23. April 2005

"Aussiedlung - die Rettung?"

Ohne wenn und aber kann man im Rückblick behaupten, die Aussiedlung der Siebenbürger Sachsen, insgesamt der Deutschen aus Rumänien, die verstärkt in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzte (zuerst in Nordsiebenbürgen, anschließend in Südsiebenbürgen), war in der gegebenen historischen Situation die richtige Entscheidung. Dieses Fazit zog Horst Göbbel, stellvertretender Vorsitzender der Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen, in seinem fünften Vortrag aus der Serie "Heimatverlust - Heimatgewinn" am 7. April im Haus der Heimat in Nürnberg.
Nach einer einführenden intensiven und gewinnbringenden Diskussion zum sehr aktuellen Thema "Tod von Papst Johannes Paul II." ging es um einen historischen Vorgang ersten Grades, um das Phänomen der Aussiedlung der Deutschen aus Osteuropa. Auch wenn seinerzeit einzelne, besonders ältere Landsleute sehr darunter leiden mussten, ihre geliebte Heimat verlassen zu müssen, so ist für die Masse der Aussiedler dieser Schritt sowohl richtig gewesen als auch größtenteils zum rechten Zeitpunkt geschehen. Zwar hat Rumänien bei Kriegsende seine Deutschen nicht ins Ausland vertrieben, in Wirklichkeit jedoch wurden die Deutschen "permanenten Vertreibungsvorgängen schutzlos ausgesetzt", wie es einmal Hans Bergel treffend formulierte und hinzufügte: Die Deutschen erlebten einen "Prozess der seelischen Entheimatung in der Heimat".

Schon Mitte der 50er Jahre überschrieb die Zeitschrift "Christ und Welt" einen Bericht aus Rumänien mit der Balkenüberschrift: "In Siebenbürgen stirbt ein Volk". Die siebziger und achtziger Jahre erhöhten in Rumänien neben der täglichen Drangsal durch das diktatorische nationalistische Regime Ceausescus den Assimilationsdruck auch auf die Deutschen. Die Minderheit geriet weiterhin in arge Bedrängnis. Was war zu tun? Die Frage "Bleiben oder gehen?" wurde allgegenwärtig. Das "Ausharren" hatte keinen Sinn mehr, weder für den Einzelnen, noch für die Gemeinschaft, erläuterte Göbbel. Hans Hartl, siebenbürgisch-sächsischer Historiker und Publizist, notierte dazu: "Ausharren - warum, wofür, mit welchem Ziel? Um vielleicht noch ein, zwei Generationen lang zwischen den Ruinen einer 800-jährigen Geschichte sozusagen im Austragsstübchen einer demütigenden Untertanenschaft dann am Ende doch auch das Letzte zu verlieren: die eigene nationale, kulturelle und sprachliche Identität? ... Kann es der Sinn der sächsischen Geschichte gewesen sein, an ihrem Ende die Überlebenden der ‚Homogenisierung' zu opfern, eingeschmolzen zu werden wie Alteisen in einer Gießerei? ..." (Siebenbürgische Zeitung, 28. Februar 1986). Ebenso erinnerte der Vortragende an ein treffendes Wort des Sachsenbischofs Georg Daniel Teutsch aus dem 19. Jahrhundert: "Edle Menschen haben seit jeher die Freiheit dem Vaterlande vorgezogen." Wohin man gehen wollte, war klar. Nach Deutschland, zurück in die Urheimat. Ernst Wagner sagte einst präzise: "Sie möchten in einem Staat zu Hause sein, in dem nicht ein allmächtiger Apparat über alles bestimmt, sondern in dem gleiches Recht für alle gilt, in dem die Freiheit des einzelnen geachtet wird und in dem jeder sein Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten kann." Und wenn man weiß, dass z.B. die nationalistisch-chauvinistische Partei "Vatra Romaneasca" nach dem Sturz des Diktators Ceausescu im März 1990 proklamierte: "Rumänien gehört den Rumänen! Minderheiten haben nur Gastrecht", dann ist klar, dass auch nach dem großen europäischen Umbruch 1989/90 die Aussiedlung der Deutschen nicht aufhörte.

Sehr ausführlich dokumentierte Horst Göbbel - zum Teil aus der eigenen Erfahrung und mit entsprechenden Unterlagen in einer Power-Point-Präsentation - die Aussiedlung als mühsamen Prozess mit jahrelanger Ungewissheit und unendlichem Warten, mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins, mit raffinierten Schikanen am Tor zur Freiheit, mit Warten, Hoffnung, Unsicherheit, Enttäuschung, Vorfreude, Rückschläge, mit Zermürbung, beruflicher Zurückstufung, Verängstigung und Anwerbungsversuchen durch Vertreter der Securitate, mit Bestechungsspielchen und dunklen Devisengeschäften, mit dem endlosen Papierkrieg, den demütigenden Behördengängen, mit dem ungewohnten Flug bzw. später der Bahnfahrt und der Ankunft in Nürnberg. Und dann der äußerst spannende unmittelbare Anfang hier im Land der Sehnsucht, im Land der Träume, im Land der Freiheit, zugleich im Land, in dem die Aufnahmebereitschaft der hiesigen Bevölkerung kontinuierlich abnahm. Auch hier dann Behördengänge ohne Ende, Bewältigung des schweren Weges vom unmündigen Untertanen zum mündigen Bürger, von der überschaubaren siebenbürgisch-sächsischen Welt in das deutsche Großstadtgetriebe, bis hin zum beruflichen, zum materiellen Weiterkommen, zum Versuch, das mitgebrachte unsichtbare Gepäck aus den Bereichen Kultur, Religion, Sprache, Gewohnheiten, Bräuche positiv im landsmannschaftlichen Gemeinschaftsleben zu nutzen, hier am bundesdeutschen Wohlstand aktiv zu partizipieren, sich hier zu integrieren, ohne die mitgebrachte Identität aufzugeben ...

Die Vortragsserie "Heimatverlust - Heimatgewinn" war ein ertragreiches Unterfangen. Allen eifrig zuhörenden und mitdiskutierenden Teilnehmern sei auch auf diesem Wege herzlich gedankt.

Horst Göbbel

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2005, Seite 15)

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