15. November 2005

Anneli Ute Gabanyi: Rumänien vor dem EU-Beitritt

Am 25. Oktober d. J. veröffentlichte die EU-Kommission in Brüssel ihre Jahresberichte über die von Bulgarien und Rumänien erzielten Fortschritte auf dem Weg der Integration in die Europäische Union (siehe deutsch-rumänischer Pressespiegel). Im Falle Rumäniens stellte die Kommission zwar weiterhin Mängel in den Bereichen Verwaltung, Unabhängigkeit der Justiz, Schutz des geistigen Eigentums, Umwelt, Lebensmittelsicherheit und vor allem bei der Bekämpfung der Korruption fest, schätzte aber erstmals den Stand der Beitrittsvorbereitungen Rumäniens höher ein als den Bulgariens. Anders als ursprünglich erwartet fällte die Kommission kein Urteil über den Termin des EU-Beitritts der beiden Länder. Dies hatte auch die Politologin Dr. Anneli Ute Gabanyi kurz vor der Bekanntgabe der "Fortschrittsberichte" in ihrer Studie "Rumänien vor dem EU-Beitritt" bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin empfohlen. Die Leitthesen der neuen Studie werden im Folgenden gekürzt wiedergegeben.
Im Dezember 2004 hatte Rumänien seine fünf Jahre zuvor eingeleiteten Beitrittsverhandlungen mit der EU abgeschlossen. Anders als die zehn ersten Staaten der laufenden Erweiterungsrunde, deren EU-Beitritt bereits im Mai 2004 erfolgte, wurden Rumänien und Bulgarien vom Hauptfeld der Beitrittskandidaten abgekoppelt, erhielten aber beide feste Zusagen der EU für einen Beitritt im Jahre 2007. Am 25. April 2005 wurde der Beitrittsvertrag der EU mit den beiden südosteuropäischen Staaten unterzeichnet, doch das vereinbarte Aufnahmedatum 1. Januar 2007 könnte unter gewissen Umständen um ein Jahr hinausgezögert werden: Erstmals in der Geschichte der EU-Erweiterung setzte die Europäische Kommission einen neuen Sanktionsmechanismus in Gang, wodurch sich die EU das Recht vorbehält, den Beitritt Rumäniens (und/oder Bulgariens) bei Nichterfüllung der vorgegebenen Reformziele um ein Jahr auf den 1. Januar 2008 zu verschieben. Um diese gemeinsame Schutzklausel zu aktivieren, müsste der Europäische Rat eine einstimmige Entscheidung treffen. Speziell im Falle Rumäniens ist jedoch noch eine weitere "Super-Schutzklausel" vorgesehen, deren Einsatz an die Erfüllung von elf konkreten Vorgaben gebunden ist. Über die Aktivierung dieser Klausel kann der Europäische Rat gegebenenfalls mit qualifizierter Mehrheit entscheiden.

Die zentrale Fragestellung der Studie lautet: Sollte die EU den vorgesehenen Beitrittstermin zum 1. Januar 2007 einhalten oder eine Verschiebung um ein Jahr auf den 1. Januar 2008 verfügen? Um sie zu beantworten, werden in der Studie in einem ersten Schritt die veränderten externen Rahmenbedingen analysiert, unter denen Rumänien Ende 2004 seine Beitrittsverhandlungen zum Abschluss brachte: das Scheitern der Referenden über das Europäische Verfassungsgesetz in Frankreich und den Niederlanden, die Erweiterungsmüdigkeit in den Mitgliedstaaten nach der großen Beitrittswelle des Jahres 2004, der institutionelle Konflikt zwischen Europäischem Parlament und Europäischer Kommission und die Budgetkrise der EU.

Das Hauptaugenmerk gilt jedoch den strukturellen Schwächen und den prozessbedingten Hemmnissen, die aus der Sicht der EU den Beitritt Rumäniens zum vorgegebenen Zeitpunkt 1. Januar 2007 verhindern könnten. Sie liegen vor allem in den Bereichen Wettbewerb, Justiz und Innere Angelegenheiten, öffentliche Ausschreibungen, Steuern und Zölle, Umwelt und Landwirtschaft. Hinzu kamen in Brüssel jüngst Zweifel an der politischen Stabilität in Rumänien auf. Die lange Liste der Gravamina, die im Detail behandelt werden, nährt bereits bestehende Zweifel an der Beitrittsfähigkeit Rumäniens zum vorgesehenen frühen Zeitpunkt. Die oft gestellte Frage, ob es nicht besser wäre, den Beitritt Rumänien um ein Jahr zu verschieben, um dem Land eine längere Vorbereitungszeit zu gewähren, ist zweifellos berechtigt, auch wenn die acht mittelosteuropäischen Staaten, die der EU zum 1. Mai 2004 beitraten, ebenso gut oder schlecht auf den Beitritt vorbereitet waren.

Befürworter einer Verschiebung des Beitrittstermins begründen dies mit dem Hinweis darauf, dass eine längere Vorbereitungszeit Rumänien die Chance bieten würde, sich gründlicher auf die Herausforderungen der EU-Mitgliedschaft vorbereiten zu können. Die Studie gelangt hingegen zu dem Schluss, dass eine Verschiebung des Beitritts Rumäniens um ein Jahr kontraproduktiv wäre - und dies aus mehreren Gründen:

1. Die Erfahrung der bisherigen Beitrittsverhandlungen hat gezeigt, dass es gerade die Verbindung von Konditionalität und Anreizen war, die die Regierungen der Beitrittsländer dazu motiviert hat, ihren unter dem Acquis eingegangen Verpflichtungen zur Übernahme und Umsetzung des acquis communautaire nachzukommen. Da aber Rumäniens EU-Beitritt an sich bereits vertraglich vereinbart und nicht mehr verhandelbar ist, sollte der Zeitraum, in dem Konditionalität wirksam ist, so weit wie möglich ausgedehnt und die Entscheidung über die Aktivierung - oder Nichtaktivierung - der Schutzklauseln so spät wie möglich verkündet werden.

2. Eine Verschiebung des Beitrittstermins würde sich ohne Zweifel negativ auf die Politik der Regierung und auf die Stimmung in der rumänischen Bevölkerung auswirken. Anstatt sich weiter auf den Beitritt vorzubereiten, könnte Rumänien nach den Turbulenzen der Wahlen vom November 2004 eine neue Phase der politischen Unsicherheit mit möglichen negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage des Landes durchleben.

3. Auch würde ein späterer Beitrittstermin erhebliche direkte und indirekte wirtschaftliche Einbußen für Rumänien mit sich bringen und den Abstand zu den entwickelten EU-Staaten weiter vergrößern.

4. Ein späterer Beitritt Rumäniens könnte möglicherweise weitere aus der Sicht der EU negative Folgen wie eine Zunahme der Migration oder potentielle Verluste von Absatzmärkten zeitigen.

5. Würde die EU gegenüber Rumänien und Bulgarien strengere Maßstäbe als an die ersten zehn Beitrittsstaaten der laufenden Beitrittsrunde anlegen, würde sie gegen ihre eigenen Grundprinzipien der Solidarität und Gleichbehandlung, aber auch der Verlässlichkeit ihrer Außenpolitik verstoßen. Zugleich sollten die Staaten der EU aus den im Zuge der letzten Erweiterungswelle gemachten Fehlern lernen und die Kriterien ihrer möglichen künftigen Erweiterungspolitik klarer formulieren und konsequenter anwenden.

Dr. Anneli Ute Gabanyi

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2005)

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