30. September 2005

Christa Stewens: "Großartige Aufbauleistung ein Glücksfall für Bayern"

Es knisterte förmlich an diesem Sonntag, dem 18. September, in der Meistersingerhalle Nürnberg bei der großen jährlichen Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen, dem Tag der Heimat, die zusammenfiel mit der heurigen vorgezogenen Bundestagswahl. Drei Stunden vor Schließung der Wahllokale galt es nochmals, sich einerseits auf die aussagekräftigen Ansprachen zu konzentrieren und andererseits die Anmut der treffend ausgewählten musikalischen und tänzerischen Beiträge zu genießen. Bayerns Sozialministerin Christa Stewens bezeichnete in ihrer Ansprache die „großartige Aufbauleistung“ der Vertriebenen und Aussiedler als einen „Glücksfall für Bayern“.
Mit dem Bayerischen Defiliermarsch, sehr überzeugend gespielt von der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg e.V. unter Leitung von Richard Taub und dirigiert von Hans Welther, fand der imposante Einmarsch der Fahnenabordnungen statt. Werner Henning, unser Landsmann und Vorsitzender des BdV-Kreisverbandes Nürnberg, begrüßte zahlreiche Ehrengäste, vor allem Bayerns Sozialministerin Christa Stewens und den Nürnberger Bürgermeister Horst Förther.

Die Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg gestaltete den Tag der Heimat in Nürnberg musikalisch mit. Foto: Werner Henning jr.
Die Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg gestaltete den Tag der Heimat in Nürnberg musikalisch mit. Foto: Werner Henning jr.

In seiner klug aufgebauten Ansprache wies Henning darauf hin, dass alle Teilnehmer durch ihre Anwesenheit beim diesjährigen Tag der Heimat „ein Zeichen der Zuwendung zu einem dramatischen Teil deutscher und europäischer Geschichte, hinter dem sich Millionen von menschlichen Tragödien verbergen, setzen“. Sechzig Jahre nach Beginn der Vertreibung der Deutschen und 55 Jahre seit der Annahme der „Charta der Vertriebenen“ wäre es grundfalsch, das viele Leid, das Deutsche im letzten Jahrhundert angerichtet hätten, mit dem vielen Leid, das sie ebenso erfahren mussten, aufzurechnen. Das Geschehene sollte uns eher mahnen, „solches nach Kräften in der Zukunft zu verhindern. Die deutschen Vertriebenen, und Aussiedler wollen ihre Trauer nicht verschweigen und im Geiste der Charta von 1950 den Weg der Verständigung und Aussöhnung zwischen den Völkern in Europa mit großer Zuversicht weitergehen.“ Keine Vertreibung dürfe als Verbrechen gegen die Menschheit vergessen werden, denn „solange die Unrechtsfolgen der Vertreibungen nicht ehrlich und schonungslos beim Namen genannt werden, wird es immer wieder Vertreibungen geben“. Dies gelte weiterhin für Hunderttausende Vertriebene und Flüchtlinge in Ex-Jugoslawien, dies gelte für Zypern, für den Sudan, für Tschetschenien, dies gelte für den Genozid an den Armeniern vor neunzig Jahren und es gelte eben auch für die deutschen Vertriebenen. Er fügte hinzu: „Wer unfähig oder unwillig ist, seine eigenen Toten und Entrechteten zu betrauern und ihnen zur Seite zu stehen, wird niemals ehrlich Anteil nehmen am Leid anderer.“ Henning betonte die Solidarität mit dem Projekt des Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin, das diesen Teil deutscher Geschichte dokumentieren, aber auch Vertreibung und Genozid an anderen Völkern, insbesondere in Europa, denn „alle Opfer von Genozid und Vertreibung brauchen einen Platz im historischen Gedächtnis.“ Ebenso betonte er die Brückenbauerrolle von Aussiedlern und Vertriebenen zu Osteuropa, die ihre Heimat zwar verloren hätten, mit ihrer Charta der deutschen Heimatvertriebenen aber schon 1950 die Hand zur Versöhnung reichten. Bernhard Nedvidek von der Sudetendeutschen Landsmannschaft sprach eine feierliche Totenehrung zu den Klängen von „Ich hatt´ einen Kameraden“ der siebenbürgischen Blaskapelle.

Bürgermeister Horst Förther überbrachte die Grüße des Schirmherren der Veranstaltung, des Oberbürgermeisters Dr. Ulrich Maly, sprach seine Verbundenheit mit den Vertriebenen und Aussiedler aus und betonte die positive Botschaft der Nürnberger Straße der Menschenrechte, wo Artikel 13 das Recht auf Heimat dokumentiere. „Heimat ist kein antiquierter, ewiggestriger Begriff, Heimat ist eine Lebensweise“, sagte er, und die Charta der Heimatvertriebenen von 1950 habe im Kern bereits das geeinte, freie Europa postuliert, ein Europa, das unsere Zukunft sei. Mit den Worten „Ohne Herkunft gibt es keine Zukunft“ leitete er zu einem großen Lob für die umfassenden Aktivitäten von Vertriebenen und Aussiedlern in Nürnberg über und betonte dabei insbesondere das Integrations- und Begegnungszentrum Haus der Heimat.

Zu Beginn ihres Festvortrages überbrachte Christa Stewens, die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, die Grüße der bayerischen Staatsregierung, namentlich von Ministerpräsident Edmund Stoiber und Innenminister Dr. Günter Beckstein. Auch sie lehnte sich eng an das Motto des Tages der Heimat 2005 „Vertreibung weltweit ächten!“ an, erinnerte ausführlich an die millionenfachen Verluste der Vertreibung vor 60 Jahren, an die Aufnahme von zwei Millionen heimatlos gewordenen Deutschen in Bayern, an deren schwierige Nachkriegszeit und fügte hinzu: „Ihr Selbstbehauptungswille und ihr Selbstwertgefühl, ihre großartige Aufbauleistung hat sich zum Glücksfall für Bayern entwickelt.“ Kein anderes Land in Deutschland habe in dem Maße von den Leistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge und Aussiedler profitiert. Die Ministerin bezeichnete das Zentrum gegen Vertreibungen eine „nationale Aufgabe“, plädierte vehement für seine Errichtung in Berlin („Kann man nationale Erinnerung auslagern?“), mahnte den notwendigen Dialog an, bekräftigte die Ächtung von Vertreibung in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft und forderte einen nationalen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung.

Im klassischen und im Volkstumsteil präsentierten sich außer den Vertretern der Deutschen aus Russland, der Banater Schwaben oder der Sudetendeutschen (Eibanesen) in beeindruckender Weise auch die Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg und unsere siebenbürgische Trachtentanzgruppe Nürnberg unter der Leitung von Roswitha Bartel. Gekonnt und geschickt moderierten Helmine Buchsbaum und Lucian Mot von der Landsmannschaft der Banater Schwaben. Der Tag der Heimat 2005 in Nürnberg war ein lebendiges Zeugnis notwendigen Zusammengehörigkeitsgefühls.

Horst Göbbel

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