2. Mai 2002

In der Unruhe liegt die Kraft

Jubiläumsausstellungen für den siebenbürgischen Maler Friedrich von Bömches im Oberbergischen Land
Gustav Mahler war kein Dichter, wusste jedoch die Worte trefflich zu wählen, wenn es um seinen Beruf ging: Kunst komme nicht von Können, sondern von Müssen. Wer sein „Lied von der Erde“ hört, weiß, wovon er redete. Auch Friedrich von Bömches ist weder Schriftsteller noch Psychologe oder gar Psychiater und weiß dennoch sehr präzise zu diagnostizieren, was ihn umtreibt: Es sei „hysterische Zeichensucht“ – er muss, was er kann. Als solchermaßen Kunstabhängiger outete er sich bei der Eröffnung einer der drei Ausstellungen, die der Oberbergische Kreis, der Oberbergische Kunstverein Gummersbach und das Kunst Kabinett Hespert zu Ehren seines 85. Geburtstags ausgerichtet haben. Und wer seine Bilder sieht, der weiß, wovon er redet.

Zeichensucht ist dabei in doppeltem Sinn zu verstehen. Diesem Mann ist das Zeichnen und Malen ein Lebens-Mittel, ein existentielles Bedürfnis, das im Grunde nie befriedigt werden kann, weil die Sucht des Zeichnens der Suche nach Zeichen dient und diese Suche in ihrer Eigendynamik zelebriert wird. Zweck ist nicht das Finden, sondern das unablässige Weitersuchen, bei dem nach und nach die Form entsteht.
Wer erleben will, wie Kunst gemacht wird, ist bei Friedrich von Bömches an den richtigen Lehrer geraten. Er gibt nicht vor, zu wissen, wie das geht oder was denn Kunst letzten Endes sei, er begibt sich mit unstetem Griffel oder Pinsel auf den gewundenen Weg dorthin, ohne jemals anzukommen. Und der Betrachter darf ihm folgen auf dieser stets ungewissen Wanderschaft ins Offene, das schließlich doch zur Form, zum Bild gerinnt.
Der irrende, sich verirrende und zu sich wiederkehrende Strich, die schwungvoll entworfene und dann gleich wieder zurück gezogene und damit – der „Rechtschreibreform“ zum Trotz – zurückgezogene Linie, der volle, voller Überzeugung gesetzte Farbfleck, dem sogleich ein anderer entgegengesetzt wird, die heftig in eine Richtung strebende Bewegung der Gestalten, die vehement durchkreuzt oder blockiert wird durch eine Quer- oder Gegenbewegung, das alles sind nicht eigentlich Gestaltungselemente im Sinn eines planvoll zielgerichteten Vorgehens. Hier hat jedes Vor sein Zurück, jedes Hin sein Her, jedes Weiß sein Schwarz, ohne dass es zu einem Ausgleich käme. Harmonie stellt sich nicht ein, Zwiespalt gesellt sich zu Gegensatz, Widerspruch zu Kontrast. Diese Bilder verleugnen den Druck nicht, unter dem sie entstanden sind, sondern sie geben ihn unmittelbar weiter an den Betrachter.
In vielerlei Gestalt ist hier ein Leben ausgebreitet, das über lange Jahre ein Leiden gewesen ist: Als rumänischer Soldat kam der gebürtige Kronstädter Sachse an die Front des Zweiten Weltkriegs, überlebte Stalingrad und die russischen Arbeitslager und versuchte seine Kunst gegen die kommunistische Diktatur in Rumänien durchzusetzen, bis er sich ihr schließlich 1978 entzog, ohne sich jemals ihren bleibenden, ja prägenden Eindrücken entziehen zu können. Diese Eindrücke drängen ihn weiterhin an die Staffelei oder an den Zeichentisch, sie nehmen ihm die Ruhe und geben ihm eine schöpferische Unrast, wie sie nur ein starker Geist zu tragen und zu ertragen vermag.
Neben den beiden Retrospektiven unter dem allgemeinen Rubrum „Mensch und Landschaft“ hat eine dritte Ausstellung, präsentiert vom Förderverein Schloss Homburg in Nümbrecht, die „Vertreibung“ zum Thema und zeigt Bilder aus der Mitte der 90er Jahre. Daran erkennt man den wachen Zeitgenossen Bömches, der seine Kriegs- und Nachkriegserlebnisse unter gegenwärtigen Impulsen wiedererlebt und aus zeitlichem Abstand, aber darum nicht minder intensiv und aktuell, gestaltet. In diesen Bildern feiert seine Malweise denn auch dramatische Urständ und damit sich selbst. Selten widerfährt einem ein derart schlagender Beweis für die Seminarweisheit, dass Form und Inhalt wirklicher Kunst nicht voneinander zu trennen sind. Der manisch Malende hat den Stoff gefunden, der sich bei aller oder gerade aufgrund der Spröde seinem Formwillen fügt, ja ihm soweit entgegenkommt, dass man versucht ist, das Vertreibungs- und Lagerelend als gewissermaßen „kunstverwandt“ zu empfinden und umgekehrt Bömches’ Kunst als dem Elend unmittelbar entwachsen. Seine menschlichen Gestalten sind keine Persönlichkeiten, sondern namenlose Statisten eines tragischen Spektakels, seine Kunst besteht in der Verteidigung der Menschlichkeit nicht durch Charakterisierung des Individuums, sondern durch eine vehemente gestische Klage darüber, dass ihm die Individualität geraubt worden ist. Das künstlerische Medium, in dem dieses Anliegen besonders gut aufgehoben erscheint, ist die Zeichnung oder Grafik eher als die Malerei.
Wie anders wiederum Bömches’ Bilder von „Mensch und Landschaft“. Hier entdeckt man einen vitalitätsstrotzenden Landschaftsmaler ebenso wie einen Porträtisten von hohen Graden, der sich mit souveräner Dynamik über oberflächliche „Ähnlichkeits“-Erwartungen hinwegsetzt und immer wieder neu das Diktum des Karl Kraus zu illustrieren scheint, dass man in einem Bildnis den Künstler erkennen müsse, der es gemalt hat.
Den Künstler Friedrich von Bömches erkennt man in seinen Werken auf den ersten Blick, und schon mit diesem Blick wird man aus der vom Design bestimmten Welt in einen Strudel von Bildern und Gestalten gerissen, der den einen oder andern wohl süchtig zu machen vermag. Jedenfalls steckt seine „Zeichensucht“ an – mit Sehsucht.

Georg Aescht (KK)


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2002, Seite 5)

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