28. Dezember 2004

Die Liebe in den Zeiten des Internets

Dass neue Technologien sich sowohl auf kommunikative wie auch soziale Bereiche auswirken, ist spätestens seit Marshall McLuhans Postulat "Das Medium ist die Botschaft" (1967) und Neil Postmans Replik "Wir amüsieren uns zu Tode" (1985) kein Novum mehr. Was aber immer wieder überrascht, sind die Schnelligkeit und das Ausmaß dieser Prozesse. Neue Fragen tauchen auf - und neue Ängste. Ein komplexes, mittlerweile existenzielles Phänomen für all jene, die aus unterschiedlichsten Gründen im und am weltweiten Netz - WorldWideWeb - hängen. Nun hat sich Dieter Schlesak in seinem neuen Roman dieser Fragen und Ängste angenommen, die sich speziell im erotischen Bereich "verdichten": "Romans Netz. Ein Liebesroman" ist 2004 bei Edition Köln erschienen, 337 Seiten, ISBN 3-936791-10-4, 18,90 Euro.

"Romans Netz" erzählt von den virtuellen wie von den realen Verstrickungen eines alternden Schriftstellers, der eines Tages beschließt, seinen Computer nicht mehr nur als Werkzeug für seine geistige Arbeit, sondern auch als Medium für seine sexuellen Bedürfnisse einzusetzen. Das Internet bietet ihm die Möglichkeit, mit den unterschiedlichsten Frauen elektronisch in Kontakt zu treten und erotische Fantasien auszutauschen. Als er sich jedoch in eine seiner Chat-Partnerinnen verliebt – eine junge Frau aus dem ostdeutschen Saalburg, die den „Pseudo“-Namen Tanja führt –, verfällt er dem Liebeswahnsinn. Linderung verspricht er sich, entgegen aller online eingegangenen Warnungen, von einer realen Begegnung, die zwar sexuell befriedigend, menschlich jedoch enttäuschend ausfällt. Alles andere als von seinen Qualen erlöst, kehrt er nach Hause zurück und sucht sich erneut via Internet über jene emotionale Dissoziation und soziale Isolation hinwegzutäuschen, die ihm eben dieses Medium beschert hat. Weil aber virtuell erzeugte Konfliktsituationen ebenso wenig und ebenso schlecht zu verdrängen sind wie real erlebte, bleibt ihm schließlich nur das Schreiben als (Los-)Lösungsmöglichkeit übrig.

Erzählt wird auf insgesamt drei Ebenen, die ineinander geschnitten sind. Das gleichsam real erscheinende Geschehen des gesamten Romans, wie weiter oben zusammengefasst, wird aus der Ich-Perspektive geschildert. Das fiktive Geschehen des Romans im Roman, an dem der Ich-Erzähler des Namens Roman schreibt, wird in personaler Erzählweise erfasst. Und das virtuelle Geschehen im Internet, das einerseits der Ich-Erzähler, andererseits aber auch der Roman im Roman zu verarbeiten sucht, wird quasi dokumentarisch in Mail- oder Chat-Form wiedergegeben. Doch die Grenzen der Erzählperspektiven verschwimmen nicht allein wegen des unentwegten Wechsels vom Ich zum Er und zum Du: „Ist also alles, was ich hier vermische nur aus Lebensnützlichkeitssucht, Zeitersparnis ... Interesse im Dienst Romans und des Romans, was ja identisch ist, zu verstehen!? [...] Es ist dieser Zwiespalt unserer Zeit und Zivilisation auch in mir, den ich vor allem unbewusst spüre: Je unnützer meine Arbeit in jenem anderen Sinn ist, wie auch dieses Kunstlicht im Internet, umso mehr muss ich an Zeit und Energie aufwenden, und rennen, rennen, atemlos, um einigermaßen zufrieden zu sein, und »die Arbeit«, auch das Schreiben, wird zu einem Selbstzweck, zur Selbstberuhigung, als könnte ich durch »ein Werk« dem Tod, dem Verschwinden, der – von der Ratio her gesehenen – Sinnlosigkeit des Täglichen Paroli bieten.“

Dass nicht nur das Schreiben über Eros und Thanatos, sondern vielmehr die tatsächlich gelebte Liebe als Rettungsanker infrage käme, zieht der Roman lediglich theoretisch in Erwägung, weil der Erzähler in seinem Teufelskreis von Sehnsucht nach Nähe und gleichzeitiger Flucht vor ihr gefangen bleibt. Außer Stande, einen Schlussstrich zu ziehen, muss er einen Deus ex machina bemühen, der seinen unverändert und unvermindert wiederkehrenden Obsessionen ein jähes Ende bereitet: Ein Unwetter zieht auf, der Blitz schlägt ein, der Computer stürzt ab und löscht das künstliche Gedächtnis. Für immer unauffindbar – wie die Liebe in den Zeiten des Internets.

Als ebenso drastische wie kritische Auseinandersetzung mit global vernetztem Begehren und Befinden ist „Romans Netz“ zweifelsohne beachtenswert: „Mein Gott, welch ein rein privater Zustand, alle sind zu Privatmenschen geworden, klitzekleine Liebhaber!“ Weil er aber dem Leser nolens volens die Rolle des Voyeurs aufnötigt, lässt er – jenseits von falscher Prüderie und falscher Moral – bloß zwei Zugangsmöglichkeiten offen: entweder die permanente emotionale Identifizierung mit dem Erzähler oder die permanente kritische Distanzierung vom Erzählten. Irritierend ist ferner, dass Sex ständig mit Liebe verwechselt bzw. gleichgesetzt wird – mag sein, dass der Roman die gegenwärtige erotische Esprit- und Fantasielosigkeit auch anhand dieses weit verbreiteten Missverständnisses darzustellen sucht, doch er perpetuiert damit nur die Öde, die dieser Kurzschluss in den Hirnen und Herzen erzeugt hat. Und wütend und wehmütig entsinnt man sich Gabriel García Marquez’ warmherziger, weltkluger und vitaler „Liebe in den Zeiten der Cholera“ ...

Edith Konradt

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2004, Seite 11)
Schlesak, Dieter: Romans Netz. Ein Liebesroman, Köln: Edition Köln, 2004 (Reihe: Die erotische Bibliothek), Leinen, 344 Seiten, 18,90 Euro, ISBN 3-936791-10-4. Online kaufen bei Amazon
Romans Netz: Ein Liebesroman
Dieter Schlesak
Romans Netz: Ein Liebesroman

Edition Köln
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