17. Februar 2002

Deutsche Minderheitenliteratur kaum beachtet

Dreißig Jahre lang hat der aus Ostpreußen stammende und in Holstein aufgewachsene Literaturwissenschaftler Alexander Ritter immer wieder über die deutschsprachigen Regionalliteraturen geschrieben - mit einem feinen Gespür für die geschichtlichen Hintergründe und die leidvollen nationalen und internationalen Schuld- und Unheilzusammenhänge einer Zeit, die geprägt war durch zwei Weltkriege, zwei Totalitarismen und den Kalten Krieg.
Achtzehn Aufsätze dieser Zeit sind jetzt zusammengefasst im Sammelband „Deutsche Minderheitenliteraturen“ im Südostdeutschen Kultuwrerk erschienen. Keiner davon widmet sich explizit der Literatur in Siebenbürgen, aber sie und die gesamte rumäniendeutsche Literatur werden in fast allen Aufsätzen berücksichtigt.
Spätestens seit Heine wissen wir: Deutschland ist ein schwieriges Vaterland. Die deutsche Sprache ist es nicht minder. Es gibt auf der Welt an die zwanzig Regionen, in denen sich größere Ballungen von Angehörigen der deutschen Ethnie finden, aber nur deren vier oder fünf haben überhaupt eine minderheitenspezifische Regionalliteratur entwickelt: neben den Deutschen im Elsass und in Südtirol vor allem jene in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und in Rumänien.
Der mit Unterstützung des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien zustande gekommene Band stimmt wehmütig. Viele der hier aufgeworfenen Fragen sind eigentlich nur noch von literaturhistorischem Interesse. Wer vor sich, der Mitwelt und der Geschichte ehrlich ist, muss zugeben: Eine Literatur außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachraumes - zu dem eben auch das Elsass und Südtirol zählen - gibt es nicht mehr, wird es zumindest in kürzester Zeit nicht mehr geben.
Bereits 1986 hat der rumäniendeutsche Literaturwissenschaftler Stefan Sienerth festgestellt, „diese Literatur interessiert weder die überwiegende Mehrheit der Leser des Landes, auf dessen Boden sie gewachsen ist, noch diejenigen des Kulturkreises, zu dem sie immer wieder vorstoßen möchte“. Dabei konnte ohnehin nur das auf dem Boden Rumäniens in seinen einstigen Grenzen - also einschließlich der Bukowina mit Czernowitz - entstandene literarische Schaffen darauf Anspruch erheben, international Beachtung zu finden. In der einstigen Sowjetunion beschränkten sich die Schreibkünstler weitgehend auf inhaltsleere Lobhudeleien auf Lenin und Stalin. In der deutschen Öffentlichkeit sind denn auch von allen Vertretern der Regionalliteratur fast ausschließlich jene aus dem Raum des Karpatenbogens wahrgenommen worden. Sie konnten denn auch die Schranken des deutschen Literaturbetriebes überwinden - Schranken, die es sonst diesen Vertretern selbst im Heimatland unmöglich machen, ein breiteres Publikum anzusprechen. Dabei kann die Frage der Qualität des literarischen Schaffens getrost außen vor bleiben, desgleichen das Problem der reduzierten Sprachkompetenz mit entsprechendem Leseverhalten in den Siedlungsgebieten der deutschen Ethnien in den Herkunftsgebieten. Bereits 1990 hat Ritter festgestellt: „Einen öffentlichen Markt für diese Literatur gibt es nicht, einen wissenschaftlichen nur eng begrenzt“.
Seither hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Wurde vor 1990 noch gefragt, wie viele deutsche Literaturen es eigentlich gäbe, ist dies heute wohl allenfalls noch eine Frage für Spezialisten. Deutschsprachige Literatur wird heute vom Publikum wohl als Einheit wahrgenommen. Nur: Für regionalspezifische Literaturen ist da kaum ein Raum. Da bleiben selbst so vielbeachtete Romane, wie die des siebenbürgischen Pastors Schlattner, Ausnahmen.

Horst Schinzel


Ritter, Alexander: Deutsche Minderheitenliteraturen. München: Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, 2001, 428 Seiten (= Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks, Reihe B, Band 88), 24,00 Euro, ISBN 3-88356-130-4. Bezug über den Buchhandel oder Verlagsauslieferung Herold, Kolpingring 4, 82041 Oberhaching.

Bewerten:

1 Bewertung: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.