17. Juli 2005

"Der Teufel und die Tanne"

„Vor langer, ja sogar vor sehr langer Zeit, als der liebe Gott und auch der Teufel noch gelegentlich auf die Erde kamen ...“ - So beginnt das Märchen „Der Teufel und die Tanne“, mit dem Rudolf Rösler (Regensburg) die Leser der Siebenbürgischen Zeitung in Folge 11 vom 15. Juni 2005 (Seite 8) tief in den Karpatenurwald geführt hat. Was es wahrhaftig mit der Tanne auf sich hat, das lehrt uns diese von hintergründigem Humor durchwirkte Erzählung.
Bis zu meiner Aussiedlung 1976 nach Deutschland durchstreifte ich als Forstbeamter im rumänischen Staatsforstdienst (1958 bis 1976) als Jäger und Botaniker die unendliche Bergwelt Siebenbürgens und seine urigen Wälder. So manche Nacht verbrachte ich an Reisigfeuern, in primitiven Jagdhütten (Koliba), Sennen (Stina) und auch in entlegenen Weilern und einsamen Bergbauernhöfen. Dabei herbarisierte ich und sammelte nicht nur Hinterglasmalerei, Holzikonen, Bauernuhren und Volkskeramik, sondern auch Märchen, Sagen und Legenden.

Eine der Quellen meiner deutschen, rumänischen, ungarischen und zigeunerischen Märchensammlung war der Revierbeamte Falcon, als ich 1959 als junger Forstrat das Forstamt Talmesch in den Südkarpaten einrichtete (zur Forstdirektion Hermannstadt gehörend). Er war Nachkomme eines aus Trient (damals noch Österreich-Ungarn) stammenden Facharbeiters, der nach Siebenbürgen auswanderte und bei der großen und bekannten italienischen Kapitalgesellschaft Feltrinelli Arbeit fand; einer der größten Schnittholzhersteller des Südost-Karpatenraumes, mit Sägewerken ausgestattet mit bis zu 20 Gattern. Die Arbeiterkolonie Feltrinelli (Colonia Feltrinelli) hat auch die harten Jahre des Kommunismus überstanden und sich zu einer selbstständigen Ortschaft gemausert. Mein Gewährsmann Falcon (einst Falcone; sein Vater hatte sich nach der Heirat mit einer Rumänin romanisiert) hatte als junger Forstmann gegen Ende der 1930er Jahre so manches Märchen dem Knaben Giangiacomo Feltrinelli (*1926), genannt Giangi, erzählt, als dieser einen Sommerurlaub in Siebenbürgen verbrachte. Damals war Giangi ein begeisterter Faschist, der gerne die Uniform eines berittenen avanguardista trug und für den Duce schwärmte. Später sollte diesen reichen Erben von riesigen Waldungen in Osteuropa, Rinderherden in Brasilien, Bank-, Immobilien- und Industrievermögen ein Gärtner zum kommunistischen Revolutionär bekehren. Ab 1969 lebte er im Untergrund und bei einem Sprengstoffattentat kam er 1976 ums Leben.

Doch dieses konnten wir - Falcon als Erzähler und ich als Sammler - im Sommer des Jahres 1959 nicht ahnen. Als Erinnerung an die urige Landschaft meiner alten Heimat Siebenbürgen, an deren riesige Wälder, an die unvergessenen, zahlreichen von mir einst befragten Märchenerzähler, jedoch im Besonderen an den alten Falcon, der nun im Himmel wahrscheinlich dem einst in den Karpaten so glücklichen Knaben Giangi noch so manche Sage und Legende erzählt, sei nun das folgende Märchen gewidmet: „Der Teufel und die Tanne“.


Vor langer, ja sogar vor sehr, sehr langer Zeit, als der liebe Gott und auch der Teufel noch gelegentlich auf die Erde kamen und sich zwischen den Menschenkindern aufhielten, sah der Teufel den Förster in den Wald marschieren. Dieser gefiel ihm über die Maßen gut in seinem grünen Gewand, mit geschulterter Flinte und prall gefülltem Rucksack, aus dem ein Wurstzipfel herausragte. Am besten jedoch gefiel dem Teufel der keck sitzende Jägerhut. „Förster musst du werden“, sagte sich der Teufel, „dann schauen dir alle Dirndl nach, wenn du durch das Dorf in den Wald schreitest!“ Gedacht, getan! Er wurde Förster! Schick gekleidet, doch leicht auf einem Bein hinkend, begab er sich in den sieben Meilen weit gelegenen Karpatenurwald. Das sah der liebe Gott und schickte ein fürchterliches Unwetter. Von Kopf bis Fuß und bis auf seine schwarze Haut wurde der Teufel durchnässt. Als er endlich in den schützenden Wald trat, schickte der liebe Gott erneut das schönste Sommerwetter. Doch im Wald beregnete es den Teufel zum zweiten Mal, da die im Laubwerk der Bäume gesammelten großen Wassertropfen mit Verspätung zu Boden fielen. Da wurde der Teufel böse und schimpfte: „Verflucht sei dieser Menschenberuf! So dumm wie die Förster werde ich nicht sein und mich von einem Regenwetter zweimal durchnässen lassen!“ Punktum hängte er diesen „dämlichen“ Beruf an den Nagel. Doch der Wald mit seinen wilden Tieren, den Bären, Wölfen und Luchsen hatte ihm gut gefallen, standen da doch auch die schönsten Riesenfichten, die beinahe bis in den Himmel ragten. „Aus denen kann man die schönsten Bretter und Balken gewinnen“, sagte sich der Teufel. „Als Holzmühlenbesitzer und Holzhändler kannst du im Nu wohlhabend und angesehen werden“, dachte er so bei sich.

Doch der Fichten-Karpatenurwald gehörte dem lieben Gott. „Den Alten werde ich schon rumkriegen und diesen schönen Wald mir zu Eigen machen!“, sagte sich der Teufel. Der liebe Gott war mit seinem Vorschlag einverstanden und verpachtete den Fichtenwald für sieben Jahre an den Herrscher der Hölle unter der Bedingung, den schönsten und ältesten Baum nicht zu fällen. Dieser war eine Tanne. Nun baute der Teufel eine Holzsäge; bis heute ist es in den Karpaten bekannt, dass dieses Teufelswerk vom Höllenfürsten erfunden wurde. Auf den Gedanken, ein Wasserrad zu bauen, kam der Schwarze nicht; brauchte er auch gar nicht, denn in der Unterwelt lungerten jede Menge kleiner Teufelchen herum, die sowieso die teure Zeit vergeudeten. Diese mussten nun „schnell wie der Teufel“ die Sägeblätter umtreiben.

Das Geschäft ging gut und an einem schönen Spätsommerabend saß der Teufel zufrieden und genüsslich einen Tschibuk (Wasserpfeife) rauchend auf der Bank vor seiner Holzmühle. Der liebe Gott lustwandelte so für sich hin durch den Urwald und gelangte auch zur Mühle des Teufels. Als er die kleinen Belzebuben sah, die ganz verschwitzt und übermüdet das Teufelswerk antrieben, sprach er zu Satan: „Wie kannst du deine Brut so ausnutzen? Ich würde das im Himmel mit meinen Engelein nie und nimmer tun! Ich würde doch lieber ein Rad einbauen und die Arbeit vom Wasser verrichten lassen!“ – „Ja, ist denn das möglich?“ fragte der Teufel. „Aber ich kenn mich nicht aus, wie soll ich ein Rad bauen?“ – „Das wirst du wohl nicht können, doch ich schlage dir vor: Ich bau dir ein Wasserrad, dafür rückerstattest du mir den Fichtenwald bis in den Herbst, wenn die Blätter von der alten Tanne fallen.“ Der Teufel war mit diesem guten Geschäft einverstanden. Doch als es Herbst wurde, fielen die Birken- und Vogelbeerblätter, doch die Blätter der alten Tanne rührten sich nicht. Auch der Winter zog ins Land und die alte Tanne schmückte sich noch immer mit ihrem grünen Reis. Da wurde der Teufel wild und böse, dämmerte es ihm allmählich, dass der liebe Gott ihn gefoppt und um seinen schönen Urwald gebracht hatte. Der Schwarze wurde ganz fuchtig, sogar zornrot im Gesicht, was bei diesem sehr selten vorkommen soll, wie die Alten wissen. „Du sollst mit deiner alten Tanne kein Glück haben, zersprengen soll sie dir die Sägemühle“, kreischte der Teufel. Er holte die härtesten Eibenholznägel und schlug sie von unten nach oben voller Wut in den Stamm der alten Tanne. Oben angekommen, sah er auf der Spitze des Baumes ein Kreuz aus Tannenzweigen. In maßlosem Zorn brach er die Spitze ab und schleuderte diese hinunter. Darauf rutschte er voller Abscheu den Stamm hinunter und machte sich dabei voller Angst in die Hosen. So entstand das wie Pech klebende Tannenharz. „Ich werde mich gewaltig rächen!“, schwor der Höllenmann. Er bot nun dem Adler an, dieser solle die alte Tanne an den Meistbietenden verschachern. Halbe Halbe Gewinn! Da es dem Adler oben auf der Tannenspitze recht gut gefiel, baute er sich dort ein Nest. Darob war der Teufel böse und befahl ihm, die zahlreichen Kreuze, die an den Ästen wuchsen, abzuhacken oder die alte Tanne auf der Stelle zu verlassen. Der Adler hatte zu jenen Zeiten einen geraden, schönen Schnabel. Doch bei dieser Schwerarbeit verbog sich sein Schnabel, der bis heute krumm geblieben ist. Die zahlreichen, vom Adler abgehackten Tannenkreuzzweiglein fielen auf den Boden, schlugen Wurzeln und so entstand nach Jahren aus der einzigen alten Tanne der große Karpatentannenurwald. Bis zu dieser Begebenheit hatte der Adler ein schönes, graues Gefieder mit weißen Schwingfedern. Durch den damals am Stamm haftenden Teufelskot, der schwarz wie Pech war, wurde das Federkleid des Adlers schwarz und seit damals gibt es in den Karpaten den „Vultur negru“ (Schwarzadler), wie die rumänischen Bergbauern, Hirten und Jäger den Mönchsgeier auch heute noch nennen. Seit damals, so meinen die Tischler und Zimmerleute, hat die Tanne Pechbeutel unter der Rinde sowie rauhe Astigkeit und wird von den Sägern ungern geschnitten, werden doch die Sägeblätter arg verklebt und abgenutzt.

Der inzwischen leerstehende Adlerhorst wurde von einem Storchenpaar bezogen, dem es in der luftigen Höhe des ruhigen Urwaldes sehr gut gefiel. Wie dem Adler erging es auch den schönen schneeweißen Störchen. Durch den Teufelskot wurde ihr Gefieder schwarz und seit damals tragen sie den Namen Schwarzstorch. Weil diese Störche in den Karpaten seit jener Zeit mit Vorliebe auf Alttannen nisten, sind deren Kronen noch heute als „Storchennest“ bekannt.

Wenn der Teufel als Erfinder der Holzmühle(nsäge) gilt, so wird der liebe Gott als Erfinder des Wasserrades, also der Wassersäge auch heute noch in den Karpaten gepriesen und auf jedem Schindeldach dieser Einrichtung steht immer ein kleines Holzkreuz. Wie die Altvorderen wissen, lustwandelt der liebe Gott nicht mehr wie einst auf Erden und den Teufel trifft man auch immer seltener an. Doch Schwarzadler und Schwarzstorch ziehen noch immer ihre Kreise in luftigen Höhen über den Karpatentannenwäldern, in deren Täler auch heute noch die alten Holzsägemühlen leise vor sich hinklappern. Da der Teufel einst Holznägel in die Tanne schlug und auch ihren Stamm besudelte, war ihr Holz kaum gesucht, und so nannte man diesen Nadelbaum „Fichte der armen Leute“. Darob war die alte Tanne sehr traurig. Als der liebe Gott dies erfuhr, erhob er sie in den Adelsstand der Bäume, unter dem Titel „Nemes“ (lies Nemesch, so genannt von den rumänischen und ungarischen Karpatenbergbauern), was so viel wie „edel“, also adelig heißt. Auch erkor er sie zum Christbaum, den edelsten Baum der Karpaten, allgemein bekannt als Edeltanne. So wurden die Nachkommen der alten Tanne zum Symbol des Weihnachtsfestes.

Rudolf Rösler


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