16. Februar 2002

Rumänien aus der Sicht eines deutschen Diplomaten

Rund 200 Seiten seiner Memoiren, die unter dem Titel „Die glücklichen Augen“ erschienen sind, widmet Erwin Wickert seinen fünf Jahren als Botschafter in Bukarest. Er zeichnet ein weit gespanntes politisch-soziales Panorama von Rumänien der siebziger Jahre. Den Despoten Ceausescu beobachtet Wickert aus unmittelbarer Nähe, die deutsche Minderheit ist ihm in der Spannbreite zwischen Sehnsucht nach heiler sächischer Welt und Auswanderungsdrang bestens vertraut.
Der Diplomat und Schriftsteller Erwin Wickert, geboren 1915 als Sohn eines Pfarrers in der Mark Brandenburg, mit Studien in Heidelberg, Berlin und in den USA, hat bereits 1991 einen Band mit "Geschichten aus dem Leben" ("Mut und Übermut") veröffentlicht, in dem er über seine Jugend berichtet, die er zum Teil im Fernen Osten und in Amerika verbracht hatte.



Im vorliegenden Memoirenband schildert er nun die Jahre danach, zuerst als freier Schriftsteller in Heidelberg (1947-1955), dann im diplomatischen Dienst in Paris (1955-1960) und Bonn (1960-1967), schließlich als Gesandter in London (1967-1971) und als Botschafter in Bukarest (1971-1976). Die letzten Jahre im diplomatischen Dienst als Botschafter in Peking (1976-1980) werden in diesem Buch nicht behandelt, weil der Autor bereits in dem Band „China von innen gesehen“ – es war ein Bestseller – darüber berichtet hat. Der Buchtitel „Die glücklichen Augen“ ist ein Zitat aus dem Motto zu diesem Band, den Goethe-Versen „Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn, / Es sei wie es wolle, / Es war doch so schön.“ Wickert ist der Autor von erfolgreichen politisch-historischen Romanen und preisgekrönten Hörspielen. In den Romanen aus China und dem frühchristlichen Rom kommt die Tendenz zum Ausdruck „Geschichte als geistige Wahrheit der verschiedenen Epochen darzustellen“ (Gero von Wilpert). „China von innen gesehen“ verfasste er wie auch andere Werke nach seiner literarischen Devise „Zuerst erleben, dann schreiben“. Als Diplomat im Auswärtigen Dienst war Wickert ein enger Mitarbeiter des damaligen Außenministers Gerhard Schröder, eines der Initiatoren der Ostpolitik, und hatte gute Kontakte zu Karl Carstens, Walter Scheel, Willy Brandt, Kurt Georg Kissinger u.a. Unter Willy Brandts Kanzlerschaft war er Gesandter in London und Bukarest. Im vorliegenden Band seiner Lebenserinnerungen, die er akribisch nach Tagebuchaufzeichnungen rekonstruierte, geht es um seine Familie, seine literarischen Werke, um Freunde, um vertrauliche Gespräche mit führenden Politikern seiner Zeit – wobei der Leser oft Dinge erfährt, die nie in Akten erwähnt wurden und die somit einen Blick „hinter die Kulissen“ ermöglichen.
Der umfangreichste Teil von rund 200 Seiten ist der Zeit von fünf Jahren in Bukarest gewidmet. Dabei nimmt Wickert kein Blatt vor den Mund und schildert kritisch seine Erfahrungen. Ceausescu wird aus der Nähe erlebt und beobachtet: auf der Diplomatenjagd, bei Staatsbesuchen, bei seiner Wahl zum Präsidenten der Republik mit Schärpe und Szepter („eine Stufe höher zum Cäsarenwahnsinn“). Über manche seiner Eigenschaften, seine Sprunghaftigkeit, seinen Größenwahnsinn, seine Humorlosigkeit, könnte man allenfalls hinwegsehen- schreibt Wickert – jedoch nicht über das, was ihn zum Despoten machte: Die Menschen waren für ihn gleichgültig, nur Verfügungsmasse, eine statistische Größe zur Verwirklichung seiner Pläne. Als den zweiten Mann im Staat und Partei betrachtet Wickert Emil Bodnaras. Er wollte nicht Erster sein, und Ceausescu wusste das und schätzte ihn. Als Sohn einer deutschen Mutter sprach Bodnaras fließend Deutsch. In der Politik war er Pragmatiker und kümmerte sich dabei wenig um Motivierungen durch die marxistische Ideologie. Ion Gheorghe Maurer - seinem Namen nach wären deutsche Sprachkenntnisse zu erwarten gewesen, doch sprach er Französisch - war zwar ein guter Kenner des Marxismus, doch dachte er in der Politik ebenfalls vorwiegend praktisch. Er konnte sich sogar vor Ceausescu kritisch und gar ironisch äußern, was andere „Untergebene“ Ceausescus nicht gewagt hätten. Wickert schätzte auch den ehemaligen Außenminister Corneliu Manescu und dessen Nachfolger Macovescu. Es war ihm unbegreiflich, wie Macovescu, bei all seiner Bildung und Kultur doch Ceausescu hörig war und ihm lobhuldete. Man brauchte eine gewisse Erfahrung, um alle Winkelzüge und „Erfindungen“ in der rumänischen Politik zu durchschauen, was Wickert bald gelang. Deutsche Politiker sind bei ihren Besuchen in Rumänien darauf oft plump hineingefallen und haben alles naiv geglaubt, was ihnen erzählt wurde. Über die Überwachungspraktiken de Securitate war man bei der deutschen Botschaft wohl unterrichtet. Man wusste von Abhöranlagen, Verhören, Bespitzelungen, Verfolgungen und richtete sein Leben danach ein. Auch Spionage und Agententätigkeit im Ausland war nicht unbekannt – sie führte einige Male auch zu blamablen Misserfolgen. Das ganze Unterdrückungssystem Ceausescu wird mit aller Eindrücklichkeit und anhand unwiderlegbarer Fakten geschildert. Die Botschaft erhielt oft Briefe, in denen Rumäniendeutsche um Hilfe baten. Es handelte sich meistens um die Bitte, sie bei der Beschaffung eines Ausreisevisums in die Bundesrepublik zu unterstützen. "Wir taten, was wir für sie tun konnten. Es war wenig genug. Die rumänischen Behörden behinderten uns", notiert Wickert. An der sogenannten Freikaufaktion mit Kopfgeldzahlungen nach einem bestimmten „Tarif“, je nach Beruf und Ausbildung der betreffenden Personen, worüber man bei der deutschen Botschaft nur indirekte Informationen hatte , war das Auswärtige Amt nicht beteiligt – sie liefen über das Innenministerium. Die Gelder wurden in Koffern von Agenten abgeholt und im Ausland, wahrscheinlich direkt auf Ceausescus Namen bei einer Bank deponiert. Wickert befürwortete Familienzusammenführungen, Ausreise zum Verlobten u.a. Härtefälle, war aber nicht für eine allgemeine Auswanderungen der „Volksdeutschen“. Er erwähnt auch fragwürdige und überzogene Entschädigungsforderungen, die manche Übersiedler in Deutschland für wirkliche oder angebliche Vermögensverluste in Rumänien stellten (?!).
Die meisten sächsischen Pfarrer wünschten keine allgemeine Aussiedlung – schreibt Wickert – da sie auf ein Erstarken der deutschen Minderheit hofften, um ihre alte Bedeutung wieder zu gewinnen: eine Wunschvorstellung ohne Aussicht auf Verwirklichung. Zu zahlreichen rumänischen Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern und Dichtern pflegte Wickert gute persönliche Beziehungen. Er lobt ihre hohe Bildung und ihren Mut, unter den bestehenden Verhältnissen leben und schaffen zu können.
Die Teilnahme an einer großen sächsischen Hochzeitsfeier in Tartlau wird Wickert zum unvergesslichen Erlebnis. „Bei großen Festen, Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen schien alles noch so zu sein wie vor alten Zeiten. Es sollte so scheinen wie in alter Zeit, aber jeder wusste, dass man sich an den Festen an eine vergangene Welt zurückträumte“ (Seite 388). Wickert bewundert die heile Welt in einer sächsischen Dorfgemeinschaft, wo sich jeder geborgen fühlen konnte und im Brauchtum, das das gesamte Leben begleitete, fest eingebettet war. „Eine heile Welt, in der alles seinen gebührenden Platz hatte und ohne Zweifel war. Wir sahen es mit Neid aus unserer Verwirrung und Unsicherheit“! (S. 389)

Walter Roth


Erwin Wickert, Die glücklichen Augen. Geschichten aus meinem Leben. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart-München, 2001, 542 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 3-421-05152-6.
Die glücklichen Augen: Geschic
Erwin Wickert
Die glücklichen Augen: Geschichten aus meinem Leben

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