28. Februar 2002

Weltgebetstag: Rumänien-Beiträge von unterschiedlichem Niveau

Der Weltgebetstag steht am Freitag, dem 1. März, unter dem Motto „Zur Versöhnung herausgefordert“ und ist dem Schwerpunktland Rumänien gewidmet. Frauen aus Rumänien haben Vorschläge und Anregungen sowie die dazugehörige Liturgie entwickelt. Aus diesem Anlass sind ein umfangreiches Arbeitsheft, eine Diaserie und eine Landkarte Rumäniens erschienen, deren landeskundliche Inhalte im Folgenden besprochen werden.
Die Weltgebetstagsbewegung hat sich als ökumenische Initiative von Frauengruppen von Amerika aus verbreitet und in den 1930er Jahren Deutschland sowie Anfang der 1970er Jahre protestantische Kreise in Rumänien erreicht. „Gott hat sein Antlitz Rumänien wieder zugewandt“, postulierte Mircea Dinescu bereits am 22. Dezember 1989 im „Freien Rumänischen Fernsehen“ und verkündete damit den Sieg der „Revolution“. Nach der politischen Wende in Ostmitteleuropa 1989/90 war es für die Kirchen Rumäniens, vielfach decken sich die Konfessionen mit ethnischen Gruppen, geboten, Wege der Zusammenarbeit zu finden und ökumenische Orientierung zu demonstrieren. Dieses war eine unverhandelbare Vorgabe der institutionalisierten ökumenischen Bewegung.
Titelbild zum Weltgebetstag 2002: Hinterglasikone ...
Titelbild zum Weltgebetstag 2002: Hinterglasikone „Christus im Weinstock“

Einzelne Frauen, vor allem aus der Evangelischen Kirche A.B. - der Kirche der Siebenbürger Sachsen -, die immer schon gute Beziehungen zu den Kirchen der deutschsprachigen Länder gepflegt hatte, konnten an den internationalen Treffen teilnehmen und bewirken, dass Rumänien als Schwerpunktland in der langfristige Planung berücksichtigt wurde. Das Thema des diesjährigen Weltgebetstages „Zur Versöhnung herausgefordert“ hat neben der theologischen auch eine starke siebenbürgisch-sächsische Dimension. „Versöhnung“ in der siebenbürgisch-sächsischen Kirche und Gesellschaft ist zudem ein Lebensthema des amtierenden Bischofs dieser Kirche, Christoph Klein. Die kleine Evangelische Kirche A. B. in Rumänien sieht sich gern als Vermittlerin unter den Konfessionen Rumäniens und gefällt sich in beachtlicher internationaler Präsenz.
So initiierten überwiegend sächsische Pfarrfrauen, die einen ausgewiesenen Sinn für praktische Kooperation haben, namentlich Gerhild Cosoroaba und Helga Pitters, Treffen von Frauen verschiedener Konfessionen zur Vorbereitung des Weltgebetstages 2002. Da der Weltgebetstag eine westkirchliche bzw. gar freikirchliche Tradition hat, ist die Beteiligung der orthodoxen Frauengruppen in Rumänien eher mäßig.
Das deutsche Weltgebetstags-Komitee hat aus Anlass des diesjährigen Weltgebetstages ein preiswertes, 300-seitiges Arbeitsheft herausgebracht. Das Heft enthält neben den Vorschlägen zur Gestaltung des Gottesdienstes und der Bibelarbeit auch über 100 Seiten landeskundliche Informationen über Rumänien: einen geschichtlichen Abriss, Kirchen und Konfessionen, Nationale Minderheiten, Wirtschaft, Frauenschicksale, aber auch Koch- und Backrezepte und Beispiele von Tänzen, Märchen und Volksliedern. Am Rande sei vermerkt, dass auch siebenbürgische Volkslieder wie „Es saß ein klein wild Vögelein“ und „Äm Hontertstroch“ sowie die „Reklich Med“ als Tanz ins Heft aufgenommen wurden.

Geschichtliche Thesen unkritisch übernommen
In der Beschreibung des Wappens Rumäniens und im „Geschichtlichen Abriss“ wird Michael der Tapfere als erster „Vereiniger der Rumänischen Länder“ vorgestellt. Ebba Hagenberg-Miliu, Autorin des im deutschen Sprachraum am weitesten verbreiteten Reiseführers über Rumänien (DuMont Richtig reisen), gestaltet den einführenden „Steckbrief“. Sie verbreitet ungeprüft die These, die in Rumänien oft wiederholt und geglaubt wird, dass die Dako-Römer im „Laufe des 4. Jahrhunderts das Christentum byzantinisch-orthodoxer Prägung annahmen“. Ob die rumänische Sprache dem Lateinischen der römischen Eroberer „entwachsen ist“ – auch dieses wird beharrlich behauptet - oder im 18./19. Jahrhundert in Grammatik und Wortschatz der Struktur des Latein ebenfalls nachempfunden wurde, wird von der Autorin nicht hinterfragt. Die Zeitspanne vom Abzug Roms aus Dazien auf Linien südlich der Donau 271 n. Chr. wird als Serie von Schicksalsschlägen für die Region gesehen, in der fremde Großmächte die Geschicke bestimmten, die erst mit der erfolgreichen Vereinigung der Moldau und Walachei zum modernen Nationalstaat zu Ende ging. Damit vertritt die Verfasserin eindeutig eine teleologische Geschichtsauffassung.
Es folgt ein relativ solider Beitrag von Hans-Christian Maner zur „Politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation Rumäniens von 1945 bis heute“. Manuela Troschke behandelt aktuelle wirtschaftliche Probleme des Landes anhand von Werbeschriften der rumänischen Regierung, die auf der Expo 2000 in Hannover präsentiert wurden. Hier hätte man sich einen kritischeren Umgang mit dem Zahlenmaterial gewünscht. Bettina Musiolek, Mitarbeiterin der Kampagne „clean clothes“, schildert die Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen in Zeiten der Globalisierung. Bekanntlich erzielt Rumänien seine beachtlichen Textilexporte für den westeuropäischen Markt überwiegend durch Lohnfertigung, d. h. Zusammennähen vorgeschnittener Teile. Erika Schneider behandelt Probleme und Chancen des Natur- und Umweltschutzes.

Zahl der Abtreibungen 20 Mal höher als in Deutschland
Abgesehen von der Feststellung, dass die Säuglings- und Kindersterblichkeit in Rumänien mit der in Entwicklungsländern vergleichbar ist, bringt der Beitrag von Selma Reese über das Gesundheitswesen in Rumänien. Einen geringen Erkenntnisgewinn. Falsch ist die Behauptung, wonach 57 Prozent aller Frauen empfängnisverhütende Mittel anwendeten. Dagegen spricht - was der Autorin leider entgangen ist - die horrende Zahl von Abtreibungen, die in Rumänien 20 Mal höher ist als in Deutschland. Etwas naiv behauptet Gesine Henrichsmann zum Thema Straßenkinder, dass„fast jede Familie in Rumänien“ mehr als vier Kinder hat und in Großfamilien lebt. In Wirklichkeit hat Rumänien lediglich eine Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau. Und Großfamilien gibt es - bis auf die Gruppe der Roma – auch im ländlichen Raum nur noch wenige. Das Zahlenverhältnis der Abtreibungen zu den Geburten beträgt in Rumänien 2,4 zu 1, wie aus dem Beitrag von Hannelore Baier über Frauen in Rumänien zu entnehmen ist. Die Gesamtzahl beträgt über eine Million jährlich!

Im Sog der minderheitenfeindlichen Politik
Der Beitrag von Jürgen Henkel über die nationalen Minderheiten Rumäniens ist ein großes Ärgernis. Mit dem im Titel angekündigten Thema hat er wenig zu tun, unverhältnismäßig ausführlich und im Detail falsch wird die Geschichte der Siebenbürger behandelt. Über die Ungarn, die kaum erwähnt werden, werden schlimmste Vorurteile verbreitet. Dem reformierten Bischof Laszlo Tökes wird unterstellt, er träumte vom „Anschluss des Banats an Ungarn“. Henkels Beitrag ist eine Apologie minderheitenfeindlicher rumänischer Politik unter Benutzung angeblicher historischer Argumente. Die „Geschichte der Rumänen“ beginne vor 2000 Jahren, behauptet Henkel, und gerät nicht nur in dieser Frage in den Sog der offiziellen, von Larmoyanz strotzender rumänischen Geschichtsschreibung. Als Beleg zitiert er das chauvinistische Autorenduo Roman/Hofbauer: „damit wurden sie [die Rumänen] zu geduldeten Gästen im eigenen Land degradiert, unerwünscht in den Städten, in den Dörfern toleriert.“ Henkel postuliert, die Walachen hätten bereits im 16. Jahrhundert eine Bevölkerungsmehrheit in Siebenbürgen gehabt, und beklagt zugleich deren Diskriminierung und Diffamierung als „walachische Hirten“. Den Sachsen wird bis 1989 eine rigide ethnische Heiratspraxis unterstellt. Das Argument der Bevölkerungsmehrheit wird gleich mehrfach angeführt. Dass moderne Maßstäbe von Demokratie, Mehrheit und Minderheit nicht ohne weiteres auf einen mittelalterlichen Ständestaat übertragen werden können, lässt den Theologen und Historiker Henkel unberührt. „Walache“ bezeichnete die berufliche Spezialisierung und mitunter den Rechtsstand der Bevölkerungsgruppe. Die Bezeichnung „Rumäne“ ist in dieser Bedeutung eine Prägung des 19. Jahrhunderts. Ob die „politisch und rechtlosen Walachen (...) der Orthodoxie treu blieben“, wie Henkel meint, sei dahingestellt. Als Gegenbeispiel sei an die Familie des rumänischen Adligen Johann Hunyadi, des ungarischen Reichsverwesers und Vater des nachmaligen bedeutendsten ungarischen Königs Matthias Corvinus erinnert. Die Rumänen sind - so Henkel - doch „nach den Deutschen“ eine der ersten Nationen gewesen, „die Psalmen und Evangelien in ihrer Muttersprache übersetzt lesen konnten, bald die ganze Bibel.“ Wer der Fußnote Henkels nachgeht, findet lediglich weitere leere Verweise, heiße Luft.
Brigitte Mihok weist in ihrem Beitrag "Die Roma in Rumänien – Zu ihrer Geschichte und gegenwärtigen Situation" auf "historische Quellen" hin, wonach einige Romagruppen das Ursprungsland etwa um das Jahr 1000 verlassen hätten und über Persien und die Türkei in Richtung Balkanraum ausgewandert wären. Eine entsprechende Fußnote wird jedoch nicht geboten. Es folgen Fallbeispiele über Roma, die ihre traditionelle Lebensweise beibehalten haben und andere, die am Rand einer Industriestadt leben.
Gerhild Cosoroaba stellt die Kirchen und Konfessionen Rumäniens und das derzeitige Miteinander vor, Livia Maria Plesa die Orthodoxe Kirche Rumäniens. Dass die rumänische Orthodoxe Kirche im Kommunismus nicht immer eine rühmliche Rolle gespielt hat und sich immer noch sehr schwer tut, mit dem, was man protestantisch „Vergangenheitsbewältigung“ nennt, belegt die Schweizer Autorin Anne Herbst.
Die Volkskundlerin Irmgard Sedler untersucht sächsische Nachbarschaften und Verwandtschaftsverhältnisse bei Rumänen im ländlichen Raum. Erich Bryner ist mit einem Beitrag über geschichtliche und theologische Bedeutung der Ikonen vertreten.

Bestelladresse
Die Beiträge des Arbeitsheftes zum Weltgebetstag haben ein sehr unterschiedliches Niveau, enthalten einige Widersprüche und leider zahlreiche Mängel, was betrüblich ist, da das Buch eine weite Verbreitung finden soll. Das Buch geht, mehr als es ein gewöhnlicher Reiseführer vermag, auch auf den Lebensalltag gewöhnlicher Menschen ein. Das Arbeitsheft (3,32 Euro) und die Diaserie (9,31 Euro) sind zu bestellen beim Deutschen Weltgebetstagskomitee, Postfach 1240, D-90544 Stein, Telefon: (09 11) 68 06-301, Fax: 68 06-304, E-Mail: weltgebetstag@weltgebetstag.de. Die Diaserie enthält 20 Aufnahmen von Land und Leuten (u. a. Marktszene aus Hermannstadt, Maisstrohwagen aus Deutsch-Weißkirch, Industrieanlagen in Klein-Kopisch), eine Karte von Rumänien sowie die Abbildung einer Hinterglasikone „Christus im Weinstock“, die als Meditationsbild auch das Arbeitsheft ziert. Unter gleicher Anschrift ist das in der Siebenbürgischen Zeitung bereits besprochene Buch „Frauen in Rumänien“ - Lebensberichte zur Lage der Frauen in Beruf, Familie, Gesellschaft, Kirche, herausgegeben von Hannelore Baier und Cornelia Schlarb, zum Preis von 5 Euro, zuzüglich Versandkosten, zu beziehen.

Gustav Binder


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 28. Februar 2002, Seite 6)

Link zur offiziellen Webseite des Weltgebetstages in Deutschland:
www.weltgebetstag.de

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