20. September 2001

Rumänien auf zähem Europakurs

Nach den Terrorangriffen in den USA erklärt sich Bukarest solidarisch mit dem nordatlantischen Bündnis. Trotz einer professionell wirkenden Regierung unter Adrian Nastase kommen die Wirtschaftsreformen nur langsam voran.
Die rumänische Regierung in Bukarest hat die Terrorangriffe vom 11. September auf die USA aufs Heftigste verurteilt und den Vereinigten Staaten militärische und logistische Hilfe bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zugesichert. Das Parlament hat vorgestern beschlossen, dass sich Rumänien – auf Antrag der NATO – an diesbezüglichen Einsätzen des nordatlantischen Bündnisses beteiligen wird.
Auch die Handelsbeauftragte der US-Botschaft in Bukarest, Susan R. Johnson, lobte die sehr gute Zusammenarbeit mit den rumänischen Behörden, die auch bei einer Bombendrohung auf die amerikanische Botschaft zehn Tage vor dem Terrorangriff in den USA zum Tragen gekommen sei. Die Erklärungen aus Bukarest zeugten von einem hohen Maß an politischer Normalität, wie sie in den meisten Ländern Europas vorherrscht. Im Ausland genießt das Kabinett von Nastase im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen einen guten Ruf als professionell, realistisch und außenpolitisch geschickt agierende Mannschaft, die auf klaren Europakurs steuert.
Schwierigkeiten bereitet der Nastase hingegen die zähe Wirtschaftsreform. Bukarest steht abermals vor einer engen Gratwanderung zwischen den Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach einer effizienten Wirtschaftsreform und der Angst vor sozialen Unruhen, die durch einschneidende Reformen entstehen könnten. So sollen nach Vorstellungen des IWF noch bis Jahresende Tausende Arbeitsstellen in den so genannten Regiebetrieben abgebaut werden. Die verzögerte Umsetzung dieser Maßnahme hat das "Schwarze Loch" in der Staatskasse mittlerweile vergrößert. Wie die rumänische Tageszeitung Adevarul berichtet, lehnt Industrieminister Dan Ioan Popescu diese Sparmaßnahme jedoch ab. Nastases Autorität gegenüber den eigenen Ministern sei angeschlagen, heißt es im gleichen Blatt.
Auch die Korruption in den eigenen Reihen und in der Verwaltung wird von der Regierung nicht sonderlich ernst genommen. Hochrangige Offiziere des Innenministeriums und andere Staatsfunktionäre waren in den letzten Monaten durch Enthüllungen in der Presse in ein schiefes Licht geraten: Sie hätten luxuriöse Villen und Ferienhäuser aufgezogen, deren Kosten weit über ihre Einkommensverhältnisse hinausgehen. Daraufhin ordnete Innenminister Ioan Rus eine Untersuchung an, deren ernüchterndes Ergebnis er kürzlich mit oberflächlicher Argumentation vorstellte: Die meisten Offiziere des Innenministeriums hätten ein Leben lang hart gearbeitet und ausschließlich ihre Ersparnisse zum Hausbau eingesetzt, nur 35 der 248 untersuchten Mitarbeiter seien eine Antwort schuldig geblieben, erklärte Rus.
Einen großen Raum in der öffentlichen Debatte in Rumänien nehmen nationale Themen ein. So will die Großrumänien-Partei (Partidul Romania Mare – PRM) den Begriff der Minderheiten aus der rumänischen Verfassung streichen, da angeblich alle Bürger des Landes die gleichen Rechte hätten. Dies hatte noch im Sommerloch PRM-Generalsekretär Gheorghe Funar, der Klausenburger Bürgermeister, gegenüber einer Lokalzeitung in Hermannstadt erklärt. In die gleiche Kerbe schlug auch der Vorsitzende der Abgeordnetenkammer, Valer Dorneanu von der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD – früher PSDR), der behauptete, dass die PSD die Parteien der ethnischen Minderheiten durch eine Verfassungsänderung abschaffen wolle. Nach kritischen Presseberichten erfolgte postwendend Dorneanus Dementi. Der Rückzieher geht auf ein Gespräch mit Premier Adrian Nastase zurück, der seinem Parteikollegen lapidar nahe gelegt hatte: "Valerica, ich bin sicher, du hättest so etwas nicht sagen können."
Für einen Skandal sorgte das vom PRM-Abgeordneten Vlad Hogea veröffentliche Buch "Der Nationalist", in dem Artikel aus der rechtsradikalen Zeitschrift "România Mare" veröffentlicht werden und ein Loblied auf Corneliu Vadim Tudor, den ehemaligen Ceausescu-Hofpoeten und derzeitigen PRM-Leader, gesungen wird. Das Buch erscheint unter der Ägide der Rumänischen Akademie und des Instituts für Europäische Geschichte und Zivilisation, dessen Direktor Gheorghe Buzatu PRM-Senator und zugleich stellvertretender Vorsitzender des rumänischen Senats ist. Der Minister für Öffentliche Information, Vasile Dancu, kritisierte das Buch, das eine flagrante Ähnlichkeit zu Hitlers "Mein Kampf" aufweise. Der Minister begrüßte, dass die rumänische Justiz ein strafrechtliches Verfahren gegen die antisemitische Publikation eingeleitet habe.
Die Nerven liegen offenbar blank, und selbst Nastase ließ sich Ende letzten Monats dazu verleiten, eine Verschwörungstheorie zu lancieren: Rumänien könnte durch wachsende föderalistische Strömungen, vor allem in Siebenbürgen, zerbrechen. Nastase sagte auf einer Tagung in Slanic Moldova, dass in Siebenbürgen nicht mehr nur die Ungarn, sondern auch dort lebende Rumänen eine "Föderalisierung" anstrebten, und zwar aus ökonomischen Gründen. Beweis dafür seien mehrere entsprechende Vereine und Gründungsinitiativen für Parteien sowie Signale aus der Minderheitenpresse.
Der ehemalige Klausenburger Journalist Sabin Gherman kündigte in der Tat wenige Tage später an, er wolle Ende dieses Jahres die Partei "Pro Transilvania" ins Leben rufen. Gherman befürwortet eine größere regionale Autonomie, lehnt aber eine Abspaltung Siebenbürgens von Rumänien ab. Trotz Nastases Befürchtungen sind die "föderalistischen Bewegungen" in Rumänien politisch bedeutungslos und stellen kein reales Gegengewicht zur Regierungspartei PSD dar. Der Premier dürfte es besser wissen: Wenn der Reformprozess mit Nachdruck umgesetzt und die Bemühungen um eine euroatlantische Integration von Erfolg gekrönt werden, wird niemand die Abspaltung Siebenbürgens von Rumänien wünschen.

Siegbert Bruss


(Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2001)

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