8. Dezember 2005

Musterprozess für Rentner aus Rumänien

In einem Musterprozess zur Klärung der Anerkennung von Zeiten der Mitgliedschaft in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) in Rumänien in der Zeit vom 1. Januar 1966 bis 31. Dezember 1977 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass diese Zeiten grundsätzlich als nachgewiesene Beitragszeiten mit 6/6-Werten anzuerkennen sind (BSG, 8. September 2005, B 13 RJ 44/04 R). Auch Betroffene, die schon in Rente sind, können einen Antrag auf Neuberechnung der Rente stellen. Die Antragsfrist bis zum 31. Dezember 2005 sollte beachtet werden.
Streitig war bei Rentenbehörden, wie Zeiten der Mitgliedschaft in einer LPG in Rumänien (membru CAP) bei der Rentenberechnung in Deutschland anzuerkennen sind. Dieses lag daran, dass in Rumänien vom 1. Januar 1966 bis zum 31. Dezember 1977 ein Gesetz gegolten hat, wonach LPGs verpflichtet waren, aus dem LPG-Haushalt für alle Mitglieder – unabhängig von einer Arbeitsleistung – Beiträge in die Rentenkasse zu zahlen. Diese Beitragszahlung wurde von Rentenbehörden bisher nicht als nachgewiesene Beitragszeit berücksichtigt. Es wurde nur in Abhängigkeit einer tatsächlichen Arbeitsleistung geprüft, ob glaubhafte Zeiten (mit 5/6-Werten) anerkannt werden. In einer Musterentscheidung vom 8. September 2005 hat das Bundessozialgericht nun entschieden, dass die Beitragszahlung für alle Mitglieder als nachgewiesene Beitragszeit mit 6/6-Werten anzuerkennen ist. „Dabei kommt es auf die Frage etwaiger Arbeitsunfähigkeitszeiten oder etwaiger – witterungsbedingter – ausgefallener Arbeitstage nicht an, weil die Beitragszahlung durch die LPG hierdurch nicht unterbrochen wurde. Auf den Nachweis, ob an einzelnen Tagen gearbeitet wurde, kommt es damit ebenfalls nicht an“, so das Bundessozialgericht in der Urteilsbegründung. Damit besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Anerkennung der Zeiten von LPG-Mitgliedern und von Arbeitnehmern in den LPGs, die nicht Mitglieder gewesen sind. Diese müssen für eine volle Anerkennung nach wie vor einen Nachweis durch Lohnlistenauszüge erbringen. Diese Unterscheidung ist jedoch hinzunehmen, auch wenn damit eine Besserstellung der LPG-Mitglieder verbunden ist, weil dieses auf der in Rumänien früher unterschiedlichen Ausgestaltung der Beitragspflicht zur Rentenversicherung beruhe, so heißt es weiter in der Urteilsbegründung.

Betroffene, die vom 1. Januar 1966 bis 31. Dezember 1977 Mitglied einer LPG waren und diese Zeit noch nicht als nachgewiesene Beitragszeit im Rentenkonto gespeichert haben, können nun einen entsprechenden Berichtigungsantrag stellen. Zu belegen ist hierbei, dass eine Mitgliedschaft in der LPG bestanden hat. Das ergibt sich meist aus dem Arbeitsbuch oder einer „Adeverinta“, in der „coopat“ oder „cooperator“ oder „membru CAP“ eingetragen wurde. Wird dieser Antrag noch bis zum 31. Dezember 2005 gestellt, kann die Rente bis zum 1. Januar 2001 rückwirkend gezahlt werden (§ 44 Abs. 4 SGB X). Geprüft werden sollte vorher, welche weiteren Auswirkungen der Antrag für die Rentenberechnung hat. Rat und Hilfe bei Antragstellung erteilen Rechtsanwälte mit besonderer Erfahrung im Fremdrentenrecht, die vor Auftragserteilung angefragt werden sollte.

Diese Sonderregelung gilt nur für Mitglieder einer LPG. Sie gilt nicht für Mitglieder in Handwerksgenossenschaften oder normale Arbeitnehmer in Betrieben. Diese müssen nach wie vor durch Lohnlistenauszüge belegen, ob und in welchen Monaten Lohnunterbrechungen durch Krankheit, Mutterschaftsurlaub oder andere Fehlzeiten enthalten sind. Da die ständige Rechtsprechung der Landessozialgerichte (außer Hessen) diese Bescheinigungen nur dann anerkennt, wenn keine Widersprüche enthalten sind, sollten Lohnlistenauszüge vor Einreichung auf Schlüssigkeit geprüft werden. Wenn bei Ausstellung im Einzelfall Fehler unterlaufen sein sollten (wurden z. B. Unterbrechungen wegen Mutterschaft oder Wehrdienstzeiten nicht beachtet), dann ist bei dem Arbeitgeber eine Berichtigung zu beantragen. Diese kann direkt bei dem Arbeitgeber beantragt werden. Der Arbeitgeber kann die Bescheinigung unmittelbar an den Betroffenen aushändigen oder über die in Rumänien neu eingerichtete Dienststelle „Casa Nationala de Pensii, Directia Evidenta Contribuabili, Serviciu Gestiune Arhive, Str. George Vraca Nr. 9, RO-010146 București“ übermitteln. Zu beachten ist auch, dass für Tagelöhner (muncitor zilier) eine Tagelöhnerbescheinigung (mit „zile lucrate“) ausgestellt wird. Hat jemand hingegen einen Monatslohn bezogen, so sind Lohnlistenauszüge mit monatlichen Angaben zu den Lohnunterbrechungssachverhalten vorzulegen. Angaben zu einzelnen gearbeiteten Tagen sind in diesen Fällen nicht zweckmäßig, weil Arbeitgeber diese nur durch Berechnungen (fiktiv) feststellen und mögliche Rechenfehler bei dieser unnötigen Übung eine Anerkennung verhindern. Musterformulare für Lohnlistenauszüge bei Monatslöhnern (z. B. RO-AS 101/1) können bei Anwaltskanzleien mit besonderen Erfahrungen im Fremdrentenrecht angefordert werden, wo auch Rat und Hilfe im Einzelfall möglich ist.

Zu der im Bundesland Hessen noch nicht gefestigten Praxis zur Frage der 6/6-Bewertung sind folgende Hinweise angezeigt: Für Angestellte, die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (bisher BfA) versichert sind, erfolgt eine Anerkennung nach den oben genannten Kriterien, da der zuständige Rententräger die ständige Rechtsprechung in den anderen Bundesländern und die Regelungen des Verbandes Deutscher Rententräger beachtet.

Versicherte hingegen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung Arbeiter sind und den Wohnsitz im Bundesland Hessen haben, deren Fall daher in den Zuständigkeitsbereich der Deutschen Rentenversicherung Hessen (bisher LVA Hessen) fällt, können eine volle Anerkennung nur durch aufwändige Prozesse erreichen. Die Deutsche Rentenversicherung Hessen verweigert nämlich die Anerkennung von Lohnlistenauszügen grundsätzlich und ohne Einzelfallprüfung und hat sich damit der Regelung im Verband Deutscher Rentenversicherungsträger bisher nicht angeschlossen. Für die Zuständigkeit dieser Behörde kommt es auf den Wohnsitz am Tag der Antragstellung an. Ein späterer Umzug verändert zwar die Zuständigkeit für eine Entscheidung der Behörde nicht mehr (§ 130 SGB VI), jedoch kommt es für die Zuständigkeit der Gerichte dann auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung an (§ 57 SGG).

Beispiel: Hans Mustermann ist Arbeiter und wohnt in Frankfurt. Seinen Rentenantrag stellt er bei der LVA Hessen (§ 130 SGB VI) und legt hierbei ordnungsgemäße Lohnlistenauszüge vor. Die LVA Hessen lehnt die Anerkennung als Nachweis im Rentenbescheid ab. Zwischenzeitlich ist Hans Mustermann jedoch zu seinen Kindern nach München umgezogen. Für die Klage ist damit das Sozialgericht in München zuständig (§ 57 SGG).

Zwar entscheiden Gerichte in Hessen gelegentlich unter Beachtung der Verbandsrichtlinien (so z. B. stattgebend das Sozialgericht Wiesbaden, Urteil vom 15. November 2001, AZ. S 9 RJ 1201/97), diese Entscheidungen sind jedoch noch nicht rechtskräftig, da die LVA Hessen in allen Fällen Rechtsmittel einlegt. Hier wird in Verfahren vor dem Bundessozialgericht zu klären sein, ob diese negative Praxis im Bundesland Hessen Bestand haben wird. Betroffenen wird empfohlen, ihr Recht unter Vorlage von geeigneten Lohnlistenauszügen geltend zu machen und dann den Klageweg zu beschreiten.

Rechtsanwalt Dr. Bernd Fabritius (München), stellvertretender Bundesvorsitzender

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2005, Seite 3)

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