29. Mai 2003

Auftrag zur Sprachpflege ernst nehmen

Die Liebe zur und Achtung vor unserer Muttersprache in uns und in der Öffentlichkeit zu wecken und wach zu halten, sollte uns Siebenbürger Sachsen besondere Verpflichtung sein. Der aus Schirkanyen stammende Dipl.-Archivar Hans-Günther Kessler thematisiert im folgenden Beitrag einen wichtigen Aspekt des Kulturbewusstseins unserer Landsleute, und zwar die Pflege der deutschen Sprache im Alltagsgebrauch.
Verformungen und Verwerfungen unserer Muttersprache durch einen ungebrochenen und rasch ausufernden Gebrauch von Anglo-Amerikanismen in immer weiteren Lebensbereichen gilt es aufzuhalten und rückgängig zu machen. Der schon Ende 1997 durch Prof. Dr. Walter Krämer von der Universität Dortmund ins Leben gerufene „Verein Deutsche Sprache e.V". (VDS) versucht die Sprachschäden zu begrenzen. In kürzester Zeit verzeichnete er großen Zulauf an Mitgliedern aus allen Lebens- und Arbeitsbereichen der Bevölkerung, da das Problem allgemein erkannt wurde.

Die dramatische Verfremdung und Verstümmelung unserer Muttersprache hat ein unerträgliches Maß erreicht. Sie wird ständig durch neuen Sprachen-Mischmasch - vor allem durch eine unverantwortliche Werbung der Wirtschaft - in die Unverständlichkeit und Unkenntlichkeit getrieben. Damit ist sie der Wirtschaft überlassen, die sich ihrer nach Belieben im Sinne der „Kundenfreundlichkeit“ bedient. Das hat zur Folge, dass eingedeutschte Begriffe wieder ausgebürgert werden. Die Entwicklung hat schon vor Jahrzehnten Einzug in unsere Hochsprache gehalten, so dass viele Bürger diesen schleichenden Sprach-Wahnsinn nicht mehr bewusst zur Kenntnis nehmen. Harmlose Begriffe wie „okay“, „cool“, „in“, „power“ wurden ebenso gedankenlos eingebürgert wie „Service-Point Store“ (Deutsche Bahn), „freecall“ oder „suntime“ (Deutsche Telekom). Dies gilt als „fortschrittliches und kundenfreundliches Wirtschaftsdeutsch“ jener Großunternehmen, wo „deutsch“ sich fast nur auf den geographischen Wirtschaftsbereich bezieht und nicht mehr auf die Kulturträger.

Was uns Siebenbürger Sachsen betrifft, so sind wir nicht nur für die aus Siebenbürgen mitgebrachten kulturellen Werte verantwortlich, die wir in unterschiedlicher Form im Alltag zum Ausdruck bringen, sondern auch für das der Allgemeinheit gehörende und dienende Kulturgut zuständig - für den Schutz und Erhalt der deutschen Muttersprache. Wir sollten sie bewusst hegen, liebevoll pflegen, vor unzulässigen verletzenden „Erniedrigungen" schützen. Dieses kostbare kulturelle Erbe ist uns von Kindheit an mitgegeben. Ohne Achtung vor und Liebe zu unserer Sprache würden wir all diejenigen Vorfahren, die sich ihrer Muttersprache bedienten und für ihren Erhalt einsetzten, nicht die gebührende Ehre erweisen. Im Rahmen ihres aus Siebenbürgen „mitgebrachten“ Kulturbewusstseins können die Siebenbürger Sachsen einen wichtigen Beitrag zum Sprachbewusstsein liefern. Nehmen sie diesen „kulturellen Auftrag“ ernst, so müssen sie ihn auch in der Öffentlichkeit wahrnehmen.

Die Muttersprache ist das wichtigste Verständigungsmittel für Gedanken, Gefühle, Willensäußerungen usw. Gedanken ohne Sprache bleiben stumm, sind nicht vermittelbar. In der Sprachpflege kommt es nicht darauf an, sich krampfhaft an die Sprache der Vorväter zu klammern, Sprache bleibt etwas Lebendiges. Sprache gehört zum Naturrecht einer Gemeinschaft. Dies bedeutet auch, einen gesunden Sprachschutz zu bejahen. Wie unverantwortlich ist in diesem Zusammenhang der Abbau von Goethe-Instituten im Ausland, die die Sprache als Ausdruck unserer Lebenswirklichkeit zu vermitteln haben, wie töricht ist die Verleugnung der eigenen Sprache durch berufene Politiker! Sprache führt uns, wie so manches andere Erbe, bis zu einem bestimmten Punkt unseres Weges in die Geschichte. Sie führt uns, da sie weder gemacht, noch angenommen, noch zum allgemeinen Gesetz erhoben wurde, wie andere Erbteile zum Urgrund der Geschichte.

Für uns Siebenbürger Sachsen gehört die Pflege der Muttersprache genauso zur Identitätspflege wie unsere siebenbürgisch-sächsische Mundart und unser Brauchtum. Uns allen, die wir uns tagtäglich mit der Muttersprache verständigen, obliegt daher auch eine moralische Verpflichtung, dieses einzigartige Kulturgut zu bewahren und das Bewusstsein hierfür zu schärfen, wie wir es neun Jahrhunderte hindurch in Siebenbürgen getan haben.

Hans-Günther Kessler


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 15. Mai 2003, Seite 5)

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