25. November 2001

Generationswechsel im Landeskundeverein

Am 10. November hat sich der Vorstand des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde in der Zusammensetzung konstituiert, die sich aufgrund der Zuwahlen durch die Mitgliederversammlung vom 15. September 2001 in Gundelsheim ergeben hatte. Ein weichenstellender Tagesordnungspunkt war die Wahl des Vorsitzenden und des Geschäftsführenden Vorstandes: Vom bisherigen, nicht mehr kandidierenden Vorsitzenden Dr. Günther H. Tontsch vorgeschlagen, wurde Dr. Ulrich A. Wien einstimmig zum Nachfolger gewählt.
Dem Geschäftsführenden Vorstand gehören zudem Dr. Konrad Gündisch als Stellvertretender Vorsitzender des AKSL sowie Dr. Günther H. Tontsch und Dr. Stefan Mazgareanu als Mitglieder an. Diese Wahlen markieren den zweiten Generationswechsel in der Führung des 1962 gegründeten, aber auf eine über 160-jährige Tradition anknüpfenden Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, zugleich aber Kontinuität im Wandel.
Dr. Ulrich A. Wien, neuer Vorsitzender des Landeskundevereins
Dr. A. Ulrich Wien, neuer Vorsitzender des Landeskundevereins


Die „Gründergeneration“ hatte 1962 mit der Wahl von Dr. Otto Mittelstraß sozusagen programmatisch eine Persönlichkeit zum Vorsitzenden gewählt, deren Verbindung zu Siebenbürgen vom wissenschaftlichen Interesse und nicht von der Herkunft bestimmt worden war; seine Nachfolgern Dr. Ernst Wagner (1970-1984) und Prof. Walter König (1984-1994) waren zwar siebenbürgischer Herkunft, hatten jedoch in Deutschland studiert und sich hier in Forschung und Lehre etabliert. In den drei Jahrzehnten ihres Wirkens haben die „Gründer“, den satzungsmäßigen Auftrag umsetzend, „im Geiste der Völkerverständigung und der gegenseitigen Toleranz im europäischen Rahmen gewirkt“, dadurch dem Arbeitskreis zum Durchbruch in der wissenschaftlichen Landschaft des In- und Auslandes verholfen. Trotz der widrigen politischen Rahmenbedingungen ist es gelungen, die persönlichen und institutionellen Kontakte zu Rumänien und Ungarn zu knüpfen, zu pflegen und weiterzuentwickeln, damit in diesem wissenschaftlichen Bereich tragfähige Brücken zur Überwindung der Teilung Europas zu errichten. Jedoch ist es dieser Generation nicht gelungen, für wissenschaftlichen Nachwuchs zu sorgen, diesen möglichst früh in die Vorstandsarbeit einzubeziehen und auf diese Weise die Kontinuität der landeskundlichen Forschungsarbeit zu gewährleisten.
Dr. Günther H. Tontsch
Dr. Günther H. Tontsch


In die „Bresche“ sprangen in den achtziger Jahren Wissenschaftler, die an rumänischen Hochschulen studiert, ihre Forschung und Lehre in Siebenbürgen begonnen und nach der Aussiedlung in Deutschland, meist unter größter Anstrengung, im bundesdeutschen Hochschul- und Wissenschaftsbetrieb Fuß gefasst hatten. Als Wanderer zwischen den beiden Welten waren und sind sie die geborenen Mittler in den ost-westlichen Wissenschaftsbeziehungen der neunziger Jahre des vorigen und der ersten Jahre dieses Jahrhunderts, in einer Zeit des Wandels, des Übergangs in Deutschland ebenso wie in Rumänien oder Ungarn, einer Übergangszeit auch für den Landeskundeverein.
Herausragender Repräsentant dieser „Mittlergeneration“ ist der scheidende Vorsitzende Dr. Günther H. Tontsch. Der am 2. August 1943 in Kronstadt geborene Absolvent des Honterusgymnasiums (1961) hat an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg die Rechtswissenschaften studiert (1962-1967) und wurde nach dem juristischen Staatsexamen (Juni 1967) Assistent an der dortigen Rechtsfakultät, die er 1978 als Oberassistent mit Lehrauftrag verließ, um in die Bundesrepublik Deutschland auszusiedeln. Gerade in seinem Arbeitsbereich erforderte der Ortswechsel den beruflichen Neuanfang, Tontsch musste das Referendariat im juristischen Vorbereitungsdienst durchlaufen, bevor er sich 1984 dem II. Juristischen Staatsexamen vor dem Justizprüfungsamt Düsseldorf stellen konnte und im Januar 1985 bei Prof. Ingo von Münch in Hamburg zum Dr. jur. promovierte. Zwischenzeitlich war er überdies als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ostrecht der Universität zu Köln tätig (1980-1982). Seit 1984 ist er Akademischer Rat an der Abteilung für Ostrechtsforschung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Hamburg. Seit 1985 ist Tontsch Herausgeber und verantwortlicher Redakteur der international hochangesehenen Zweimonatsschrift „WGO-Monatshefte für Osteuropäisches Recht“. Unter seinen wissenschaftlichen Arbeiten – sein „Debüt“ bestand 1969 in einem deutschsprachigen Aufsatz über die Hermannstädter Rechtsakademie, allgemein sein Beitrag über „Hochschulen und Wissenschaft“ im Rumänien-Band des von Klaus-Detlev Grothusen herausgegebenen „Südosteuropa-Handbuches“ (1977) – ragen die Bücher „Die Rechtsstellung des Ausländers in Rumänien“ (Baden-Baden 1975), „Das Verhältnis von Partei und Staat in Rumänien. Kontinuität und Wandel 1944-1982“ (Köln 1985) und „Der Minderheitenschutz in Ungarn und Rumänien“ (Bonn 1995) heraus.
Günther Tontsch wurde 1979, kurz nach seiner Aussiedlung, Mitglied des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, und 1986 in Freiburg/Br. in dessen Vorstand gewählt. 1989 wurde er Stellvertretender Vorsitzender, 1994 Vorsitzender dieses wissenschaftlichen Vereins. Er hatte die Wahl mit der Einschränkung angenommen, nur für eine Zeit des Übergangs zur Verfügung zu stehen, bis sich die Verjüngung des Mitgliederbestandes im Vorstand niederschlägt und ein Nachfolger aus dieser Generation zur Verfügung steht. In diesem Jahr sah er die Zeit dafür gekommen und kandidierte deshalb nicht mehr für den Vorstand. Zieht man – etwas voreilig - eine Bilanz seiner siebenjährigen Wirkens als Vorsitzender, so sind neben dieser Mittlerrolle zwischen der älteren und der jüngeren Generation, der er den Weg in die Verantwortung geebnet hat, wohl vor allem folgende Bereiche erfolgreichen Wirkens zu nennen: Vorsorge für die Zukunft durch Umsetzen der Konzeption des „Siebenbürgen-Instituts“, mit Erwerbung und Ausbau des neuen Institutsgebäudes in der Gundelsheimer Schloßstraße und Einsatz für die finanzielle Unabhängigkeit der siebenbürgischen Forschungs- und Dokumentationsarbeit bis hin zur Gründung der „Stiftung Siebenbürgische Bibliothek“; Verbesserung der Kooperation zwischen allen im Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat vertretenen Einrichtungen, den er als 2. Vorsitzender mit leitete; Intensivieren der Publikationstätigkeit in den von ihm mit herausgegebenen Buchreihen des Arbeitskreises; Fort- und Weiterführen der grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Kooperation durch gemeinsame Tagungen und Veröffentlichungen. Nicht zuletzt wird die souveräne, ebenso verbindliche wie bestimmte und klare Leitungsarbeit allen, die sie erleben durften, in angenehmer Erinnerung bleiben.
Mit der einstimmigen Wahl von Dr. Ulrich Andreas Wien wurde die von Dr. Tontsch betriebene Weichenstellung in die Tat umgesetzt. Eine neue Generation tritt mit ihm an vorderste Stelle, jene der jungen, vorwiegend in Deutschland ausgebildeten Forscher, die auf die eine oder die andere Art während ihres Studiums auf die vielfältige, faszinierende Kultur und Geschichte Siebenbürgens gestoßen sind und sich davon begeistern ließen. Dieser Generation wird es gelingen, die Siebenbürgen-Forschung für jene Zeit vorzubereiten, in der das unmittelbare Erleben der Heimat überhaupt keine Bedeutung haben wird, deren Kulturerbe jedoch weiterhin dokumentiert, analysiert und dargestellt werden muß. Dass diese Vorbereitung in einer Kontinuität steht und eigentlich bereits 1962 begonnen wurde, belegen die Satzung, die damalige Wahl eines nichtsiebenbürgischen Vorsitzenden und die seither geleistete Arbeit.
Ulrich A. Wien wurde am 13. Dezember 1963 in Speyer als erstes von drei Kindern eines Theologenehepaares geboren. Nach dem Besuch des Altsprachlichen Gymnasiums in Speyer (1974-1983) studierte er zunächst Alte, Mittlere und Neue Geschichte, Politische Wissenschaften und Anglistik in Mannheim (1983-1984) und Freiburg/Br. (1984-1985), leistete dann seinen Zivildienst ab und begann 1986 mit dem Studium der Evangelischen Theologie in Heidelberg, das er in Tübingen fortsetzte und 1992 (bereits mit einer Arbeit zur siebenbürgischen Kirchengeschichte) abschloss. 1998 promovierte er in Heidelberg zum Dr. theol. Nach dem Vikariat (1994-1997) erfolgte seine Ordination als Pfarrer der Evangelischen Kirche der Pfalz (1997). Seit 1999 ist Ulrich A. Wien Akademischer Rat am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau.
Ulrich Wiens Verbindungen zu Siebenbürgen sind vielfältig. Zwecks Vorbereitung seiner Abschlussarbeit sowie seiner Dissertation hat Ulrich Wien seit 1991 neun zum Teil mehrmonatige Forschungsreisen nach Siebenbürgen unternommen und stieß früh zum Kreis des Studium Transylvanicum. Eine Siebenbürgerin, Christa Rieger (Großpold), wurde 1994 seine Frau und Mutter seiner zwei Töchter. 1993 trat er dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde bei, in dessen Zeitschrift er 1995 einen umfangreichen und gehaltvollen Beitrag über den „Briefwechsel zwischen Karl Barth und siebenbürgischen Pfarrern in den Jahren 1930-1947“ veröffentlichte. Seine vielbeachtete Dissertation „Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus“ erschien als 25. Band der AKSL-Buchreihe „Studia Transylvanica“. 1999 erschien der von ihm mit herausgegebene Tagungsband „Siebenbürgen in der Habsburgermonarchie“. Seit 1995 im Vorstand, seit 1996 zudem als Leiter der Sektion Kirchengeschichte und seit 1998 im Geschäftsführenden Vorstand tätig, ist Dr. Ulrich A. Wien mit Aufgaben und Problemen des Arbeitskreises bestens vertraut. Somit steht er selbst für die Kontinuität der bisherigen Arbeit, deren Wandel er behutsam, aber entschlossen, wie es seine Art ist, betreiben wird. Erfolg wünschen ihm dabei alle an Siebenbürgen, an der Kultur, Geschichte und Landeskunde dieser faszinierenden Region Interessierten.

Konrad Gündisch

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