18. November 2001

Siebenbürgische Bräuche im Herbst

Der Brauchtumskalender vermerkt in den Herbstmonaten zahlreiche Bräuche, Feste und Feierlichkeiten älterer oder auch jüngerer Überlieferung. Walter Roth stellt sie im Überblick aus siebenbürgischer und unter Berücksichtigung der deutschen Sicht dar.
Die Ernte- bzw. Erntedankfeste finden als kirchliche Feste am ersten Sonntag im Oktober statt. Sie werden mit Dankgottesdiensten in festlich mit Früchten und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen geschmückten Kirchen begangen, mitunter auch mit Umzügen oder Ausstellungen.
Mancherorts wird Erntedank schon im August gefeiert, und das zeigt, dass im Bauernkalender der Herbst schon vor seinem kalendarischen Beginn - dem 22. September - anfängt: am Laurentiustag, dem 10. August, am Bartholomäustag, dem 24. August, oder an Mariae Geburt, dem 8. September. Nicht nur die Germanen hielten den Herbst für eine gute Zeit zum Heiraten und zum Feiern: nicht so sehr des Wetters wegen - nicht überall gibt es die sonnigen Tage, die für den siebenbürgischen Herbst kennzeichnend sind, den Altweibersommer -, sondern weil die Ernte weitgehend eingebracht, Scheunen und Kelter gefüllt waren.
Von den rund 10 Marientagen im Jahreslauf fällt einer auf den 8. September. Auch in Siebenbürgen weiss man: „Mariae Geburt - fliegen die Schwalben furt“. Allerdings feiert man in Siebenbürgen vor allem den winterlichen Marientag am 2. Februar.
Am 31. Oktober feiern die Protestanten den Reformationstag, hatte doch Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen und damit den Anstoß zur Reformationsbewegung gegeben. In Siebenbürgen war es für die Sachsen ein arbeitsfreier Feiertag. In den Schulen fanden Feiern statt mit Ansprachen, Gedichtvorträgen und selbstverständlich mit dem Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ - von Friedrich Engels treffend „Marseillaise der Reformation“ genannt.
In Deutschland wird der Reformationstag im Bewusstsein der Bevölkerung immer mehr von dem aus Amerika übernommenen Halloween (ursprünglich „All Hallows Ewe“ = Vorabend des Festes Allerheiligen) verdrängt. Dieses Grusel- und Spukfest, die „Nacht der Toten“ und der „bösen Seelen“ vom 31. Oktober zum 1. November, bei dem Kürbislaternen, Masken und Verkleidungen eine Rolle spielen, ist das keltische Herbst-, Erntedank- und Neujahrsfest, das im 19. Jahrhundert von Irland mit den Auswanderern in die Vereinigten Staaten gelangte und nun nach Europa zurückkommt. Jedoch: Lange bevor man in Siebenbürgen etwas über Halloween wusste, pflegten dort Kinder in weiße Leintücher gehüllt durch die Nacht zu streifen, einen ausgehöhlten Kürbis in der Hand, durch dessen Löcher für Augen, Nase und Mund Kerzenschein flackerte.
Mit dem 1. November beginnt dann eine Reihe von stillen Feiertagen, die in erster Linie dem Totengedenken gewidmet sind. Am 1. November feiern Katholiken Allerheiligen, mit der theologischen Bedeutung, dass es zu allen Zeiten Menschen gegeben hat, deren Leben „für immer und ewig geglückt ist“ (Offenbarung, 7,9). Es geht also nicht nur um die von der Kirche Heiliggesprochenen. Charakteristisch für diesen Feiertag sind Gottesdienste sowie das Schmücken und Beleuchten der Gräber. Dieser Brauch wurde in Siebenbürgen auch von anderen Konfessionen übernommen. So schmücken in Klausenburg alle Konfessionen die Gräber auf dem festlich mit Kerzen beleuchteten gemeinsamen Hauptfriedhof, und auch in Schäßburg zünden viele evangelische Sachsen auf den Gräbern ihrer Angehörigen Kerzen an.
Katholische Christen gedenken der Verstorbenen am 2. November (Allerseelen), während evangelische Christen den Toten- oder Ewigkeitssonntag am letzen Sonntag des Kirchenjahres, Ende November, begehen. Allerdings feierte man den „Totensonntag“ in Schäßburg am letzten Sonntag im Oktober, an dem in der nicht beheizbaren Bergkirche der letzte Gottedienst vor deren Schließung zum Winterbeginn abgehalten wurde. Am Sonntag davor, am Volkstrauertag, wird der Opfer von Kriegen und Gewalt gedacht. Der Volkstrauertag wurde zum Gedenken an die Toten des ersten Weltkrieges in Deutschland in den 20er Jahren eingeführt. Den Heldentag zur Verehrung der Toten des ersten Weltkrieges feierte man früher in Siebenbürgen nicht an einem grauen Novembertag, sondern im Frühling zu Christi Himmelfahrt, und auch in Deutschland gedenken die Siebenbürger Sachsen ihrer Toten im Frühling, im Rahmen des Pfingsttreffens in Dinkelsbühl.
Der evangelische Buß- und Bettag in Deutschland ist am dritten Mittwoch im November festgesetzt. Der 19. November, der Elisabethtag, der auch in Siebenbürgen ein „wichtiger“ Namenstag ist, ist der Heiligen Elisabeth, Tochter des ungarischen Königs Andreas II., gewidmet, die noch sehr jung auf der Wartburg mit dem Pfalzgrafen Hermann von Thüringen verheiratet wurde, früh verwitwete und tätige Nächstenliebe pflegte.
Am 11. November wird der aus dem heutigen Gebiet von Ungarn stammende Soldat und spätere Heilige Martin von Tours gefeiert. Obwohl der Name Martin in Siebenbürgen häufig vorkommt, waren die Bräuche um diesen Feiertag weitgehend unbekannt. In Deutschland wird vielerorts die St.-Martins-Legende nachgespielt. Der berittene St. Martin, gefolgt von einer Kinderschar („Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir“), teilt seinen Mantel mit einem frierenden Bettler und wird somit zum Sinnbild der christlichen Nächstenliebe. Zu St. Martin gehört auch der festliche Schmaus der Martinsgans, die man sich auch in Siebenbürgen schmecken ließ. Der Sage nach versteckte sich St. Martin, der aus Bescheidenheit die Bischofswürde nicht annehmen wollte, in einem Gänsestall, wurde aber von dem Schnattern der Gänse verraten.
Um den Kathreinentag (24. November), einen wichtigen Namenstag in Siebenbürgen, ranken sich viele Bräuche. Es ist der letzte Spinnabend vor Advent, wenn die Burschen zum letzten Mal zu den Mädchen in die Spinnstube gehen dürfen. Sie haben das Recht beim Spinnen zu stören, ja sogar den Rocken zu zerbrechen, weswegen die Mädchen statt des schön geschnitzten Rockens einen Rebpfahl („Rom“), der dazu noch im Rauch zäh und schwer zerbrechlich gemacht worden ist, und statt Hanf das gröbste Werg mitnehmen. („Gänjzelroken“, „Gänjzel“ und „Gänjzelowent“ von Konrad - der 25. November ist der Konrad-Tag - so Adolf Schullerus in „Siebenbürgisch-sächsische Volkskunde im Umriss“, Leipzig 1926.) Am Kathreinenabend finden in den siebenbürgischen Ortschaften Tanzunterhaltungen statt und dieser Brauch hat sich auch bei den Siebenbürger Sachsen in Deutschland erhalten und wird bis heute gepflegt.
Mit Beginn der Adventszeit und mit dem Nikolaustag finden die Herbstbräuche ein Ende und es beginnt die Vorweihnachtszeit und ein neues Kirchenjahr.
Feste, Gedenk- und Feiertage kommen „in die Jahre“ – das heißt, sie können sich von selbst erledigen oder laufen Gefahr, zum bloßen Ritual herabzusinken. Was bleibt? Was ist erhaltenswert? Was hat sich überlebt? Erhalten werden sollte allemal das, was identitätsstiftend ist und die Gegenwart im Lichte der Vergangenheit besser verständlich macht.

Walter Roth

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