15. August 2005

Parteien auf dem Prüfstand

Vor der Bundestagswahl 2005 stellt sich die Frage, wie die Parteien zu den Problemen und Anliegen der Siebenbürger Sachsen stehen. Bundespräsident Horst Köhler hat am 21. Juli über das Fernsehen bekannt gegeben, dass er den 15. Deutschen Bundestag auflöst und Neuwahlen für den 18. September 2005 ansetzt. Köhler übernahm weitgehend die Begründung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der keine verlässlichen Mehrheitsverhältnisse für eine stetige Politik mehr sah. Köhler umriss die dramatische Lage der Republik wie folgt: "Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen, kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten."
Darüber hinaus fragen sich die Siebenbürger Sachsen vor der Bundestagswahl am 18. September 2005 fragen: Wie stehen die politischen Parteien in Deutschland zu ihren berechtigten Anliegen? Zur Stimmabgabe aufgerufen sind im Sinne praktizierter Demokratie auch die Aussiedler in Deutschland und mit ihnen die hier lebenden Siebenbürger Sachsen. Ortung und Kenntnis der Positionen, die von den wichtigsten im Bundestag vertretenen Parteien gerade in Fragen der Aussiedlerpolitik eingenommen werden, können dabei Entscheidungshilfe leisten. Deshalb hat die Siebenbürgische Zeitung die Parteien aufgrund von "Wahlprüfsteinen", die von der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen erarbeitet wurden, befragt. Die Antwort wird in einem zusammenfassenden Artikel in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. September 2005 veröffentlicht.

Die "Wahlprüfsteine" im Einzelnen

Die Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsmäßig (Artikel 116 des Grundgesetzes) und aufgrund ihrer Schutz- und Obhutspflicht gegenüber den Opfern des von deutschem Boden ausgegangenen Zweiten Weltkrieges zur Aufnahme von aussiedlungswilligen Deutschen weiterhin verpflichtet. Die gesetzlichen Regelungen und die restriktive Aufnahmepraxis der Bundesrepublik Deutschland haben dazu geführt, dass kaum noch Deutsche aus Rumänien zuwandern können. Im Jahr 2004 wurden lediglich 76 Neuzugänge aus Rumänien registriert, ein Jahr zuvor waren es 137, 2002 noch 256, 2001: 380, 2000: 547, 1999: 855, 1998 genau 1 005 und 1997 immerhin 1 777 gewesen.

Es gibt Familien, die im Vertrauen auf die Aufnahmebescheide des Bundesverwaltungsamtes ihre Lebensgrundlage im Herkunftsland aufgegeben haben, nach Deutschland eingewandert sind und hier nun - anders als im Aufnahmebescheid zugesagt - nicht als Spätaussiedler anerkannt werden. Diese Personen müssen mit ausländerrechtlichem Status gegen Abschiebung kämpfen und können nicht in unsere Gemeinschaft integriert werden. Wie stehen die Parteien zu solchen Fällen und zur Zuwanderung aussiedlungswilliger Deutscher aus Rumänien im Allgemeinen?

Integration in Deutschland

Es ist der beispielhaften Aufnahmebereitschaft der in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger zu verdanken, dass annähernd 250 000 Siebenbürger Sachsen im Laufe von 60 Jahren nach Kriegsende hier neue Heimat gefunden haben. Von einer auf ein gemeinsames Europa ausgerichteten, zukunftsorientierten Politik der Bundesregierung erwartet die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen vermehrte und vielfältige Integrationsmaßnahmen. Der von den Siebenbürger Sachsen in Deutschland seit fünf Jahrzehnten auch über die Grenzen Europas hinaus geleistete Brückenschlag kann nur dann erfolgreich sein, wenn ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eingliederung und Verankerung in Deutschland weiter ausgebaut und langfristig gesichert wird. Vor allem die junge Generation stellt ein gewichtiges zukunftsfähiges Potenzial dar, das nur durch besondere Integrationsanstrengungen gesichert werden kann.

Zu ergründen ist also die Position der Parteien bezüglich der Eingliederung der Aussiedler und speziell der Siebenbürger Sachsen. Welche Fördermaßnahmen sind geplant? Wie kann die bundesdeutsche Politik ein Klima der Akzeptanz und der Solidarität gegenüber den Aussiedlern fördern und Vorurteile gegen die deutschen Zuwanderer aus Osteuropa abbauen?

Breitenarbeit und Kultureinrichtungen in Deutschland

Die Förderung der siebenbürgisch-sächsischen Kulturarbeit ist gesetzlich verankert: Bund und Länder sind gemäß Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) verpflichtet, "das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten". Durch Kürzungen im Bereich der Vertriebenen- und Aussiedlerkulturarbeit hat die rot-grüne Bundesregierung allerdings die kulturelle Breitenarbeit sowie die verständigungspolitische Arbeit, die Brücken- und Vermittlerfunktion der Landsmannschaften in den letzten Jahren erheblich geschwächt. So wurde die Stelle eines bei der siebenbürgischen Landsmannschaft angesiedelten Kulturreferenten zum 30. Juni 2001 ganz gestrichen und muss weiter aus Mitgliedsbeiträgen finanziert werden.

Von der Politik erwarten die Siebenbürger Sachsen zudem Verständnis und Unterstützung bei der Sicherung und dem Erhalt des historisch gewachsenen Kulturzentrums in Gundelsheim am Neckar. Mit dem Siebenbürgischen Museum, der Siebenbürgischen Bibliothek mit angeschlossenem Archiv und dem Siebenbürgen-Institut pflegen wir nicht nur das Kulturgut der Siebenbürger Sachsen, sondern mit Hilfe dieser Einrichtungen von europäischer Bedeutung wird auch einen lebendiger Brückenschlag nach Südosteuropa, vor allem ins Herkunftsland, geleistet.

Wie stehen die Parteien zur Förderung der siebenbürgischen Kultureinrichtungen und Kulturarbeit in Deutschland?

Erhebliche Belastung für Rentner

Mit der gesetzlich verankerten 40-prozentigen Kürzung der Fremdrentenansprüche für alle nach dem 1. Oktober 1996 ins Rentenalter eintretenden Aussiedler aus Rumänien und aus den Staaten der früheren UdSSR wurde der Gleichheitsgrundsatz und Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge missachtet. Zahlreiche juristische fundierte Gutachten sprechen gegen diese Kürzungen. Das Bundessozialgericht in Kassel hat in mehreren Klageverfahren die Verfassungswidrigkeit der 40-prozentigen Kürzungen der Fremdrentenansprüche erkannt und in mehreren Richtervorlagen die Fälle zur Entscheidung dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorgelegt.

Wie stehen die Parteien zur Frage der erheblichen Rentenkürzungen, mit denen die Aussiedler einseitig, zusätzlich zu den allgemeinen Kürzungen schon 1996 konfrontiert worden sind?

Stabilisierung der deutschen Minderheit in Rumänien

Die deutsche Minderheit in Rumänien, die nach dem Massenexodus Anfang der neunziger Jahre erheblich geschwächt ist, kann nur durch einen gesicherten Minderheitenschutz und die Wiederherstellung ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen in Rumänien überleben. In den 16 Jahren seit der Wende in Osteuropa wurde das nach dem Zweiten Weltkrieg enteignete Gemeinschafts- und Privateigentum den in Rumänien lebenden Landsleuten nur in wenigen Fällen zurückgegeben. 2007 oder 2008 soll das Land in die Europäische Union aufgenommen werden. Welche Maßnahmen planen die Parteien im Bereich der Förderung der deutschen Minderheit in Rumänien?

Das sind allesamt Fragen, die die Siebenbürger Sachsen beschäftigen. Vorstände der Kreis- und Landesgruppen sowie andere politisch engagierte Mitglieder der Landsmannschaft sind aufgerufen, auf die Bundestagskandidaten und andere Politiker zuzugehen und unsere siebenbürgischen Anliegen bewusst zu machen.

S. B.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 10. August 2005, Seite 1 und 3)

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