11. September 2005

Henndorfer Stollentruhen beschäftigen Forschung

Zum Vortrag von Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl von der Fachhochschule Hildesheim hatten sich unter vielen anderen Persönlichkeiten auch Bischof D. Dr. Christoph Klein und Prof. Dr. Paul Niedermaier mit Gattin am 27. Juli im Konferenzsaal des Kultur- und Begegnungszentrums „Friedrich Teutsch“ eingefunden. Dr. Wolfram G. Theilemann, Leiter des Teutsch-Hauses, begrüßte die Anwesenden und stellte Prof. G. Maierbacher-Legl und ihre Arbeit kurz vor. Zwei fahrende Gesellen aus Deutschland in Zimmermannstracht wurden als treue Helfer des Truhen-Projektes von der Referentin herzlich begrüßt. Die studierte Restauratorin, Volkskundlerin und Möbel-Expertin bot zum vorläufigen Abschluss des Projektes, kurz vor ihrer Rückkehr nach Deutschland - die beteiligten Studenten und Dozenten der Fachhochschule Hildesheim hatten das Land bereits verlassen -, anhand von Dias eine Reise in das obere Harbachtal, nach Henndorf mit seiner turmlosen, gotischen Saalkirche, ihren zwei spätmittelalterlichen Wehrgeschossen und 120 alten Stollentruhen.
Mächtige Silberpappeln gehören zu dem Kirchen- und Pfarrhof-Ensemble mit der Umfassungsmauer. Auf dem reparaturbedürftigen Satteldach der Kirche gibt es seit jeher Störche. Noch drei Familien von Siebenbürger Sachsen leben im Dorf. Dennoch ist die Kirchenburg gut behütet, weil die Schlüssel bei einer resoluten Ungarin verwahrt werden. Besucher, ob Restauratoren oder Touristen, erhalten nur einen beschränkten Zugang. Eine steile, enge Wendeltreppe führt zu den Wehrgeschossen. Dort stehen, teilweise dicht an dicht, die 120 Stollentruhen, Jahrhunderte alt, ein Fundort für Forschung und Denkmalpflege im 21. Jahrhundert. Ein einmaliges Unikat europaweit in ihrer archaischen Bauweise und ihren Bemalungstechniken, wie die Vortragende mit leuchtenden Augen feststellte.

Die ungarische Möbel- und Restaurierungsexpertin Prof. Klara Csillery aus Budapest hatte erst 1998 die Henndorfer Truhen wieder aufgesucht und an die Fachhochschule Hildesheim, respektive den Fachbereich Konservierung und Restaurierung appelliert, etwas gegen den Verfall dieser wertvollen uralten Möbelstücke zu unternehmen. Staub und Sand, Holzwürmer und vor allem der ätzende Taubenkot hatten den in der Fachwelt nicht unbekannten Truhen stark zugesetzt. In der ethnografischen Fachliteratur wurden die Stollentruhen letzthin vor 25 Jahren beschrieben, aber nicht erforscht. Im Jahr 2000 veranstaltete dann die Fachhochschule Hildesheim eine Exkursion nach Henndorf zu ersten Erkundungen und zur Festlegung eines Konservierungsprojektes. Unterstützung erhielten die Dozenten von dem Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche, von Prof. Dr. Paul Niedermaier sowie vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. in Person von Dr. Konrad Gündisch.

Per Inventur erfasste man 118 Stollentruhen in insgesamt vier Geschossräumen, wo die Möbel über Jahre mangelhaft geschützt waren. Bei gleicher Konstruktionsweise war die Dekorationsmalerei unterschiedlich. So teilte man die Truhen in jene des Typs I und des Typs II ein. Der Zugang zu den Truhen war aufgrund des schlechten Zustands der Laufböden über dem Chorraum lebensgefährlich. Abhilfe schafften die Fahrenden Gesellen der Vereinigung der „Freien Vogtländer Deutschlands“, Stefan Ighișan und Jan Philipp Lindenlauf, indem sie in historischer Bauweise neue Bohlen in zwei der vier Räume verlegten. Binnen 14 Tagen konnten die beiden Zimmerer-Gesellen mit weiteren fünf Helfern den Zugang zu den schweren Truhen (vier Männer haben an einer Truhe ordentlich zu schleppen) fachgerecht herstellen.

Später fand man noch zwei Truhen, so dass es insgesamt 120 sind. Die Bestimmung ihres Alters ist schwierig. Sie schwankt um 200 bis 300 Jahre zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert. Aber auch davor oder danach wäre ihre Entstehung möglich, bemerkte Maierbacher-Legl. Auch hinsichtlich der Entstehungsweise der ausschließlich aus Buchenholz gefertigten Stollentruhen tappt man noch im Dunkeln. Da sich Buche leicht verformt, mussten die Truhen mit Nutfassung der Bretter und mit Holznägeln verfestigt werden. Es gab keinerlei Verleimungen. Mit den Methoden der Ethnographie kommt man bei der Datierung nicht weiter. Die international vernetzten Fachexperten forderten weitere Forschungen. So holte man zwei Truhen (je eine vom Typ I und Typ II) zu Musteruntersuchungen nach Hildesheim. In Labors erforschten Studenten diese Truhen und verfassten darüber Facharbeiten.

In der Kirchenburg von Henndorf gibt es weder Wasser noch Strom. Daher verlagerte man die Konservierungsarbeiten auf den etwa 15 km entfernten Pfarrhof nach Schäßburg, in die Archivräume auf der Burg. Der beim Vortrag anwesende Hans Jürgen Binder, Angestellter des Teutsch-Hauses, leistete in Schäßburg wertvolle technische Hilfe, ebenso der Vater einer Hildesheimer Studentin, der unentgeltliche Elektroinstallationsarbeiten in den Archivräumen durchführte. 2003 gelang es in einem Gemeinschaftsprojekt zusammen mit ungarischen Studenten aus Budapest, vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert, elf Truhen zu konservieren. 2004 wurden weitere sieben und 2005 noch fünf Truhen konserviert.

Zurück zum Datierungsproblem. Eine Stollentruhe aus Henndorf, die im Schäßburger Stundturm-Museum ausgestellt ist, stammt laut Beschriftung aus dem 16. Jahrhundert und wird auf 1560 datiert. Auf den Truhen selbst findet sich keine Datierung und auch die Bemalungen lassen keine zeitliche Zuordnung zu. Für eine wissenschaftlich fundierte Datierung kommt die Erforschung der Jahresringe durch die Holzwirte (Fachleute) in Frage bzw. die Messung der Abfolge von Hell-Dunkel-Schattierungen. Für Nadelhölzer und auch die Eiche gibt es per Computer erstellte, international gültige Kurven bereits standardmäßig, nicht so für die Buche. Zurzeit betreut Prof. Klein, Fachdozent für Holz-Anatomie in Hildesheim, eine Diplomarbeit über die Vermessung der Henndorfer Truhen. Hier werden die entsprechenden Kurven erstmals ermittelt. Mit Rücksicht auf die unveröffentlichte Arbeit konnten erste Ergebnisse nicht publik gemacht werden. Bereits 20 Truhen sind „durchgezählt“ und von der Studentin Franziska Franke ein zweites Mal mit Lupe und Computer überprüft. Derzeit lagern in Abstimmung mit Dr. Christoph Machat einige vermessene Truhen in der Bergkirche von Schäßburg. Begleitend zum Diavortrag war im Eingangsbereich des Teutsch-Hauses eine Stollentruhe nebst Schautafeln zu den Konservierungsarbeiten ausgestellt. Die für das künftige Kirchenmuseum in der Hermannstädter Johanniskirche bestimmte Truhe weist eine typische Malerei-Dekoration in gutem Zustand auf.

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Die Referentin betonte, dass die Restauratoren Konservierung, keine Nachbearbeitung anstrebten. Die Malereien seien so zu erhalten, wie sie heute vorgefunden werden. Medaillons mit Fabeltieren zieren die Ladenseiten. Die Maltechnik verrät die Arbeit ausgebildeter Fassmaler, die mit Leim gebundene Farben benutzten. Die für Südosteuropa typische Verwendung von Gips als Weiß-Grundierung konnte nachgewiesen werden. Die Ikonographie der Henndorfer Truhen ähnelt einer aus dem 15. Jahrhundert datierenden Truhe im Ungarischen Nationalmuseum von Budapest. Die Referentin warb für den Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen der Fachhochschule, dem Landeskonsistorium und dem Ev. Pfarramt Schäßburg, um die künftige Forschungs- und Konservierungsarbeit zu erleichtern. Bischof Dr. Christoph Klein dankte der Hildesheimer Forscherin für den überaus informativen Vortrag und für die kontinuierlich geleistete Arbeit. Die Dokumentations-Schau wird wohl länger im Teutsch-Haus zu besichtigen sein und kann allen Interessierten nur empfohlen werden.

Walter Klemm

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