26. September 2000

Restriktive Verwaltungspraxis widerspricht verfassungsmäßigen Grundsätzen

Die zunehmend restriktive Verwaltungspraxis deutscher Behörden macht zurzeit den Zuzug von Spätaussiedlern aus Rumänien kaum noch möglich. Vor allem in Bayern, dessen Politker sich gerne als Freunde und Sachwalter der Vertriebenen und Aussiedler bezeichnen, werden der Aussiedleraufnahme kaum noch überwindbare Hindernisse in den Weg gesetzt.
Einschlägiges Bundesrechtsreferat der Landsmannschaft bemüht sich um Wiederanerkennung der "persönlichen Vereinsamung" als Benachteiligung / Der Freistaat Bayern sollte gerade als "Anwalt der Aussiedler" nach erstinstanzlich von Neuankömmlingen gewonnenen Gerichtsprozessen auf zusätzliche Rechtsmittel verzichten


Zurzeit haben Spätaussiedler aus Rumänien kaum noch eine Chance, in der Bundesrepublik Aufnahme zu finden. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin und die zunehmend restriktive Verwaltungspraxis der zuständigen Landesbehörden führen selbst in Härtefällen und bei nachweislich deutscher Volkszugehörigkeit auch nach der Einreise ins Bundesgebiet zur Ablehnung als Spätaussiedler trotz bereits erteilter Aufnahmebescheide. Antragsteller werden wie "Ausländer" behandelt und gegebenenfalls sogar per "Grenzübertrittsbescheinigung" zum Verlassen der Bundesrepublik und zur Rückkehr ins Herkunftsland aufgefordert. Dem ist gegenwärtig das einschlägige Bundesrechtsreferat der Landsmannschaft bemüht entgegenzuwirken.

Auf Drängen der Landsmannschaft war bekanntlich in den "Richtlinien", d.h. den Anwendungsbestimmungen zum so genannten "Kriegsfolgenbereinigungsgesetz" vom 31.12.1992 die "persönliche Vereinsamung" deutscher Volkszugehöriger im Herkunftsgebiet als Benachteiligung im Sinne des Paragraphen 4, Absatz 2, des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) als "Benachteiligung" und somit als Aussiedlungsgrund anerkannt worden. Spätaussiedler, die eine derartige "Vereinsamung" glaubhaft machen konnten (befreit davon waren Antragsteller aus den GUS-Staaten, bei denen erlittene Benachteiligungen grundsätzlich vorausgesetzt wurden und werden), erhielten den Aufnahmebescheid.
Der Text der "Richtlinien" legte fest, dass "persönliche Vereinsamung" dann als "Benachteiligung im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG" zu sehen und anzuerkennen sei, "wenn die antragstellende Person glaubhaft konkrete Tatsachen darlegt, aus denen sich Behinderungen etwa des deutschen Kultur- und Vereinslebens ergeben, die bei ihr zu einer volkstumsmäßigen Vereinsamung derart geführt haben, dass ein sinnvolles und von Zukunftsperspektiven begleitetes Leben als deutscher Volkszugehöriger in den Aussiedlungsgebieten objektiv nicht mehr möglich erscheint, weil ihr dort die Pflege des deutschen Volkstums erheblich erschwert oder unmöglich ist".
Behördlicherseits wurde dagegen in mehreren Fällen, in denen diese Bestimmung zur Anwendung gelangt war, rechtlich vorgegangen, bis schließlich auch das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 3. März 1998 die Rechtsauffassung vertrat, dass die volkstumsmäßige Vereinsamung keine Benachteiligung im Sinne des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes darstelle. Schon vorher, nachdem bekannt geworden war, dass die entsprechenden Fälle in Berlin rechtsanhängig waren, hatten zuständige Landesbehörden auf eine restriktive Gangart umgeschaltet oder die Verfahren im Hinblick auf das zu erwartende Urteil aufs Eis gelegt. Mittlerweile halten sich daran sowohl die zuständigen Landesbehörden als auch die Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte.
Dagegen kämpft der landsmannschaftliche Bundesrechtsreferent Dr. Johann Schmidt inzwischen mit rechtlichen und politischen Argumenten an. Der einschlägig erfahrene Jurist vertritt die Ansicht, dass durch die heute gängige Verwaltungspraxis der Kernbestand des Artikels 116, Absatz 1, des Grundgesetzes nahezu ausgehölt werde, was zu unzumutbaren Härten führe und verfassungsmäßig sehr bedenklich sei. Spätaussiedler, die über das Bundesverwaltungsamt bereits im Herkunftsland ihren Aufnahmebescheid erhalten haben, nun hier in der Bundesrepublik abzuweisen, laufe dem Grundsatz von Treu und Glauben, wie er im Paragraphen 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches festgeschrieben ist, zuwider und missachte das Gebot des Vertrauensschutzes, so Schmidt gegenüber dieser Zeitung. Zudem seien bei der Urteilsfindung in Berlin historische Entwicklungen und die Tatsache unbeachtet geblieben, dass die wenigen in den Aussiedlungsgebieten verharrenden deutschen Volkszugehörigen kaum noch eine realistische Daseinsgrundlage haben, geschweige denn, dass an den wenigsten Herkunftsorten eine "Pflege des deutschen Volkstums" noch möglich sei.
Die neue Verwaltungspraxis schaffe dadurch, dass Spätaussiedler nach der ersten Ablehnung als "Ausländer" behandelt werden, einen regelrechten "Teufelskreis": Dem Neuankömmling kann zwar eine "Aufenthaltsbefugnis" erteilt werden, bei endgültiger Ablehnung seines Aufnahmeantrags auf Anerkennung als Spätaussiedler jedoch werden die ihm zunächst zugesprochenen Eingliederungshilfen, auch Kindergeld und ausgezahlte Renten unter Umständen von den Landesbehörden zurückgefordert. Beantragt hingegen der Spätausgesiedelte, um der öffentlichen Hand nicht ab ovo zur Last zu fallen, eine Arbeitserlaubnis, wird diese, wie bei "nicht bevorrechtigten" Ausländern üblich, nur unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage erteilt. Wenn also der Arbeitsmarkt in seinem Fall ungünstig ist, kriegt er die Arbeitserlaubnis grundsätzlich nicht und muss sie sich gerichtlich erstreiten.
Das alles sind Härten, die Schmidt eindeutig für unzumutbar hält. Daher sei eine Gesetzesänderung nötig, durch welche die "volkstumsmäßige Vereinsamung" in den Herkunftsgebieten erneut als nachteiliges Tatbestandsmerkmal und damit als Aussiedlungsgrund anerkannt wird. Zudem tritt der Rechtsanwalt u.a. dafür ein, dass nicht doppelt - einmal im Herkunftsgebiet und danach noch einmal nach Ankunft in der Bundesrepublik durch die jeweiligen Landesbehörden - über den Status des Spätaussiedlers und die Rechtmäßigkeit seines Aufnahmeantrags entschieden wird. Es könne nicht sein, dass im Wesentlichen nur durch verwaltungsgerichtliche Prozesse (in den letzten Monaten konnte eine Vielzahl obsiegender Urteile erstritten werden) und durch Glaubhaftmachung anderer Benachteiligungsgesichtspunkte die Betroffenen zu ihrem recht kommen.
Schmidt ist der Ansicht, dass die derzeitige Praxis in der Aussiedleraufnahme nicht nur das Wort von den Letzten, die die Hunde beißen, in übler Weise bestätigen, sondern auch der Behauptung Hohn spreche, das "Tor nach Deutschland" stünde für Aussiedler nach wie vor offen. Wie Verwaltung und Politik entgegen ihrer "frohen Botschaft" handeln, mag folgende Tatsache belegen: In mehreren der obigen Streitfälle, in denen die niedere Gerichtsbarkeit beispielsweise in Bayern zugunsten von Spätaussiedlern entschieden hatte, beschritt gerade der Freistaat, der sich über seine politischen Vertreter und gerade auch gegenüber der rot-grünen Bundesregierung, gerne als Anwalt und Mitstreiter der Vertriebenen und Aussiedler darstellt, den Rechtsweg der Berufung durch die Instanzen, um doch noch eine Ablehnung des nachweislich deutschen Antragstellers zu erwirken.
Aus diesem Grund hat sich der Rechtsreferent der Landsmannschaft inzwischen auch an die Politik gewandt und seine Situationsbeschreibung samt Gegenargumenten dem Bundestagsabgeordneten Christian Schmidt (CSU) zugeleitet. Dieser hat sich in seinem Antwortschreiben dahingehend geäußert, "dass Härtefälle nicht so restriktiv behandelt werden sollten, wie dies gegenwärtig der Fall ist". Hier liege seiner Meinung nach "auch der Ansatzpunkt im Hinblick auf die Beeinflussung der Verwaltungspraxis" durch die Politik: "Das werde ich versuchen", so der Bundestagsabegordnete. Auch CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz habe in einem Gespräch mit Vertretern der Vertriebenen- und Aussiedlerverbände erklärt, dass bei der zurzeit laufenden "öffentlichen Diskussion um die Begrenzung der Zuwanderung deutlicher unterschieden werden müsse zwischen den Aussiedlern deutscher Herkunft und den Ausländern". Immer mehr würden beide Gruppen unter dem Begriff "Zuwanderer" subsummiert, "ohne dass die deutsche Volkszugehörigkeit der Aussiedler bewusst wird".
Gerade diese ihre "Volkszugehörigkeit" aber sollte sie grundsätzlich auch weiterhin zur Aufnahme in die Bundesrepublik berechtigen. Dafür werden sich der landsmannschaftliche Bundesvorstand und sein Rechtsreferent Schmidt auch in Zukunft einsetzen.
Hannes Schuster

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