26. August 2010

Fünfkirchen/Pécs im Fokus: Heft 2/2010 der Vierteljahresschrift „Spiegelungen“

Mit Deutschlands Essen und dem Ruhrgebiet sowie dem türkischen Istanbul, dem einstigen Konstantinopel bzw. Byzanz, ist die ungarische Vielvölkerstadt Fünfkirchen/Pécs europäische Kulturhauptstadt 2010. Der Hauptstadt der Branau/Baranya, auch „Schwäbische Türkei“ genannt, widmet Heft 2 der im Verlag des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) erscheinenden Vierteljahresschrift Spiegelungen ihren thematischen Schwerpunkt.
Zunächst skizziert ein von Ingmar Brantsch gezeichneter, einführender Beitrag den historischen, mehr als 1000-jährigen Werdegang Fünfkirchens. Spuren einer bewegten Geschichte werden aufgezeigt – von der Römerzeit, dem Vordringen der Magyaren und der Durchsetzung des Christentums unter König Stephan bis in die unmittelbare Gegenwart. Die Stadt, die früh auch Bischofssitz war, wurde im 16. Jahrhundert von den Osmanen erobert und kam mit ihrem Umland nach dem Sieg über die Türken unter die Herrschaft der Habsburger, die u. a. aus dem damaligen deutschen Reich Siedler ins Land, die nachmalige „Schwäbische Türkei“, riefen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erlebte das mehrnationale Fünfkirchen eine wirtschaftliche Blütezeit, doch auch der Magyarisierungsdruck wurde spürbarer. Der Beitrag macht deutlich, welche Folgen der Erste bzw. der Zweite Weltkrieg gerade auch für die Minderheiten mit sich brachte, so die Auswirkung antisemitischer Maßnahmen und die Deportation der jüdischen Bevölkerung Fünfkirchens oder die Kollektivbeschuldigung der Deutschen, die als „Kriegsverbrecher“ und „Faschisten“ in großer Zahl vertrieben wurden bzw. als Verbliebene nur eingeschränkte Rechte wahrnehmen konnten. Streiflichter fallen dann auf die Situation nach dem Ende des Kommunismus, die politische Wende, die durch Einrichtung von Minderheiten-Selbstverwaltungen einen gewissen Aufschwung dieser ethnischen Gruppen ermöglichte, der Deutschen wie auch der in der Stadtgeschichte so wichtigen Kroaten, der Serben, Griechen, Roma und anderer Minderheiten, auch einer kleinen jüdischen Religionsgemeinschaft. Beispiele von Einrichtungen, die für die Erhaltung ihrer ethnischen Identität von Bedeutung sind, werden aufgeführt. Heute leben in der multinationalen Stadt bemerkenswerter historischer sakraler Bauten und zahlreicher anderer, auch neuerer Erinnerungs- und Kulturstätten (Kunstsammlungen, Museen, Universität) rund 160 000 Einwohner. Das kleine, aber feine Fünfkirchen sei ein typisch europäisches Beispiel dafür, wie im „Kleinen“ Großes sich ereignen und widerspiegeln könne, heißt es in dem Eröffnungsartikel.

Detaillierteren Einblick in Aspekte der Stadtgeschichte und das Leben ihrer Bürger, und zwar im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, bietet Julia Brandt mittels ihrer Präsentation der deutschsprachigen Fünfkirchner Zeitung (1870–1906), indem sie neben einem Überblick über das Blatt und sein Profil im Besonderen darstellt, welches Bild von der Stadtpolitik, von den Geschäften, dem Vereinsleben und den Vergnügungen der Bewohner durch den Lokalteil (Nachrichten und Berichte) und die Leitartikel der Zeitung vermittelt werden. Die Kulturwissenschaftlerin bespricht in dem Fünfkirchen-Heft auch zwei empfehlenswerte Neuerscheinungen zum Thema, die im Böhlau-Verlag Wien u. a. veröffentlichte Stadtgeschichte Fünfkirchen/Pécs von Harald Roth und Konrad Gündisch und den Führer zu kunstgeschichtlichen Sehenswürdigkeiten der Stadt unter dem Mecsek-Gebirge von Tamás Aknai (Regensburg-Potsdam: Schnell u. Steiner, Deutsches Kulturforum). Durch die Behandlung eines ungarndeutschen Themas passt auch der literaturwissenschaftliche Beitrag von Eszter Propszt (Szeged) in den Kontext. Die Autorin analysiert die „schwäbischen“ dramatischen Texte des ungarischen Schriftstellers Robert Balogh, der, mit eigenem ungarndeutschem familiären Hintergrund, im „profanen Mysterienspiel“ Erinnerungen an die Deportation von Ungarndeutschen als „Mysterium“ der „Identitätsfindung“ bzw. „Identitätskonstruktion“ gestaltet („Raumerweiterung“).

Der neueren Geschichte der Rumäniendeutschen widmet sich eine Dokumentation von Stefan Sienerth, der, wie schon in einigen vorangegangenen Beiträgen, in Bukarest zugänglich gewordene Akten des rumänischen Geheimdienstes auswertet. Waren es bisher insbesondere Literaten und ihre Beobachtung durch die Securitate, mit denen sich der aus Siebenbürgen stammende Hochschullehrer und Forscher beschäftigte, wendet er sich in dem vorliegenden Beitrag Aktenbeständen der 1970er Jahre zu, die operative Vorgänge der Securitate im Problemfeld „Deutsche Faschisten und Nationalisten“ belegen, die allgemein gegen die deutsche Minderheit und gegen Einzelne ihrer Vertreter gerichtet waren.

Mit literarischen Texten sind in diesem Heft der Spiegelungen drei Banater Autorinnen vertreten. In sprachspielerischer Kurzprosa geht Kristiane Kondrat, alias Luise Fabri, dem schwierigen Weg zu sich selbst nach. Ilse Hehns Texte vermitteln lyrische Eindrücke ihrer Reisen in Italien und Ägypten, während die gebürtige Temeswarerin Edith Ottschofski in Gedichten Besuche in ihrer Herkunftsstadt thematisiert und, teils mit idiomatischen Einsprengseln, versprachlicht.

Die Bücherschau ist schwerpunktmäßig auf Neuerscheinungen über deutsche Kultur und Geschichte u. a. aus Serbien, Slowenien, der Slowakei, Rumänien (Banat, Bukowina, Siebenbürgen) und Ungarn ausgerichtet. Das „Forum“ und die „Rundschau“ bringen neben Nachrichten und Berichten (u. a. über die Münchner Herta-Müller-Ausstellung und die XX. Reschitzaer deutschen Literaturtage) einen Nachruf auf den in München verstorbenen rumäniendeutschen Publizisten und Schriftsteller Heinrich Lauer (1934–2010) von Franz Heinz.


Auslieferung, Vertrieb und Abonnementbetreuung erfolgt über: Intime Services GmbH, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen, Telefon: (0 89) 85 70 91 12. Preis: Einzelheft 6,15 Euro (zuzüglich Porto und Versand, Abonnement 22,50 Euro (einschließlich Porto und Versand).

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