt aus Bistritz und lebt in Wien – auf die Arbeit Pinteleis über die Flucht der Nordsiebenbürger Sachsen aufmerksam gemacht hat, veranlasste Studiendirektor Horst Göbbel deren Drucklegung im Verlag „Haus der Heimat“ Nürnberg, ergänzt durch einen zweiten Teil, und besorgte gemeinsam mit Margarete Schuster und Ekkehard Hallensleben die Übersetzung des rumänischen Textes.

Der erste von Pintelei verfasste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Geschichte der Sachsen Nordsiebenbürgens in den Jahren 1940 bis 1947, also vom Wiener Schiedsspruch (Pintelei bezeichnet ihn, entsprechend der rumänischen Geschichtsschreibung als „Diktat“) bis zur Wiederanerkennung von Staatsbürgerrechten für die nach der Flucht heimgekehrten Sachsen. Vorausgeschickt wird ein einleitendes Kapitel über die Geschichte der Sachsen Nordsiebenbürgens seit der Ansiedlung bis 1940. Dieser Teil dürfte den nichteingeweihten, vor allem rumänischen Leser überfordern, da sie mit einem Großteil der erwähnten Geschichtsfakten nichts anfangen können. Man sollte jedoch dabei und in den folgenden Ausführungen nicht jede Aussage auf die Waage stellen, sondern in erster Linie die positive Einstellung des Autors zum Thema, die allgemeine anerkennende Einschätzung über die Siebenbürger Sachsen sowie seine Anteilnahme an deren Schicksal während und nach der Flucht in Betracht ziehen. Sein Buch möchte zugleich ein Hommage sein für die 800-jährigen wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen der Nordsiebenbürger Sachsen, die auch den benachbarten Rumänen zugute gekommen sind.

Die Kapitel über die Sachsen in den Jahren nach dem Wiener Schiedsspruch, über ihre Flucht und die Ankunft der Trecks und der mit der Eisenbahn Evakuierten in den Zielorten Österreichs, des Sudentenlandes und Deutschlands bieten zwar keine neuen Erkenntnisse, jedoch eine gelungene Übersicht und Zusammenfassung, die man mit Gewinn liest. Im Kapitel über die Behandlung der sächsischen Fluchtrückkehrer in den Jahren 1945 bis 1947 bereichert der Verfasser hingegen die bisher bloß auf Erinnerungen fußenden Berichte durch statistische Daten und öffentliches oder geheimes Archivmaterial der Behörden. Diese Schriftstücke belegen, dass die Verfolgung, Internierung, Demütigung, Enteignung, die Verbote in die Heimatorte und eigenen Häuser zurückzukehren bzw. in sie einzuziehen, die Zwangsausweisungen und -aufenthalte in rumänischen Gemeinden, die Verpflichtung der arbeitsfähigen Männer und Frauen zu Zwangsarbeiten auf verschiedenen Baustellen, der Entzug staatsbürgerlicher Rechte und andere Repressalien zentralverordnete Maßnahmen waren und von lokalen nationalistischen, später kommunistischen Lokalpotentaten unterstützt bzw. noch verschärft wurden. Einige dieser Schriftstücke werden im Anhang wiedergegeben, wie beispielsweise der Befehl des Polizei-Inspektorats Klausenburg an die Polizei von Bistritz vom 30. Mai 1945 alle heimkehrenden Deutschen zu verhaften und in Lager zu internieren, der geheime Befehl des Gendarmerie-Inspektorats Klausenburg an die Gendarmerie des Kreises Nassod vom 11. Juli 1945 die Sachsen nur zwecks Identifizierung in ihre Heimatorte einzulassen, anschließend sie auszuweisen und den auf ihren Höfen angesiedelten Kolonisten zu versichern, dass die Sachsen aufgrund des Agrargesetzes „ihren Besitz definitiv verloren“ hätten. Als das Internierungslager in der so genannten „Schwarzenbergkaserne“ in Bistritz überquoll – Ende Juli waren darin ohne Verpflegung und entsprechende medizinische Betreuung 658 Personen zusammengepfercht – und die Behörden befürchteten, es könnten alle Sachsen zurückkehren, schlug der Präfekt des Kreises Nassod am 5. Juli 1945 in einem vertraulichen Brief an den Innenminister vor, die Grenzen gegen Rückkehrer zu sperren. Die Arbeit von Pintelei enthält auch offizielle Daten über die Zahl der Heimkehrer in den einzelnen Ortschaften des Nösner und Reener Gebiets. In einem Nachwort weist der Verfasser auf die in westlichen Ländern verstreut lebenden Nordsiebenbürger Sachsen hin.

Im zweiten Teil der Arbeit „So war es, so ist es“ präsentiert Horst Göbbel in kurzen Bestandsaufnahmen mit jeweils bis zu zehn Farbillustrationen alle 52 Ortschaften (34 im Nösnerland, elf im Reener Ländchen, sieben in Südsiebenbürgen), aus denen 1944 die deutsche Bevölkerung evakuiert wurde. Die Gegenüberstellung der deutschen Einwohnerzahl vor und nach der Flucht belegt, warum Letztere ein Wendepunkt war und sie dokumentiert den schrittweisen Untergang des Deutschtums. Drei Erlebnisberichte über die Flucht und Heimkehr geben den Ausführungen Farbe, während die nach Jahrhunderten gefächerte Kurzgeschichte der Siebenbürger Sachen am Ende des zweiten Teiles einen zusammenfassenden Überblick über eine 850-jährige Geschichte gibt, die vor allem dem rumänischen Leser zusätzliche Informationen bietet. Das Buch soll nämlich Bibliotheken und Schulen der von der Flucht betroffenen Städte und Gemeinden geschenkt werden. Diese Aktion betrachten wir als besonders begrüßenswert, da das Buch den jetzigen Bewohnern die ihnen bisher entzogene Möglichkeit gibt, sich über das Schicksal ihrer Vorgänger, deren Erbe sie übernommen haben, zu informieren.

Das Buch ist reich illustriert. Es enthält außer den Farbfotos zu den 52 Ortschaften zahlreiche Bilder über die Flucht sowie mehrere Karten über das historische Geschehen. Zu erwähnen ist nicht zuletzt die drucktechnische Gestaltung des Bandes durch die Druckerei Schobert Nürnberg, deren aus Nordsiebenbürgen stammender Inhaber Gerhard Adam sich durch den Druck siebenbürgischer Heimatliteratur eines guten Rufes erfreut.

Michael Kroner

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2004, Seite 7)

Das Buch "Wendepunkt in Nordsiebenbürgen - Punct crucial in Ardealul de Nord“ von Horst Göbbel und Alexandru Pintelei, erschienen im Verlag Haus der Heimat Nürnberg, Nürnberg 2004, 302 Seiten, kann nicht nur per Postversand (zuzüglich 4,60 Euro) bezogen, sondern auch für 25 Euro an folgenden Stellen abgeholt werden:
In Deutschland:
- München (Bundesgeschäftsstelle der Landsmannschaft): Tel.089-2366090
- Nürnberg (Haus der Heimat): Tel. 0911-8002638
- Augsburg (Johann Anders-Kraus): Tel. 0821-707254
- Wiesbaden (Johann Gürtesch): Tel.0611-600314
- Karlsruhe (Simon Bidner): Tel. 0721-579812
- Gundelsheim (Siebenbürgen-Institut): Tel. 06269-4210-0
- Rothenburg (Wigant Weltzer): 09861-974650
- Schwäbisch-Gmünd (Matthias Penteker): Tel. 07171-88094
- Schorndorf (Gerda Niedermanner): 07181-5240
- Drabenderhöhe (Wilhelm Georg Hietsch)
In Österreich:
- Traun (Fam. Engler): Tel. 07229-64089
- Wels (Konsulent Friedrich Teutsch Herminenhof - Mo-Fr. 9:00-11:00 Uhr): 07242-67825
- Wien (Michael Anders-Kraus): Tel. 01-2948753

Bewerten:

5 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.