29. November 2005

Kirchenburgen als touristisches Zugpferd

Das Überleben der siebenbürgisch-sächsischen Denkmäler hängt nicht unwesentlich von ihrer Rezeption im Ausland ab. Diese These vertritt der Kunsthistoriker Frank-Thomas Ziegler. Anhand des Beispiels Birthälm beleuchtet der Autor, wie die ehedem von der Gemeinde in Arbeitsteilung erfüllten Aufgaben nach dem Massenexodus an die Kirche abgeworfen wurden. Die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen werden aufgefordert, den Umgang mit ihrem Kulturerbe zu überdenken.
Die Kirchenburg von Birthälm erfüllt pflichtgemäß stets ihre Aufgabe als Aushängeschild, wenn Werbung für Siebenbürgen betrieben wird. Die äußere Entwicklung der Situation vor Ort möchte dem gerne Rechnung tragen. Der Zustand der Bausubstanz ist aufgrund verdienter Maßnahmen jüngerer und jüngster Zeit bis auf die wertvollen Kirchenportale und die Fresken im Katholischen Turm nicht mehr katastrophal. Mit einer Empfehlung der UNESCO wurde sogar der Platz unterhalb der Kirchenburg seines grünen Parks beraubt, um ihn wieder dem historischen Zustand als Marktplatz anzunähern. Die umstehenden Häuser wurden hinreichend restauriert. Ein Souvenirladen und ein gutes Restaurant begannen, auf überlegt dezente Weise die Kulisse zu beleben, und so präsentierte sich das Gemeindezentrum dem Besucher in neuer alter Form - ein Wink an den klassisch-siebenbürgischen Individual- und Nostalgietourismus, aber auch ein Fanal für das Erwachen des Denkmalbewusstseins Siebenbürgens aus seinem Dornröschenschlaf.

Die bescheidene Konjunktur ließ weiteren Geschäftsideen auf dem Marktplatz Spielraum, und so hat sich nach Abwendung eines fürsorglicheren Auges um diese durchaus würdigungsfähigen Anfänge ein konzeptloses Sammelsurium an approbierten Eigeninitiativen ins Öffentliche verlagert, das die wiederhergestellte Denkmaltopographie tüchtig verschleiert. Zunächst hat man sich klammheimlich der Wiederbegrünung des Marktplatzes gewidmet. Inzwischen konnte sich aber auch die Softdrinkgastronomie, erkennbar an dem ungelösten Müllproblem, des Platzes bemächtigen. Vage Hoffnungen auf südländisches Straßenflair? Unter rostenden Sonnenschirmen standen hie und da während des Sommers second-hand-Cola-Kühlschränke samt unübersehbaren Kabelverläufen, und gleich daneben, Qualitätstourismus adieu, haben sich vor dem ehemaligen Bischofshaus drei lackierte Hühnerhäuschen installiert, wo tränentreibend verdeutschte Kirchenführer und ein improvisiertes Aufgebot an Wahllosigkeiten zum Verkauf ausliegt.

Kein Mensch erhebt Anspruch auf eine puristische historische Marktplatzsituation mit Kirchenführern in klopstockschem Hexameter, aber man wünscht sich ein Konzept, das Lebensqualität der Ansässigen, behutsame Würdigung der Denkmäler und eine angemessene Infrastruktur für den Fremdenverkehr vereinigt. Bei einem historischen Ensemble wie diesem ist es gestattet, nach dem Sinn konzertierter Bemühungen von Kirche und Gemeindeverwaltung zu fragen. Beide werden davon profitieren.

Davon ist man weiter entfernt, als es der Bischofssitz von seiner Bischofskirche ist. Die Kirchenburg ist auch in Birthälm das Zugpferd des Tourismus, aber es wird selbst hier nicht gehalftert. Das "Wunderschloss" Adolf Meschendörfers ist auch ohne Marktplatz schlechthin betreuungswürdig, und die ersten Schritte wären sogar leicht: Wertvollstes war bis vor kurzem noch immer nicht vor der Witterung geschützt, man denke an den Katholischen Turm, dem Dachziegeln fehlten und in dessen Freskenraum obendrein Baugeräte gelagert wurden. Im zu recht meist geschlossenen "Heimatmuseum" verstauben zwei ungeliebte Trachten. Die zeitweilige Unberechenbarkeit der Öffnungszeiten hat schon manchen eigens Angereisten zur Verzweiflung gebracht. Der Verkauf der zusammengestotterten Souvenirs (inkl. Dracula-Video) in der Kirche unterliegt offenbar keiner Qualitätskontrolle durch die Kirche selbst und ist auch nicht immer zu ihren finanziellen Gunsten. Die eigens angestellten Fremdenführer bedürfen einer motivierenden Schulung. Das Scheitern eines hausbackenen Burgcafés fördert den Plastikdrinkschrott unter weiterhin verrostenden Sonnenschirmen.

Die Schwierigkeiten sind vermutlich in jeder Ortschaft die gleichen. Zu allererst verantworten dafür bekanntermaßen die Kapazitäts- und Liquiditätsprobleme unserer Kirche A.B. - bei dem Marktplatz sind es natürlich andere willkürliche Kräfte. Die Auswirkungen sind allerdings nachhaltig.

An den direkten Denkmalschutz ist da an erster Stelle zu denken, aber auch an den indirekten durch Erschließung der Denkmäler. Denn das Unterlassen eines stringenten, einfühlsamen Marketingkonzeptes um die Kirchenburg verleiht ihr ganz eindeutig nicht den Reiz einer "Vergessenen Welt", sondern überlässt die Besucherwerbung, die Qualität der Vermarktung, den Gewinn und die Richtigstellung des Geschichtsbildes ziemlich zielsicher dem Schleusentourismus oder der zähen Einzelinitiative.

Die Kirche ist Sachwalterin eines enormen historischen Erbes. Sie ist mit Sicherheit nicht des Erbes unkundig. Sie ist nur in gravierender Weise umgekehrt proportional zum Anstieg der Aufgabenmasse bis zur Handlungsunfähigkeit verschlankt. Alle ehedem von der Gemeinde in Arbeitsteilung erfüllten Aufgaben sind von den Auswanderern an die Kirche abgeworfen worden. Die Kunstwerke unseres täglichen Lebens sind zu Denkmälern erstarrt, denen jetzt der Gute Wirt fehlt. Kennen Sie die letzten sächsischen und die ersten rumänischen Familien, die die Schlüssel zu unseren Kirchen verwahren? Sie sind die wahren Helden unseres Volkes. Vorsichtig formuliert, wäre hier die Frage nach dem Potential der siebenbürgisch-sächsischen Heimatortsgemeinschaften berechtigt. Wir sind aufgefordert, von diesen Tatsachen ausgehend unseren Umgang mit unserem Erbe dringend zu überdenken. Das Überleben unserer Denkmäler hängt nicht unwesentlich von ihrer Rezeption im Ausland ab.

Frank-Thomas Ziegler

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2005, Seite 4)

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