28. September 2007

Heimattreffen in Mergeln – Wo war/ist...?

Seit 23 Jahren war ich nicht mehr in Mergeln, meinem Heimatort; habe dafür meine Heimatgefühle im Traum verarbeitet, dachte ich. Aber anlässlich des Heimattreffens am 4. August sollte sich herausstellen, dass dem nicht so war.
Wir kamen am 2. August (Donnerstag) spät nachts in Mergeln an. Als wir die „Schinebarjer-Hill“ herunterfuhren, legte mein Mann Blasmusik in den CD-Player und drehte auf volle Lautstärke. Ich probierte mich auf dem Beifahrersitz ganz klein zu machen, als ich in der Ferne die Lichter von Mergeln sah. Ich wollte nicht mehr hin. Jedoch mein Mann fuhr ohne Erbarmen weiter. Er war müde von der Wahnsinnsfahrt Berlin-Mergeln. Und schon standen wir vor dem Haus mit der Nr. 63. Es war sein Elternhaus. Das Tor öffnete sich und Mutti stand da, so wie immer, wenn wir nach Mergeln fuhren. Vater fehlte. Er liebte die Blasmusik. Deshalb hat mein Mann auch die CD aufgelegt: Mutti kullerten die Tränen. Ich wischte verstohlen meine weg. Auch meine Schwägerin und ihr Mann waren da. Nach dem Nachtmahl fielen wir todmüde ins Bett.

Um halb sechs Uhr am Freitagmorgen war bei mir die Nacht beendet. Ich stahl mich ganz leise aus dem Haus, bekleidet nur mit Hose und T-Shirt (draußen waren nur 8 °C). Auf einmal hatte ich das Gefühl, als säße ein Magnet in meinem Herzen und zöge mich, widerstandslos. Nun stand ich vor meinem Elternhaus. Tränen der Wut, der Resignation liefen über meine Wangen. Gut dass keiner gesehen hat, wie verzweifelt ich war. Fremde Menschen schauen aus dem Fenster. Ich fing zu rennen an in Richtung Dorf. Wie sieht die Schule aus? Nein, da gehst du nicht hin. Ich lief bis zum Spielplatz: Wo waren die Bänke, die zwischen den Linden standen? Wo waren die Kinder des deutschen Kindergartens. Wo war...?Wo ist, wo ist....? Mittags. Immer noch zog der Magnet an mir. Ich musste hin, hin „un det Scheunzenak“. Ich bat meinen Schwager mitzugehen. Und wir gingen. Diesmal schaute tatsächlich jemand aus dem Fenster, den ich nicht kannte, dem ich in meinem besten Rumänisch erklärte, wer ich bin. Er sagte nur: „Veniți mai tirziu.“ („Kommen Sie später.“) Wir zogen die Ohren ein und gingen zum Dorf hinaus. Dort kannte ich jeden Baum, der schon vor 35 Jahren da stand. Am liebsten hätte ich jeden einzeln gestreichelt, begrüßt. Die Bäume bewachten in der Mittagsstille eine wunderschöne, unberührte Sommerwiese. Nur die Bienen waren fleißig am Sammeln. Kindheitserinnerungen: Schlittenfahren, Pflaumen pflücken, Äpfel und Birnen brechen.... Nachmittags, Treffpunkt Pfarrhof, wo Bänke, Stühle, Tische darauf warteten, gesäubert zu werden. Wir deckten die Kaffeetafel mit roten und blauen Servietten, übten dabei mit Melitta zu singen. Sogar die Männer packte die Sangeslust.

Am Abend. „Die Noichtglock“ läutete und an mir zerrte der Magnet. Ich machte mich also nochmals auf die Socken zum „Scheunzenak“ und hatte Glück. Die Frau des Hauses war da. Ich erzählte ihr den Grund meines Kommens. Sie war sehr einfühlsam und erlaubte mir, in jede Ecke zu schauen, jedem Traum nachzugehen. Es hatte sich nicht viel geändert. Sogar Möbel von uns standen noch da. Ich wünschte der Familie, dass sie sich wohlfühle in „unserem Haus“ und ging. Ich ging langsam und versuchte all das zu verarbeiten. Ringsum Stille. Die abendliche Dorfruhe war eingekehrt. Da hörte ich aus der Kirche Orgelklänge. Ich ging den Klängen nach und fand Melitta ganz allein. Sie übte für den Gottesdienst. Das Orgelbuch musste sie sich aus Schönberg holen, denn das Mergler fehlte.

Samstag um halb elf läuteten die Glocken zum Gottesdienst („De Glok, de Glok klaingt feierlich...“). Ich probierte den feierlichen Klang in mein Herz zu schließen, während ein letzter, prüfender Blick im Spiegel feststellte, dass die Tracht richtig saß. Stolz schritten wir in unseren Trachten auf die Straße zum Gottesdienst. Der Glockenton klang in unseren Herzen. Vor dem Gotteshaus. Ich sah das Leuchten in den Augen jener, die noch heute in Mergeln leben.

Pfarrer Menning begrüßte alle und wir sangen unseren Kanon „Lobet und preiset“. In seiner Predigt kam er auf den Begriff „Heimat“ zu sprechen: „Das Wort Heimat gibt es nicht in der Mehrzahl. Also hat jeder Mensch nur eine Heimat. Zuhause kann man mehrere haben. Zuhause ist man dort, wo man sich wohlfühlt.“ Zusammen gingen wir zum Friedhof. Die Gräber waren alle mit Blumen geziert. Manch Träne wurde heimlich weggewischt, als wir sangen: „Mer wallen bläuwen wot mer sen“. Nachmittags eröffnete „Herr Loihrer“ unser Treffen im festlich geschmückten Pfarrhaus. In seiner Rede bedauerte der Bürgermeister, dass die Sachsen aus Mergeln weggezogen sind. Er würde jeden in Mergeln gerne begrüßen und uns bei unserem nächsten Treffen in Mergeln helfen. Ich war in meiner Heimat angekommen. Nach den vielen Reden dankte Anneliese Schneider, die Vertreterin der HOG-Mergeln, und Organisatorin des Treffens, all jenen, die gekommen waren, und stellte ein Projekt vor, unser Pfarrhaus umzugestalten in ein Gästehaus. Der Grundstock wurde sofort durch Spenden vor Ort gelegt und auf ein Spendenkonto zweckgebunden eingezahlt. Wir sangen viele sächsische Lieder bis tief in die Nacht. Wir waren uns alle einig, dass dieses, das „1. Mergler Treffen“, ein gelungenes war und mit Sicherheit nicht das letzte.

Brigitte Schneider

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