29. Januar 2005

Quizshows, eine "Kulturgrenze" und die Schweizer Berge

Die XIX. Internationale Akademiewoche von Studium Transylvanicum fand vom 27. Dezember 2004 bis zum 2. Januar 2005 unter dem Titel "Regionalgeschichte Siebenbürgens - Städte und Raumstrukturen" in Thalmässing statt.
Siebenbürgen, was genau ist das eigentlich? Jeder, der sich mit dieser Region im Südosten Europas beschäftigt oder gar von dort stammt, wird sich sicher sein, diese Frage genau beantworten zu können. Doch ganz so einfach ist es nicht, herrscht dort doch eine historisch gewachsene kulturelle, ethnische und politische Vielfalt vor, die den Raum Siebenbürgen in viele kleinere, sich teilweise überschneidende Gebiete zersplittert. Diese Vielgestaltigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten war Ziel der XIX. Internationalen Akademiewoche von Studium Transylvanicum.

Als ich am 28. Dezember, einen Tag verspätet dank einer heftigen Grippe, gemeinsam mit zwei anderen Teilnehmern gegen Mitternacht am Nürnberger Bahnhof abgeholt und dann über menschenleere, verschneite Straßen nach Thalmässing gefahren wurde, war ich noch ein wenig nervös. Schließlich kannte ich bis auf eine Freundin niemanden dort und wusste auch nicht genau, was mich erwartete. Doch als wir aus der Winternacht in den erleuchteten Speisesaal traten und auf ein vergnügte Runde trafen, die Schnaps und Speck aus Siebenbürgen auf dem Tisch stehen hatte und deren erste Frage lautete: „Habt ihr Hunger?“, spürte ich, dass dies eine gute Veranstaltung werden würde.

Wie sich im Folgenden zeigte, lag ich ganz richtig. Zum einen in rein fachlicher Hinsicht: Die Auswahl der Vorträge und Seminare bot trotz der eindeutig historischen Ausrichtung und der manchmal sehr speziellen Themen für jeden etwas, sowohl Laien als auch Spezialisten kamen auf ihre Kosten. Zum anderen, und das ist genauso wichtig, erlebte ich die Akademiewoche in menschlicher Hinsicht als große Bereicherung. Wie hier eine Gruppe von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen einträchtig ihrem gemeinsamen Interesse Siebenbürgen frönten, aber auch gemeinsam ganz profanen Tätigkeiten wie Kochen und Putzen nachgingen und bei all dem das Feiern und Tanzen nicht vergaßen, war beeindruckend.

Am ersten Abend hatte das thematische Programm auf spielerische Weise begonnen: Thomas Șindilariu stellte das Frage- und Antwort-Spiel Inquisitio Transylvanica vor, mit dem man sein Wissen über Siebenbürgen testen kann. Die Idee dazu wurde schon vor etwa zehn Jahren im Kreis von Studium Transylvanicum geboren, und nun ist es nach dieser langen Zeit endlich soweit – das Spiel für Siebenbürgenkenner und solche, die es werden wollen, ist fertig. Den Teilnehmern der Akademiewoche machte es großen Spaß und prägte in gewisser Weise das Programm: Als am Silvesterabend fünf Gruppen die bereits traditionellen Sketche aufführten, welche Ereignisse und Erkenntnisse der Akademiewoche aufgreifen und parodieren, taten dies drei davon in Form einer Quiz-Show. Beziehen kann man das Spiel übrigens demnächst über das Siebenbürgen-Institut (E-Mail: info@siebenbuergen-institut.de).

Allgemein gehalten machten der Vortrag „Siebenbürgen als Region im Laufe der Zeit“ von Dr. Gerald Volkmer und die „Arbeitsgruppe Beginner – Einführung in die Siebenbürgische Landeskunde“ unter der Leitung von Dr. Meinolf Arens mit dem Thema bekannt. Deutlich spezifischer waren bereits am ersten Tag die Vorträge „Der städtische Raum als Bühne symbolischer Repräsentation von Macht“ von Daniel Ursprung, „Staatliche Raumordnung in Siebenbürgen“ von Katja Lasch und „Regionale Abgrenzungsprobleme innerhalb Siebenbürgens am Beispiel des Aranyosszék“ von Dr. Meinolf Arens. Am Abend konnte man sich in zwei Arbeitsgruppen mit der rumänischen und der ungarischen Sprache beschäftigen.

Der Folgetag hingegen stand zunächst nicht im Zeichen Siebenbürgens: Auf einer Exkursion in das nahe gelegene Städtchen Berching wurden die Teilnehmer sowohl über Kanalbau und -nutzung als auch über die problematische Entwicklung eines Ortes informiert, der seit dem Mittelalter im Bistum Eichstätt gelegen blühte und gedieh und nach dem Anschluss an das unter Napoleon neu gegründete Königreich Bayern umso jäher in der Bedeutungslosigkeit versank.

Am Nachmittag ging es aber wieder in medias res: Daniel Beins Proseminar setzte sich mit „Überschneidungen ethnischer, konfessioneller, kultureller und politischer Räume in Siebenbürgen“ auseinander. Er zeigte nicht nur, dass es für Rumänen, Ungarn und Sachsen schwieriger als erwartet war, die für sie relevanten Gebiete in Siebenbürgen zu benennen und deutlich einzugrenzen, sondern auch, dass die Karte Siebenbürgens im kulturellen Gedächtnis der einzelnen Ethnien zumindest teilweise durchaus unterschiedlich aussieht. Bein verfolgte mit seiner Veranstaltung allerdings noch ein weiteres Ziel: Durch die Einordnung Siebenbürgens in einen größeren Zusammenhang und den Vergleich mit anderen Regionen sollte allzu große Bedeutungszumessung ein wenig relativiert werden. Dieser Aufgabe widmete sich der Schweizer Daniel Ursprung, der in einer scherzhaft provokativen Rede nicht nur die Berge der Karpaten neben denen der Schweizer Alpen sehr klein aussehen ließ: Der Vergleich zwischen Siebenbürgen und der Schweiz kam fortan als running gag immer wieder zur Sprache.

Vielfältige, oft recht emotionale Reaktionen beim Publikum rief der abendliche Diavortrag von Christof Kaiser über „Die Entwicklung der Städte und ländlichen Siedlungen in Siebenbürgen nach 1990“ hervor, der trotz aller erschreckenden Bilder von Bausünden und architektonischem Wildwuchs doch auch etwas Positives zeigte: Es bewegt sich etwas in Rumänien, und wo gebaut wird, da kann die wirtschaftliche Situation so schlecht nicht sein.

Der nächste Vormittag war geprägt von zwei sehr gegensätzlichen Themengebieten: Während Jürgen Binder in einem Vortrag über „Die Marginimea Sibiului: ein ländliches Grenzgebiet vor den Toren Hermannstadts“ hauptsächlich in die praktischen und wirtschaftlichen Aspekte der Schafzucht einführte, informierte Tina Olteanu im „aktuellen Referat“ über Parteipolitik und die diesbezüglichen Vorgänge vor und während der Wahlen 2004 in Rumänien. Nach der Mittagspause war in zwei Proseminaren die Mitarbeit der Teilnehmer gefragt: Franz Horváth ließ „Quellen zur Geschichte der Ungarn Rumäniens in den 1930er Jahren“ analysieren, Petra Schaser stellte „Die Thesen Samuel P. Huntingtons zum Kampf der Kulturen am Beispiel Rumäniens“ vor. Die Deutung der umstrittenen Thesen führte zu lebhaften Diskussionen, die offensichtlich nachhaltig wirkten: Bei bereits erwähnten Silvestersketchen traten gleich zwei Huntington-Doubles auf und führten ihre eigenen Thesen ad absurdum.

Abgerundet wurde das Vortragsprogramm am letzten Tag des alten Jahres mit drei Beiträgen: Thomas Șindilariu informierte unter dem Titel „Das Burzenländer Sächsische Museum als Raum der Identitätsstiftung“ nicht nur über die Geschichte seiner nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelösten Sammlungen, sondern konnte auch mit spannenden Berichten von seiner aktuellen Tätigkeit als Archivar an der Schwarzen Kirche in Kronstadt aufwarten. Peter Moldovan stellte seine Doktorarbeit über „Die Revolution von 1848/49 im mittleren Siebenbürgen“ vor, und Tiberiu Clujeanu zeigte in seinem Vortrag über „Klausenburg im Reformationszeitalter“, wie stark konfessionelle Verschiebungen dazu beitrugen, dass die sächsische Bevölkerung in dieser Stadt früh ihre Bedeutung verlor.

Die restliche Zeit der Akademiewoche gehörte fast vollständig dem gemeinsamen Feiern: An Silvester wurde bis in den Morgen hinein gegessen, getrunken und vor allem auch getanzt; dementsprechend verlief der Neujahrstag ruhig und entspannt. Am Nachmittag wurden aktuelle wissenschaftliche Arbeiten vorgestellt und diskutiert und Christian Rother informierte über die Siebenbürgische Bibliothek, deren Katalog mittlerweile zu großen Teilen über die Internet-Seite der Universitätsbibliothek Heidelberg einzusehen ist. In der Abschlussrunde stimmten alle im Großen und Ganzen darin überein, dass auch diese Akademiewoche wieder rundum gelungen war.

Man darf schon auf das nächste Mal gespannt sein: Unter dem Titel „Siebenbürgen - Forschungstraditionen und aktuelle Perspektiven“ soll ein möglichst vielfältiges Programm zur XX. Akademiewoche von Studium Transylvanicum geboten werden. Dass dieses Jubiläum besonders gefeiert werden wird, versteht sich von selbst – und dass die Einzige, die diesmal den Sprung ins Neue Jahr wörtlich nahm, sich dabei den Fuß verstauchte, kann kein schlechtes Omen sein. Jedenfalls waren wir letzten drei aus England, Rumänien und Deutschland stammenden Akademie-Mohikaner, die noch am Abend des Abreisetages in einer Nürnberger Spelunke in Bahnhofsnähe beim Bier zusammensaßen, uns ganz einig: Wir wollen nächstes Mal wieder kommen – und wir freuen uns schon darauf!

Benjamin Langer

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2005, Seite 11)

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