24. Oktober 2005

Scola seminarium rei publicae

Es geschieht nicht allzu oft, dass ein namhaftes bundesdeutsches Museum eine Ausstellung mit siebenbürgisch-sächsischer Thematik veranstaltet. Mit um so mehr Genugtuung verzeichnet man eine solche Aufmerksamkeit und Zurkenntnisnahme wie die Schau, die am 11. Oktober im Schulmuseum Nürnberg, in dem Gebäude des Museums für Industriekultur, Äußere Sulzbacher Straße 62, eröffnet wurde und bis zum 11. Dezember 2005 besichtigt werden kann.
In diesem Fall war der Initiator und Geburtshelfer unser Landsmann Michael Schneider, der nach seiner Aussiedlung aus Rumänien als Leiter des Schulmuseums Nürnberg und einer Tätigkeit von 20 Jahren nun in den Ruhestand tritt. Nach 30 Ausstellungen, die Michael Schneider in Kooperation mit der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg auf die Füße gestellt hat, ist die jetzige Sonderausstellung mit seiner Herkunft und Biographie verbunden - sie präsentiert die Schule der Siebenbürger Sachsen.

Zur Eröffnung der Ausstellung war ein zahlreiches Publikum erschienen, darunter prominente Vertreter aus Kultur und Politik, so Karl Inhofer, Regierungspräsident von Mittelfranken, Claudia Kugelmann, Dekanin der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, Dieter Rossmeissl, Erster Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des Schulmuseums u.a. Sie alle, vor allem Prof. Dr. Anette Scheunpflug betonten, dass die Ausstellung eine in der Bundesrepublik weniger bekannte, dafür aber eine beeindruckende Leistung einer deutschen Minderheit in einem anderen Land veranschauliche.

Regierungspräsident von Mittelfranken, Karl Inhofer, Prof. Dr. Annette Scheunpflug und Museumsleiter Michael Schneider nach der Ausstellungseröffnung. Foto: Horst Göbbel
Regierungspräsident von Mittelfranken, Karl Inhofer, Prof. Dr. Annette Scheunpflug und Museumsleiter Michael Schneider nach der Ausstellungseröffnung. Foto: Horst Göbbel

Das erste allgemeine Schulwesen und die erste allgemeine Schulpflicht (1722) in der Welt haben die Siebenbürger Sachsen zwar nicht eingeführt, wie ein in der Zwischenkriegszeit entstandener und bis heute gepflegter Mythos behauptet. Nichtsdestotrotz haben sie ein Schulwesen aufgebaut, das westeuropäisches Niveau besaß und in vieler Hinsicht Modellcharakter hatte. Die Siebenbürger Sachsen haben seit dem 16. Jahrhundert Volksschulen auf allen Dörfern und in den Städten gehabt, ferner in allen Städten Gymnasien, seit dem 19. Jahrhundert Berufsschulen, Ackerbauschulen, Lehrerbildungsanstalten (Seminare), Anstalten zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen und andere Bildungseinrichtungen. Wegen ihrer geringen Zahl konnten die Siebenbürger Sachsen keine eigene Universität halten, was sich aber nicht nachteilig ausgewirkt hat, da infolgedessen die akademische Ausbildung ihrer Elite an westeuropäischen, vor allem deutschen Universitäten erfolgte, wodurch die Verbindung mit der abendländischen, speziell mit der deutschen Kultur aufrechterhalten werden konnte.

Die Siebenbürger Sachsen haben 850 Jahre in einer Enklave innerhalb einer anderssprachigen Umwelt gelebt, sich damit auseinander gesetzt und diese befruchtet. Die evangelisch-sächsische Kirche und Schule waren eng miteinander verbunden und die wichtigsten identitätsstiftenen und indentitätserhalteden Anstalten, die sich gegen den assimilierenden Druck in Ungarn und Rumänien behauptet haben. Der Sachsengraf Albert Huet bezeichnete 1602 in einer Rede die Schule als "seminarium rei publicae" (Pflanzstätte des Gemeinwesens). Diese Aussage ist auch als Inschrift an der Fassade der Schäßburger Schule angebracht.

Die Ausstellung versucht diese Aspekte anhand von kurz gefassten Texten, Schautafeln, Faksimiles, Fotos, Zeugnissen, Objekten, Lehrbüchern u.a. Exponaten von den ersten dokumentarischen Erwähnungen von Schulen im Sachsenland (1334, 1352, 1380, 1388) bis zur Schule im sozialistischen Rumänien zu dokumentieren. Der Stoff ist thematisch wie folgt gegliedert. Zunächst wird der bundesdeutsche Besucher informiert, wer die Siebenbürger Sachsen sind. Es folgt ein kurzer Überblick über deren Schulgeschichte bis ins 18. Jahrhundert. Die weitere Entwicklung wird durch Einzelaspekte vertieft, und zwar über die Blütezeit des Schulwesens im 19. und 20. Jahrhundert; Kirche als Träger der Schulen; Inhalte, Unterrichtssprache (Sächsisch bis Mitte des 19. Jahrhunderts, dann Hochdeutsch), Staatssprache im Unterricht; die Bedeutung von Georg Daniel Teutsch als Gymnasiallehrer und Bischof; Rezeption pädagogischer Ideen in Siebenbürgen (unter anderen durch den Pestallozzianer Stephan Ludwig Roth); Coetus, Blasia Exitus; Mädchenbildung; nichtdeutsche Schüler an den Schulen der Siebenbürger Sachsen; Bruder- und Schwesternschaft, städtische Jugendbünde (Wandervogel, Pfadfinder), Deutsche Jugend (DJ).

Der vierte Komplex der Ausstellung, "Schule in der Diktatur", widmet sich dem Ende des selbständigen deutschen Schulwesen in Siebenbürgen, das durch die Übernahme der evangelisch-konfessionellen Schulen durch die nationalsozialistisch ausgerichtete "Deutsche Volksgruppe" im Jahre 1942 eingeläutet und durch die Verstaatlichung der Schulen im Jahre 1948 besiegelt wurde. Es hat aber auch im sozialistischen Rumänien, wie nirgends sonst im Ostblock, deutschsprachige Schulen gegeben. Durch geschickte Ausschöpfung der gegebenen Möglichkeiten haben sich Schule und Elternhaus gegen die nationalistisch-kommunistisch-atheistische Schulpolitik behauptet und die deutsche Sprache und die Identität der Siebenbürger Sachsen wahren können.
"Die Schule im Gepäck", so der griffige Titel der letzten Schautafeln, unterstreicht, dass die deutschen Sprachkenntnisse und die schulische Ausbildung sich bei der Aussiedlung der Sachsen in der Bundesrepublik als das effizienteste Instrument und als Schlüssel zum, wenn auch nicht problemlosen Erfolg und zur Eingliederung erwiesen.

Zu der Ausstellung sind ein reich bebildertes Begleitheft von Michael Schneider und eine Textsammlung "Die Schule in der Literatur" von Michael Markel erschienen. Sie können beim Besuch der Ausstellung erworben werden.

Wie in dieser Zeitung bereits mitgeteilt, werden am 30. Oktober, 6. November und 4. Dezember und nach Vereinbarung Führungen durch die Ausstellung (Äußere Sulzbacher Straße 62) angeboten. Dazu gibt es auch ein Rahmenprogramm. Am 30. Oktober (15.00 Uhr) werden Kinderspiele aus Siebenbürgen vorgeführt, am 10. November (18.30) hält Horst Göbel den Vortag "Siebenbürgen - ein Modell für Europa?" und am 22. November (18.30) spricht Gudrun Schuster über Erlebnisse als Schülerin und Erfahrungen als Lehrerin im sozialistischen Rumänien.

Beim Besuch der Ausstellung können natürlich auch das Schulmuseum und das Museum Industriekultur besichtigt werden.

Michael Kroner

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2005, Seite 7)

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