9. November 2005

Internationale Literaturtagung in Klausenburg

„Wahrnehmung der deutschen Literatur(geschichte) im südöstlichen Mitteleuropa - ein Paradigmenwechsel?“ - unter diesem Titel fand vom 9. bis 13. Oktober in Klausenburg eine internationale Tagung statt, die von der Stiftungsprofessur der Bundesrepublik Deutschland für das Fachgebiet Deutsche Literatur im südöstlichen Mitteleuropa an der „Babeș-Bolyai“-Universität (BBU) zusammen mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS), der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens und dem Lehrstuhl für Germanistik der BBU organisiert wurde. Einen ausführlichen, hier in gekürzter Fassung wiedergegebenen Bericht von Dr. Mariana Lăzărescu veröffentlichte die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (21. Oktober 2005, Seite 4).
Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Präsidenten des Akademischen Rates der BBU, Prof. Dr. Dr. h. c. Andrei Marga, Grußworte sprach u.a. Hon.-Prof. Dr. Stefan Sienerth, Direktor des IKGS. In den Beiträgen der Teilnehmer wurden einerseits Texte und Autoren der oben genannten Region hinterfragt, andererseits neue methodologische Herangehensweisen für den besprochenen Gegenstandsbereich vorgeschlagen. Mit der Hervorhebung der physischen, geistigen und kulturellen Besonderheiten des Raumes wurden auch Möglichkeiten, Grenzen und Perspektiven der rumänien- und ungarndeutschen Literatur ins Auge gefasst. Gleichzeitig wurden Fragen zur Identität und Stellung der Minderheiten, zur Begegnung verschiedener Kulturen, zu Strategien bei der Abgrenzung der Kultur
Drei sich sehr sinnvoll ergänzende Vorträge (Prof. Dr. Jürgen Lehmann, Prof. Dr. Fred Lönker, PD Dr. Waldemar Fromm) waren dem Dichter Paul Celan und seiner Poetik gewidmet, die die Bukowina als nahen und fernen Ort, „utopischen“ und „atopischen“ Raum, als „Totenlandschaft“ heraufbeschwört. Mythisierungen und Euphorien, die in vielen germanistischen Arbeiten zur bukowinischen deutschsprachigen Literatur vorzufinden sind, wirken heute problematisch und müssen dringend durch gründliche, grenzenübergreifende Forschungen revidiert werden (Prof. Dr. George Guțu). Referiert wurde auch über Identitätssuche und Identitätsfindung bei Schriftstellern wie Hans Bergel und Franz Hodjak (Prof. Dr. András F. Balogh), Sinnverweigerung und Sinnwucherung in den Texten von Oskar Pastior (Dr. Grazziella Predoiu), Faktizität und Fiktionalität in der Prosa von Joachim Wittstock (Prof. em. Dr. Horst Schuller). Im wissenschaftstheoretischen Teil der Tagung wurden Konzepte wie Hybridität, Métissage, Diaspora am Beispiel der Autorin Herta Müller veranschaulicht (Dr. Helga Mitterbauer). Interkulturalität und Europäertum wurden bei der Lektüre der essayistischen Texte Hans Bergels aufgezeigt und analysiert (Dr. Mariana Lăzărescu).

Wie man mit dieser Literatur und dem geistesgeschichtlichen Kontext umgehen kann, welches die Geschichte, Strukturen und Aufgaben der germanistischen Forschung in Südosteuropa sind, zeigten in ihren ausführlichen Beiträgen Hon.-Prof. Dr. Stefan Sienerth und Hon.-Prof. Dr. Peter Motzan, die zum einen die zahlreichen Aktivitäten des IKGS im Bereich der Forschungen und Veröffentlichungen, zum anderen die abgeschlossenen und im Entstehen befindlichen Dissertationen der NachwuchsgermanistInnen zu diesem Thema aufzählten und kommentierten. Die von Hon.-Prof. Dr. Peter Motzan äußerst geistreich und informativ moderierte Autorenlesung „Siebenbürgische Sprechübungen“, die zusammen mit dem Deutschen Kulturzentrum Klausenburg im „Transit-Haus“ (ehemalige Alte Synagoge) veranstaltet wurde, ließ stilistisch ausgefeilte Gedichte von Adrian Popescu in der exzellenten deutschen Übersetzung des aus Klausenburg stammenden, zurzeit in Deutschland lebenden Schriftstellers Franz Hodjak sowie Prosa des letzteren witzig und belehrend zugleich im überfüllten Raum erklingen. Ein Höhepunkt der Tagung war meines Erachtens der Vortrag von Joachim Wittstock über Ontologie und Kunstbetrachtung in siebenbürgischen Entwürfen des 20. Jahrhunderts, der den Zuhörern viele weniger bekannte und erforschte kunstgeschichtliche und philosophische Informationen über diese Region auf eigene, einfühlsam-eindrucksvolle Art lieferte und zum Nachdenken anregte.

Schlussfolgernd wurde festgestellt und bewiesen, dass die Literatur dieses Raumes dieselbe inhaltliche und ästhetische Qualität wie die Literaturen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz aufweist, dass in dem Raum viel Wertvolles geleistet wurde, dass ein breites Themenspektrum der Kultur- und Geistesgeschichte vorhanden ist. Kritische Sichtungen, Themenerweiterungen, Forschungsberichte, Methodenreflexionen, Fallbeispiele, Übersetzungen, Vergleiche werden und sollen zu einer stärkeren Wahrnehmung dieser Literatur beitragen. Das IKGS wird die Referate in einem Band herausgeben, der die anlässlich der Tagung artikulierten theoretischen und methodischen Fragestellungen schriftlich festhalten soll.

Dr. Mariana Lăzărescu


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