30. Januar 2002

Deutsches Gymnasium in Bistritz erst vor 90 Jahren gegründet?

Anmerkungen zu der Jubiläums-Feier des „Colegiul National“ in Bistritz. Der Historiker Dr. Michael Kroner wendet sich gegen den Versuch, die deutsche Schulgeschichte in der nordsiebenbürgischen Stadt Bistritz zu entstellen.
Im November des Vorjahres teilte mir ein Bekannter mit, dass in Bistritz am 23. November eine Jubiläumsfeier des „Liviu Rebreanu“-Lyzeums anlässlich des 90-jährigen Bestehens des „Colegiul National“, wie es in der Einladung in rumänischer Sprache hieß, geplant sei. Ich war etwas stutzig, was denn damit gemeint sei. Aber als einer, der sich in der Bistritzer Geschichte etwas auskennt, zudem zehn Jahre Geschichtslehrer und einige Jahre stellvertretender Direktor an dem erwähnten Lyzeum war, nahm ich an, dass es sich bestenfalls um den 90. Jahrestag der Einweihung des heutigen Gymnasialgebäudes handelt.
Das evangelische Gymnasium in Bistritz, 1910.
Das evangelische Gymnasium in Bistritz, 1910.

Mittlerweile habe ich eine Mappe in rumänischer Sprache „90 Jahre Unterricht am Nationalen Kolleg Bistritz 1911-2001“ mit informativen Unterlagen erhalten. Das Jubiläum bezieht sich tatsächlich auf den Bau des sächsischen Gymnasialgebäudes vor 90 Jahren. Aus besagter Mappe erfährt man, dass der alte Bau des sächsischen Gymnasiums im Zentrum der Stadt nicht mehr entsprochen habe und ein neues Gebäude an der Fleischerallee gebaut und 1911 eingeweiht worden sei, in welchem bis 1944 das deutsche Gymnasium untergebracht war. Die Sache wird so dargestellt, als ob es sich bei diesem Bau nicht um eine Angelegenheit der Sachsen, sondern auch „anderer Ethnien“ gehandelt habe. Der gesamte Text der Mappe ist zudem so verschwommen und missverständlich abgefasst, dass der nicht eingeweihte Leser und Teilnehmer an den Feierlichkeiten nicht auseinanderhalten konnte, was sich auf die rumänischen und was sich auf die deutschen Schulen in Bistritz bezog. So beispielsweise, wenn es über die Schulleiter heißt, dass nach dem „ersten“ Direktor des evangelischen Gymnasiums von 1911, Georg Fischer, beginnend mit 1923 „eminente Professoren und tüchtige Haushalter“ gefolgt seien, wie Emil Domide, Ioan Partene, Stefan Lupu. Die genannten rumänischen Lehrer waren jedoch Direktoren des rumänischen und nicht des evangelischen deutschen Gymnasiums, an dem nach Fischer die Direktoren Dr. Albert Berger (1914-1929), Ernst Ihl (1919-1935) und Dr. Thomas Frühm (1935-1944) amtiert haben.
Als Folge der beabsichtigten oder mangels Kenntnissen unbeabsichtigten Darstellung wird zudem der Eindruck vermittelt, als sei das deutsche Gymnasium in Bistritz erst 1911 gegründet worden. Von diesem Eindruck lässt sich auch Ulrich Burger, Kulturassistent des Stuttgarter Auslandsinstituts in Bistritz, irreführen, der in der Siebenbürgischen Zeitung-Online vom 30. November 2001 über das „90-jährige Jubiläum des deutschen Gymnasiums“ berichtete.
Zu dieser Entstellung deutscher Schulgeschichte sei gesagt, dass Fischer in Wirklichkeit der 99. Direktor/Rektor dieser ehrwürdigen Schulanstalt war und dass der Bau des Gymnasialgebäudes vor 90 Jahren weder den Anfang des deutschen Gymnasiums noch der rumänischen Lyzeen in Bistritz markiert: Ersteres bestand 1911 schon seit mehr als 300 Jahren und Letztere wurden erst zwölf Jahre später gegründet. Wenn sich die heutige deutsche Abteilung des „Colegiu National“ in der Nachfolge des ehemaligen deutschen Gymnasiums betrachtet, dann sollte sie sich auch auf die über 400 Jahre alte Tradition dieser Anstalt berufen. Da diese Schulgeschichte anscheinend ausgeklammert blieb und um die Irrtümer der Jubiläumsfeier zu korrigieren, soll sie hier kurz beleuchtet werden.
Die erste sichere Nachricht über die Existenz von Schulen im Bistritzer Kirchenkapitel (Bezirk) stammt aus dem Jahre 1438. Vermutlich gab es sie schon früher, und in anderen Teilen Siebenbürgens sind sie im 14. Jahrhundert auch bezeugt. Die vorreformatorischen Schulen dienten hauptsächlich der Ausbildung von Knaben für den Gesang im Gottesdienst und bei Prozessionen. Dabei lernten die Zöglinge auch etwas Lesen und Schreiben in lateinischer Sprache. In den Städten boten die Lateinschulen eine höhere Bildung und ermöglichten einigen ihrer Schüler den Besuch von Universitäten. Eine solche Schule - Anzeichen sprechen für ein Schulgebäude auf dem Marktplatz neben der Kirche - besaß auch Bistritz. Sie wurde um 1500 sogar von Schülern aus Schäßburg und Klausenburg besucht. Im Zuge der Reformation erhielt die Bistritzer Stadtschule nach dem Vorbild des von Johannes Honterus gegründeten Gymnasiums in Kronstadt ein neues Profil. Die Stadt betraute mit dieser Aufgabe Rektoren, die an ausländischen Universitäten studiert hatten. Diese Schulmänner bauten die Stadtschule schrittweise zu einem Gymnasium aus, das bereits 1538 urkundlich erwähnt ist. Ab diesem Datum sind auch die Namen der Rektoren bekannt. Den wichtigsten Beitrag bei der Umgestaltung des Gymnasiums leistete Rektor Gallus Rohrmann, der in Basel und Straßburg studiert hatte. Während seines Wirkens von 1587 bis 1598 arbeitete er eine neue Schulordnung aus, die über Jahrhunderte die Grundlage für die Gestaltung des gymnasialen Schullebens bildete.
Das Bistritzer Gymnasium – seit 1565 besaß es an der Stelle des alten Schulgebäudes einen Neubau – sah seine Hauptaufgabe darin, die Schüler für das Studium der Theologie an ausländischen Universitäten oder als Schreibkräfte und Schulmeister vorzubereiten. Der Unterricht erfolgte in lateinischer Sprache. Unterrichtsfächer waren ferner Griechisch, Theologie, Rhetorik, Dialektik, Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie. Aus Bistritz und dem Nösner Gau haben in der Zeit von 1520 bis 1700 nachweislich 126 hauptsächlich sächsische Jugendliche an den Universitäten von Wittenberg, Frankfurt an der Oder, Königsberg, Leipzig, Straßburg, Tübingen und anderen Städten studiert. Nach ihrer Heimkehr unterrichteten die Hochschulabsolventen – einige hatten den Magister- oder Doktortitel in Philosophie erworben – zunächst einige Jahre an einer evangelisch-sächsischen Schule, so auch am Bistritzer Gymnasium. Da sie als Lehrer äußerst schlecht bezahlt wurden, blieben sie nicht lange im Schuldienst, sondern wechselten möglichst rasch auf eine frei gewordene und gut dotierte Pfarrstelle.
Das Lehrerkollegium bestand nach der Schulordnung Rohrmanns bis ins 19. Jahrhundert aus einem Rektor, vier Lektoren und Kolaboratoren sowie einem Kantor. In den unteren Klassen des Gymnasiums unterrichteten hauptsächlich die Schüler der oberen Klassen, die auch die im Schulgebäude untergebrachten auswärtigen Schüler beaufsichtigten. Ihren Unterhalt sicherten sich die Internatsschüler zum Teil durch „Cantationen“, das heißt durch Gesangständchen in den Häusern der Bürger, auf Hochzeiten und bei Leichenzügen sowie als Chorknaben im Gottesdienst, ferner durch Theateraufführungen und Sammeln von „Pribenden“ (Gaben). Die Schüler waren in einer Vereinigung zusammengeschlossen, die sich seit 1698 „Coetus“ nannte. Seit 1722 gab es außerdem die Schulpflicht.
Das Bistritzer Gymnasium hat Höhen und Tiefen erlebt. Infolge der Kuruzzenkriege und einer Pestepidemie wurde das Gymnasium im Jahre 1712 mangels Schüler für ein Jahr geschlossen. Auch 1803 sank die Schülerzahl auf acht. Die Schulreform des Rektors Traugott Klein im Jahre 1809 leitete einen kontinuierlichen Aufschwung ein: Er führte neue Fächer sowie Abiturientenprüfungen ein und schaffte die erniedrigende Bettelei der Schüler ab. Unter ihm stieg die Schülerzahl auf 200 an. Im Jahre 1833 wurde auch ein neues Gymnasialgebäude neben der evangelischen Kirche auf dem Marktplatz errichtet. So konnte sich das Bistritzer Gymnasium Ende des 19. Jahrhunderts als eine moderne real-humanistische Schulanstalt präsentieren. Außer dem Gymnasium besaßen die Sachsen in Bistritz eine Knaben- und Mädchenvolksschule bzw. Bürgerschule, eine Gewerbeschule und seit 1870 eine Ackerbauschule. In dem Schulgebäude von 1833 waren auch die Volks- und Bürgerschulen untergebracht. Trotz Erweiterungsmaßnahmen musste die Mädchenschule 1865 in ein angekauftes Haus an der Ecke Reiß- und Obere Neugasse ausgelagert wurde. Im Jahre 1881 wurde an der Promenade im Stadtpark eine Turnhalle gebaut.
Im Jahre 1892 beschloss das evangelische Presbyterium die Errichtung eines modernen Schulgebäudes und kaufte an der Fleischerallee mehrere Gärten. Aber erst 1908 wurde in Anwesenheit von Bischof Friedrich Teutsch der Grundstein zum Neubau gelegt, dessen Errichtung durch Spenden der sächsischen Bürger und der sächsischen Geldinstitute möglich geworden war. Bleibende Verdienste haben sich dabei Rektor Georg Fischer, Stadtpfarrer Friedrich Kramer und Karl Gottlieb Kramer als Baumeister erworben. Am 8. September 1910 erfolgte der Umzug ins neue Gebäude ohne besondere Feierlichkeiten, da der um den Bau der Schule verdiente Stadtpfarrer Friedrich Kramer schwer erkrankt war – er verstarb am 28. Februar 1911. Die feierliche Einweihung erfolgte erst am 7. Oktober 1911 durch Bischof Friedrich Teutsch, zu welchem Anlass auch eine Festschrift erschien. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnete man das Gebäude als „Gymnasium“, obwohl darin auch die deutschen Bürger- und Elementarschulen untergebracht waren. Die Mädchenschule zog 1911 zunächst in das leere Schulgebäude am Marktplatz ein, musste es aber 1935 räumen, da es wegen Baufälligkeit auf Anordnung der staatlichen Behörden niedergerissen wurde. Daraufhin fanden auch die Mädchen im Gebäude an der Fleischerallee Aufnahme. Das im Neorenaissance-Stil errichtete Gebäude gehört zu den imposantesten Schulgebäuden, die damals in den siebenbürgisch-sächsischen Städten entstanden. Die Schule besaß unter anderem eine Bibliothek mit etwa 30 000 Bänden, darunter viele alte Drucke, ein Archiv, einen geräumigen Festsaal und ein Physik- und naturwissenschaftliches Kabinett.
Ein wichtiger Aspekt der deutschen Schulen verdient es, hervorgehoben zu werden. Die sächsischen Gymnasien und anderen Schulen waren auch für Jugendliche der Mitnationen offen. Vor allem rumänische Jugendliche, die keine eigenen entsprechende Schulen besaßen, haben davon reichlich Gebrauch gemacht. So lag die Zahl der rumänischen Schüler am Bistritzer Gymnasium nach 1850 selten unter zehn, erreichte 53 im Schuljahr 1860/61, 62 im Schuljahr 1894/95 und sogar 87 im Schuljahr 1918/19. In dem letztgenannten Schuljahr frequentierten zudem noch 44 jüdische und 32 ungarische neben 194 deutschen bei insgesamt 237 Schülern das Gymnasium. Die deutschen Schüler stellten somit nur wenig mehr als die Hälfte der Schülerzahl. Der prominenteste rumänische Schüler, der am Anfang des 20. Jahrhunderts das Bistritzer Gymnasium frequentierte, war der spätere Schriftsteller Liviu Rebreanu und heutige Namenspatron der Schule.
In der Zwischenkriegszeit nahm die Zahl der rumänischen Schüler am deutschen Gymnasium nach der Eröffnung des staatlich-rumänischen „Alexandru-Odobescu“-Lyzeums 1923 zwar ab, es fanden aber weiterhin zahlreiche rumänische Schüler den Weg zu deutschen Schulen. Im Jahre 1925 schloss der rumänische Schüler Victor Linul als bester Absolvent die Matura mit der Durchschnittsnote 9,50 ab. Ab 1926/27 unterrichtete sogar Stefan Lupu, Lehrer des „Odobescu“-Lyzeum, rumänische Sprache am deutschen Gymnasium. Nach dem Wiener Schiedsspruch suchten wieder viele Rumänen Zuflucht in deutschen Bildungsanstalten. Im Schuljahr 1941/42 waren in den acht Klassen des deutschen Gymnasiums in Bistritz 52 Rumänen eingeschrieben – das war ein Sechstel der Gesamtschülerzahl von 301. Unter den 133 Schülern der vier Elementarklassen befanden sich 21 rumänische Jungen und Mädchen. Nach dem Vorbild des sächsischen „Coetus“ bildeten die rumänischen Schüler des Gymnasiums die „Dacia“-Schülervereinigung.
Nachdem das Gymnasialgebäude am Ende des Zweiten Weltkrieges als Lazarett gedient hatte, wurde es nach der militärischen Räumung vom Staat übernommen und darin das rumänische Lyzeum untergebracht. Für die von der Flucht heimgekehrten Sachsen gab es zunächst keinen deutschen Schulunterricht. Erst 1947 wurde die deutsche Grundschule mit den Klassen 1 bis 4 eröffnet. Nach der Schulreform von 1948 nahmen die Klassen 5 bis 7 der einheitlichen, allgemeinbildenden Schule den Unterricht für deutsche Kinder auf, allerdings nicht im deutschen Schulgebäude an der Fleischerallee, sondern verstreut in verschiedenen Gebäuden. 1953 folgte dann der Aufbau einer deutschen Abteilung an der gemischten rumänischen Mittelschule (später Lyzeum), die im ehemaligen deutschen Gymnasialgebäude untergebracht war. Ende der 50er Jahre wurden dann alle deutschen Schulklassen dem Lyzeum angegliedert. In ihnen hat es viele rumänische, aber auch ungarische und jüdische Schüler gegeben, und dabei ist es bis heute geblieben. Die Zahl der deutschen Schüler beträgt aber als Folge der Aussiedlung kaum drei Prozent der rund 280 Schülern in den Klassen 1-12 der heutigen deutsche Abteilung.
Das Bistritzer evangelisch-deutsche Gymnasium hat im Laufe von etwa 400 Jahren viele Männer ausgebildet, die nicht nur als Träger des sächsischen Kirchen- und Kulturlebens gewirkt haben, sondern sich auch im gesamtsiebenbürgischen Kontext und im Ausland einen Namen gemacht haben. In der oben genannten Mappe werden leider nur prominente rumänische Repräsentanten genannt.
Es wäre zu wünschen, dass sich die Schule, das Geschichtsmuseum und die Stadt mit dem von Sachsen hinterlassenen Kulturerbe, das besonders in der Altstadt und in den Exponaten des Museums sichtbar ist, beschäftigen und dabei die Dinge beim Namen nennen. Dazu gehört auch die hier skizzierte Schulgeschichte, die in den sogenannten Gymnasialprogrammen nachzulesen ist. Außerdem besitzt die Stadtbibliothek noch zahlreiche Bücher der ehemaligen Schulbücherei, die die Verwüstungen der Nachkriegszeit überstanden haben und als Dokumentation herangezogen werden können.

Michael Kroner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2002, Seite 10)

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