25. Dezember 2004

Der "Lichtert" in Streitfort

Es schneite draußen, und Dietmar Melzer bat sie: "Gruißi, erziehlst tä mer en Geschicht vun froaier. " ("Großmutter, erzählst du mir eine Geschichte von früher".) Oma schilderte den Brauch mit dem "Lichtert" in Streitfort wie folgt:
Es oblag den Kindern, die in die evangelische Volksschule in Streitfort zur Schule gingen, den Frühgottesdienst um 6.00 Uhr am ersten Weihnachtstag und am Neujahrstag mit den vier Lichtert schmückend auszugestalten. Die vier besten Schüler der Oberklasse bekamen je einen Lichtert zugeteilt, der mit Immergrün, Papierblumen, Girlanden und Kerzen geschmückt war. Man kann diesen Brauch in der Dorfgeschichte bis in ganz frühe Zeiten zurückverfolgen.

Dieser siebenbürgisch-sächsische Lichtert aus Streitfort ist in Schwäbisch Gmünd ausgestellt. Foto: Dietmar Melzer.
Dieser siebenbürgisch-sächsische Lichtert aus Streitfort ist in Schwäbisch Gmünd ausgestellt. Foto: Dietmar Melzer.

Der „Lichtert“ (Leuchter) hatte die Form einer großen, zugespitzten Haube und bestand aus einem Holzskelett. Er ähnelte etwa den alten, weidengeflochtenen Bienenkörben und war auf einer etwa 1,5 Meter langen Haltestange montiert. Mit Hilfe dieser Stange konnte man den Lichtert halten, tragen und drehen. An dem hölzernen Haubengestell waren in regelmäßigen Abständen Kerzenhalter angebracht, in die rundherum Kerzen hineingesteckt wurden. Oben, auf die Spitze des Lichterts, wurde eine etwas längere Kerze oder ein schöner Papierstern angebracht. Der Phantasie war beim Schmücken des Lichterts keine Grenze gesetzt, so dass sich die vier Lichtert nur noch in der Form ähnelten bzw. glichen. Jede Schulklasse wollte den schönsten Lichtert haben, und so sahen alle vier Lichtert am Ende recht unterschiedlich, aber sehr schön aus. Wenn am ersten Weihnachtstag in der Früh die Kirchglocken läuteten, waren auch die Kinder in Feststimmung. Es war ein schöner Augenblick, wenn die Streitforter mit Laternen und Kerzen in der Hand in der winterlichen Morgendämmerung im hohen Schnee zur Kirche schritten. Der Platz für die vier Lichtert wurde im Voraus festgelegt und von den Gottesdienstbesuchern freigehalten. Zwei Lichtert waren unten in den Bänken, wo die Mädchen und Frauen saßen, oben, wo die Männer saßen, war ein Dritter und ein Vierter ganz oben, wo die Burschen saßen. Der Träger des Lichterts hatte die Aufgabe, diesen langsam am Haltestiel um die eigene Achse zu drehen. Mit Orgelbegleitung sangen nun die Schulkinder das Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, und zwar in der Reihenfolge: erster Lichtert - erste Strophe, zweiter Lichtert – zweite Strophe usw. Erst danach versammelten sich alle vier Gruppen samt Lichtert vor dem Altar und sangen gemeinsam die Lieder „Lobt Gott ihr Christen freuet euch“ und „Ein Kind geboren zu Betlehem“.

Zum Abschluss des Gottesdienstes segnete der Pfarrer die Gemeinde und wünschte allen ein gesegnetes Weihnachtsfest. Die vier Lichtert blieben danach vom ersten Weihnachtstag (25. Dezember) bis zu Heilig Dreikönig (6. Januar) in der Kirche aufgestellt.

Zu Neujahr brachte uns unsere Oma ein paar alte siebenbürgische Neujahrswünsche bei. An einen erinnere ich mich noch: Esch wainschen äch äm naen Giur, dä Katz, dai heut griu Hiur, dä Kio, dai heut en krommen Huiren, git mer zwäi Krezer, esch bän gefruiren. - Ich wünsche euch im neuen Jahr, die Katze, die hat graues Haar, die Kuh, die hat ein krummes Horn, gebt mir zwei Kreuzer, ich bin gefrorn.

Oft erinnere ich mich an die schönen Weihnachtsfeste, doch so, wie es einmal in Streitfort war, wird es nie mehr sein. Je mehr man sich an die Feste in Siebenbürgen erinnert, um so stärker erfasst einen das Heimweh, das nie heilen wird.
Ein neues Jahr hat angefangen,
lasst es ein Jahr der Gnade sein
ein jeder blicket voll verlangen,
in diese künftige Zeit hinein.
Laßt jeden finden und erfahren,
was seiner Seele dient und frommt
und schaffe es in all den Jahren....

(Neujahrslied, das in der evangelischen Kirche in Streitfort beim Gottesdienst mit dem Lichtert gesungen wurde)

Dietmar Melzer



Link:

Ein siebenbürgisch-sächsischer Lichtert wird zurzeit in Schwäbisch Gmünd ausgestellt.

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