2. Oktober 2003

Leserecho: Mehr Engagement bei der Mundartpflege erforderlich

In seinem Artikel "Kann Mundartpflege aus der heutigen Situation einer Kleinsprache etwas lernen" (Folge 8 der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. Mai 2003, Seite 8) setzte sich Hans-Gert Kessler mit dem Rätoromanischen als Modellbeispiel einer vitalen Kleinsprache auseinander. Darauf nahm Walter Schuller (in Folge 13 vom 20. August 2003, Seite 12) in seinem Leserbrief Mundarterhaltung ist primär soziokulturelles Problem kritisch Bezug. Ihm erwidert nun seinerseits Hans-Gert Kessler in seiner nachfolgenden Replik.
Dass mein Artikel "Kann Mundartpflege aus der heutigen Situation einer Kleinsprache etwas lernen" (Folge 8 dieser Zeitung vom 15. Mai 2003, Seite 8) eine Reaktion ausgelöst hat, freut mich. Leider hat der von der Redaktion festgelegte Untertitel den Eindruck erweckt, ich betrachte das Rätoromanische als "Modell" für unsere Mundartsituation. Das ist nicht gut möglich, was auch Schuller erkennt - etwa wenn er auf die Unterstützung hinweist, die das Rätoromanische von eidgenössischer Seite erfährt. Vielmehr sollte auf das beispielhafte Bemühen der Rätoromanen um ihren Spracherhalt hingewiesen werden, womit Vergleiche sehr wohl möglich sind. Einen ähnlichen (Situations-)Vergleich gibt es etwa mit der Lage der Sorben (Roland Marti). Darauf, dass unsere Diaspora ein großes Hemmnis darstellt, habe ich stets hingewiesen.

Die Erstellung eines Sprachführers - "dürfte für unsere bewährten Germanistinnen in Hermannstadt und Gundelsheim kein so großes Problem sein" (Walter Schuller), ist es aber anscheinend doch - habe ich nicht gefordert, sondern das Fehlen eines solchen lediglich in einem Nebensatz beklagt. Zu fordern ist ein Lehrbuch und ein handliches Wörterbuch, abseits des großen Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs (dem Idiotikon für Sprachwissenschaftler, dessen Einzigartigkeit ich gern betone). Und diesbezüglich können uns die vielfältigen Bemühungen der Rätoromanen sehr wohl als Vorbild dienen. Die Schaffung eines einheitlichen "Rumantsch Grischun."(Graubündner Romanisch) war dabei wichtigster Meilenstein - ohne Anspruch darauf, die zahlreichen Dialekte des Graubündner "Fleckerlteppichs" verdrängen zu wollen (was gerade die dabei angewandte "Deckmantelorthographie" beweist).

Traurig ist unsere weit gestreute Unbekümmertheit - und diese stellt das eigentliche "soziokulturelle Problem" dar: Wer (noch) sächsisch spricht, scheint sich seiner Muttersprache zu schämen - und selbst jene, welche sie bewusst pflegen, dürften sich dem Gedanken einer vermeintlichen Hoffnungslosigkeit hingeben. Nach meinem 1999 in München gehaltenen Vortrag (aber lange vor Erscheinen seiner hier angesprochenen Kurzfassung) hatte ich diesbezügliche Briefwechsel mit einem unserer bedeutenden Schriftsteller sowie mit einer unserer gleichfalls renommierten Sprachpflegerinnen, welche beide Zweifel am Sinn meiner Forderungen (Sprachkurs Siebenbürgisch-Sächsisch nebst handlichem Wörterbuch) anmeldeten. Irgendwie fürchte ich, dass wir die Flinte ins Korn werfen, bevor wir mit ihr zu schießen auch nur versucht hatten. Da lob ich mir die Einstellung Luthers, der ein Apfelbäumchen zu pflanzen für sinnvoll hielt, selbst wenn er wüsste, dass anderntags das Weltende über ihn hereinbrechen würde. Mein Anliegen war es aufzuzeigen, wie selbst ein kleines Völkchen (kleiner als wir Siebenbürger Sachsen es sind) die Schwierigkeiten seiner Identitätserhaltung zu meistern versteht. Dabei sollte der territorialen Kompaktheit der Rätoromanen (dergegenüber wir Sachsen, wie erwähnt, in der Tat im Nachteil sind) keine übergroße Bedeutung beigemessen werden. Ich hoffe dennoch auf weitere (möglichst auch optimistische) Wortmeldungen und stelle Interessenten gern meinen ganzen Vortrag zur Verfügung. Der Text ist fast dreimal umfangreicher als der in dieser Zeitung veröffentlichte Artikel.

Hans-Gert Kessler, München


Lesen Sie dazu: Hans-Gert Kessler: Auftrag zur Sprachpflege ernst nehmen

Walter Schuller: Mundarterhaltung ist primär soziokulturelles Problem

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