20. November 2005

Dieter Schlesak: "Sprache ist der einzige feste Boden"

Dieter Schlesak wurde von der Universität Bukarest mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Das Ehrendiplom wurde dem bekannten Schriftsteller und Publizisten vom Rektor der Universität, Prof. Dr. Ioan Pânzaru, während einer Feier am 7. November überreicht.
In seiner Laudatio stellte der Leiter des Bukarester Germanistiklehrstuhls, Prof. Dr. George Gutu, das Leben und Wirken von Dieter Schlesak eingehend vor. Er bezeichnete den 1934 in Schäßburg geborenen Autor, der sich 1969 in Deutschland ansiedelte und heute in Italien lebt, als einen von den vielen, „die die Emigrationswelle mitgerissen hat“, zugleich jedoch als einen der „nicht allzu vielen, die das Drama der Auswanderung bewusst erlebt, darüber Auskunft gegeben und über jene Momente der Qual, des inneren Bruchs, des Sich-wieder-Aufrichtens nachgedacht hat.“

Dieter Schlesak war Redakteur der Monatszeitschrift „Neue Literatur“ und hat 1968 in Bukarest seinen ersten Gedichtband „Grenzstreifen“ publiziert. In Deutschland erschien sein autobiographischer Roman „Vaterlandstage oder Die Kunst des Verschwindens“, der gleichzeitig zu einer schonungslosen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit seiner Landsleute wurde. Das Buch ist 1995 auch in rumänischer Übersetzung erschienen. Die Bindungen zu seiner Heimat, zu Rumänien und zur rumänischen Kultur werden in seinen literarischen Werken, in den Essays und in unzähligen Pressebeiträgen offenbar.

George Gutu erwähnte zwei Dinge, die Dieter Schlesak Halt bieten: „die deutsche Sprache (mit all ihrem geistigen Gehalt) und die rumänische Kultur“. Ein beachtliches Ergebnis seines nach wie vor wachen Interesses für die rumänische Literatur ist die umfassende Anthologie der rumänischen Gegenwartslyrik „Gefährliche Serpentinen“, die er 1998 anlässlich der Leipziger Buchmesse in deutscher Übersetzung vorgelegt hat.

Dieter Schlesak nannte sich selbst in seiner Dankesrede einen Zwischenschaftler. „Zwischenschaft benennt nicht nur das Nirgends-Zuhause-Sein, das zwischen alle Stühle Gefallene, das Bodenlose, sondern inzwischen auch das heute so wichtige Interdisziplinäre, das ja das global Verbindende, ja Vernetzte ist(...) Wer meint, es gebe heute noch eine beschränkbare ‚Heimat‘, ist hoffnungslos im Gestern befangen. Für mich weiß ich, dass Künstler und Literaten Brückenbauer sein müssen zwischen der alten Sinnenwelt und jener anderen, immateriellen Welt, die geister- und geistnah ist, wo Zeit und Raum aufgehoben sind!“

Dieter Schlesak ging auch der Frage nach, was ihm Sprache bedeutet: „Sprache ist der einzige feste Boden, die stärkste Kraft dieses verhinderten Vogels, der da Mensch heißt.“ Sprache hatte auch etwas mit der Diktatur zu tun: „Sprachangst aber hat den Sprachmut und Sprachsinn enorm geschärft. Ich bin davon überzeugt, (...) dass die Weltklasse rumänischer Gegenwarts-Poesie genau auf diesen Erfahrungen und diesem verletzlichen Erleben von Sprache beruht.“

Die feierliche Verleihung des Doktortitels an Dieter Schlesak war einer der Höhepunkte der dreitägigen Veranstaltungsreihe, mit dem das 100. Jubiläum der Gründung des Germanistiklehrstuhls der Universität Bukarest im Jahr 1905 begangen wurde.

Rohtraut Wittstock


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